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DAV/DGVFM-Jahrestagung 2024 (I):

(K)ein weißer Rauch beim Höchstrechnungszins

Deutschlands Rechner trafen sich neulich zu ihrer Jahrestagung. Zu besprechen gab es genug, auch in Sachen Altersvorsorge. Unter anderen stellte sich ein Staatssekretär manch einer Kardinalfrage. Detlef Pohl war dabei und dokumentiert: Wer sich im permanentem Bürokratie-Abwehrkampf gegen die EU sieht, was doppelt nicht nachhaltig ist, was am 8. Mai passieren soll und wem was langsam peinlich wird.

Neulich in Berlin, hybride Jahrestagung 2024 der Deutscher Aktuarvereinigung (DAV) und der Deutschen Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik (DGVFM). Am zweiten Tag, dem 25. April, befassen sich die klugen Köpfe dann mit der Zukunft der Altersvorsorge. Reformen, bereits auf den Tagungen 2022 und 2023 angemahnt, sind noch immer nicht umgesetzt, werden aber von den Aktuaren regelmäßig mit versicherungsmathematischem Background versehen.

In einem Punkt hat die Entwicklung die Berichterstattung auf PENSIONSINDUSTRIESschon überholt: Just gestern ist der Vorschlag der Aktuare, den HRZ in der Lebensversicherung von 0,25% auf 1,0% ab 2025 zu erhöhen, vom zuständigen BMF offiziell bestätigt worden.

Insofern ist die folgende Berichterstattung, wegen der Dichte der Informationen wieder im PI-Stakkato, entsprechend angepasst worden (alle Aussagen der Referenten im Indikativ):

Podiumsdiskussion: Die Zukunft der Altersvorsorge“

Florian Toncar (FDP), parl. StS im BMF, und MdB Carsten Brodesser (CDU), Mitglied im Finanzausschuss, diskutieren mit Hans-Joachim Zwiesler, langjähriger (2023 emeritierter) Universitätsprofessor am Institut für Versicherungswissenschaften der Universität Ulm und Vorsitzender des Kuratoriums am ifa Ulm sowie Moderator Oliver Horn, Vorstand der Ergo Leben, der für den erkrankten Michael Fauser, CEO der Ergo Leben und DAV-Fachgruppenleiter Leben, einspringt). Hier nun einige Antworten auf die Fragen des Moderators.

Wie ist der Stand der AV-Reform, und wie viel Freiheit sollen die Menschen haben?

Toncar: im Sommer geht Referentenentwurf zur privaten AV in die Anhörung +++ nach Sommerpause beginnt parlamentarische Debatte +++ in Kraft zum 1. Januar 2025 +++ inhaltlich kommt Wegfall von inhaltlichen Zusätzen wie BU-Schutz in Zulagenrente, mehr Standardisierung, weniger Garantiezwang – und zusätzlich ein AV-Depot ohne Garantien +++

Florian Toncar, BMF. Foto: BMF.

Brodesser: Abschlussbericht der Fokusgruppe gut und in richtiger Richtung unterwegs +++ Vereinfachungen bei Förderung und Beitragsverfahren der Riester-Rente sinnvoll +++ Sorge aber wegen Zeitplan: AV-Reform ist Teil des Rentenpakets IV, aktuell wird erst Rentenpaket II verhandelt +++ Langsamkeit der Umsetzung angesichts guten Vorlaufs langsam peinlich +++ lebenslange Ausgaben erfordern auch lebenslange Altersleistungen, doch wie passt das zum angedachten Fondsdepot, dessen Auszahlungsplan schon mit Mitte 80 endet? +++

+++ Toncar: nicht zu viele Vorgaben machen, nicht zu viele Bevormundungen für Menschen, die aus eigenen Mitteln Konsumverzicht für AV betreiben +++ Verwendung für AV zu 70% bleibt vorgeschrieben +++ ob lebenslang oder bei Fondsdepot nur bis Mitte 80 vorgeschrieben, scheint sinnvoll +++ in USA entnehmen Teilnehmer oft sogar zu wenig Geld im Alter, also kein schnelles Konsumieren in Praxis +++ Förderung im hohen Alter passt nicht immer zu Verrentung, etwa bei Sonderausgaben für Pflege und Wohnumfeld +++ Auszahlungsplan gehört erprobt +++

Prof. Hans-Joachim Zwiesler, ifa.

