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19. Handelsblatt Jahrestagung bAV (V):

Kollektive Reserve nach dem Talsperren-Prinzip

Jüngst loteten auf HB-bAV-Tagung mehrere Fachleute Chancen und Risiken für Kapitalanlagemodelle rund um die Zielrente für das Sozialpartnermodell aus. LbAV-Autor Detlef Pohl dokumentiert Auszüge aus der Podiumsdiskussion.

 

13. März in Berlin: „Es gibt gute Gründe, eine hohe Aktienquote beziehungsweise einen hohen Anteil an Realinvestments als ‚sichere’ Kapitalanlage zu betrachten“, betonte Professor Oscar Goecke gleich eingangs der Podiumsdiskussion am zweiten Veranstaltungstag. Der stellvertretende Direktor des Instituts für Versicherungswesen der der TH Köln kritisierte in diesem Zusammenhang den verengten Blickwinkel der Deutschen beim Thema Sicherheit auf den Nominalwerterhalt. „Dabei wird das Fundamentalrisiko eines jeden kapitalgedeckten Versorgungssystems vollkommen ausgeblendet – das Inflationsrisiko.“ Die reine Beitragszusage (rBZ) eröffne nun die Chance, die Anlagen stärker am eigentlichen Ziel kapitalgedeckter Altersversorgung auszurichten. „Dieses Ziel besteht darin, den Realwert des Versorgungslohns zu erhalten und eine faire Teilhabe am volkswirtschaftlichen Kapitalstock zu ermöglichen“, so der Hochschullehrer. Er habe mitunter den Eindruck, dass im Moment eine Art Kommunikationsstarre besteht. Mikado-Motto: „Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.“

 

 

Der Kulturschock – und mit Realwerten zur Gerechtigkeit

 

Oskar Goecke, TH Koeln …

Die Kapitalanlage müsse einen Schwerpunkt auf Realwerte wie Aktien, Immobilien und Beteiligungen setzen. „Dies wäre ein Beitrag zur Verteilungsgerechtigkeit“, sagte Goecke weiter und lieferte damit ein gewichtiges Argument für die Kommunikation mit Tarifpartnern und Arbeitnehmern. Der Verzicht auf nominale Garantien wie bei der rBZ „ist für Deutschland ein Kulturschock und erfordert daher solide und ehrliche Kommunikation zwischen den Beteiligten“, so der Wissenschaftler.

 

Immerhin: Wie die jüngsten Auswertungsstudien beispielsweise von Mercer oder Willis Towers Watson zeigen, haben die DAX-Konzerne 2017 ingesamt durchaus vertretbare Returns auf ihre Planvermögen erzielt.

 

 

 

Zurich: Intelligenter Puffermechanismus

 

…Michael Leinwand, Zurich …

Die Akzeptanz der rBZ hängt von den Ergebnissen der Zielrente ab, die zu einem Zeitpunkt startet, zu dem sowohl Festverzinsliche als auch Aktien die beste Performance-Dekade überhaupt erlebt haben“, prophezeit Michael Leinwand. Das Anlageziel einer sicheren und stabilen Zielrente „wird mit einer Anlagestruktur erreicht, die für sich genommen und auf kurze Sicht mit spürbaren Ausschlägen verbunden sein wird“, so der Chief Investment Officer der Zurich-Gruppe Deutschland. Um eine breite Akzeptanz zu erreichen, sei Gleichmäßigkeit in den Zahlungsströmen wichtig und damit ein „resilientes System“.

 

Ein kollektives Sozialpartnermodell (SPM) biete mit Blick auf die Herausforderungen der Kapitalanlage laut Leinwand den effizientesten Zugang zu den Märkten. „Zur notwendigen Abfederung der Volatilität bietet die rBZ einen Puffermechanismus, der bei Marktverwerfungen insbesondere kurz vor Renteneintritt die Zielrente stabilisiert“, so der Investmentexperte. Effizienzgewinne böten derartige Ausgleichsmechanismen in großen Kollektiven auch über die Zeit und trügen so zu Generationengerechtigkeit bei.

 

 

Bosch: der Pensionsfonds als natürlicher Durchführungsweg

 

… Hansjoerg Muellerleile, Bosch …

In diesem Zusammenhang werde „der Pensionsfonds der natürliche Durchführungsweg der rBZ sein“, schätzt Hansjörg Muellerleile. Pensionsfonds seien bereits bei der Umsetzung der Beitragszusage mit Mindestleistung hervorragend aufgestellt