Zwiesler: Argument der Bevormundung sticht nicht, da meiste Menschen Lebensstandardsicherung brauchen +++ Verhaltensökonomie sagt: es braucht lebenslange Leistung, zumal Lebenserwartung meist unterschätzt +++ heute 65-Jährige werden zu über 50% älter als 85 +++ komplette Freistellung des AV-Vermögens wäre falscher Anreiz +++ Risiko des „Wegbrechens“ finanzieller Ressourcen essentiell (gerade bei Frauen), zumal für Ältere kaum noch Chancen, erneut Arbeitseinkommen zu generieren +++ Risiko daher nicht allein auf Alte mit im Zweifel leerem Depot abwälzen +++ Flexibilisierung bei Riester-Rente erwünscht, auch Höhe der Garantien aus wissenschaftlicher Sicht verhandelbar +++

+++ Brodesser: Verrentungszwang schon seit AV-Reform 2002 bei Riester-Rente, um Kürzungen bei GRV-Leistung zu kompensieren +++ zugleich oft zusätzlicher Kapitalbedarf in Leitungsphase, etwa für Treppenlift +++ Staat hat Lenkungsfunktion, auch um Sozialstaat vor später Überforderung zu schützen +++ Union tendiert weiter zu Verrentungszwang +++

Es gibt Missverständnisse zur Höhe der Garantien bei der künftigen Riester-Rente. Welches Garantieniveau soll für welche Produkte gelten?

Toncar: beim Fondsdepot 0% +++ bei versicherungsförmigen Lösungen mit Garantien Absenkung von 100% auf 80% der Beiträge geplant +++ fondsgebundene Riester-Renten künftig womöglich auch ohne Garantie erlaubt, ist aber noch nicht sicher, wird noch geprüft +++ für Alt-Verträge gilt Bestandsschutz, also keine Änderungen oder Tausch zu anderen Riester-Produkten erlaubt +++ Ausnahme: beide Vertragspartner stimmen Änderung bzw. Wechsel beim Produkt zu +++

Informationspflichten der Anbieter überfordern viele Sparer. Wird das künftig auf vernünftiges Maß reduziert?

+++ Toncar: Info-Pflichten müssen sich künftig unbedingt mehr an Praxis orientieren +++ Missverhältnis von Umfang des Materials und Alltagstauglichkeit für Verbraucher ist großes Problem +++ Anlegernutzen muss mehr in Fokus, zumal Bürokratiekosten Anleger ja mitzahlt +++ Bundesregierung sieht sich in permanentem Bürokratie-Abwehrkampf gegen EU +++ EU-Kleinanlegerstrategie (RIS) gutes Beispiel für deutsche Interessenvertretung +++ BMF war erste Institution, die sich gegen Provisionsverbot für Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten durch Versicherungsmakler gewehrt hat +++ EU-Parlament hat vergangenen Dienstag in diesem Sinne gestimmt +++ Trilogverhandlungen mit EU-Ministerrat und EU-Kommission aber erst deutlich nach Europa-Wahlen+++

Carsten Brodesser, MdB CDU.

+++ Brodesser: Konsens mit Toncar +++ kiloweise Papier ohne Verbrauchernutzen gleich doppelt nicht nachhaltig +++

Die Versicherungspflicht für Selbstständige soll kommen. Wird die Basisrente als alternatives Instrument zur Einzahlung in die GRV anerkannt?

+++ Toncar: betrifft Vorhaben aus Koalitionsvertrag unter BMAS-Regie +++ weiter im Blick, aber noch keine Gesetzesinitiative +++ Teil des Rentenpaketes III mit Wahlfreiheiten bei Produkt-Alternativen +++ vorher kommt noch Rentenpaket II (zu GRV-Haltelinien und Aufbau von „Generationenkapital“ in GRV) +++ Rentenpaket II soll am 8. Mai im Bundeskabinett beschlossen werden +++

+++ Brodesser: Union begrüßt AV-Pflicht für Selbstständige, zumal Versorgung insolvenzfest sein soll +++ Basisrente ist gute Wahl +++ BMAS-StS Rolf Schmachtenberg hat in Keynote bei Parlamentarischem Abend am 24. April in Berlin Referentenentwurf für Rentenpaket II „noch im Mai“ angekündigt +++

Auch bei Betriebsrenten sind unterschiedliche Garantiehöhen im Angebot. Ist da eine Vereinheitlichung sinnvoll?

+++ Toncar: erste Fälle von Garantiefreiheit in bAV über SPM mit reiner Beitragszusage schon möglich +++ SPM interessant für KMU mit bisher zu wenig bAV-Verbreitung +++ anzustreben sind leichterer Zugang samt Andocken an bestehende SPM, mehr steuerliche Anreize in bAV insgesamt und bei den Zusagearten auch abgesenkte Garantien, um moderat chancenorientiertere Anlagemöglichkeiten zu schaffen +++ bAV-Reform wohl zeitlich parallel zu Reform privater AV +++

+++ Brodesser: mangelnde bAV-Verbreitung offenkundig, weil zu bürokratisch und sperrig empfunden +++ 30% AN zwischen 25 und 65 noch ohne bAV-Ansprüche +++ vorhandene Instrumente müssten „geschmeidiger“ sein, etwa Garantieanforderungen +++ auch Portabilität unbefriedigend +++ bessere Portabilität über private AV denkbar, weil AN dann Vertragspartner würde +++

Kurzes Fazit des Moderators zur anstehenden Entscheidung des BMF zum HRZ: „Es gibt noch keinen weißen Rauch, aber der Ofen ist schon angeheizt.“ Das war am 25. April. Und dieser Rauch ist am gestrigen Montag nun aufgestiegen.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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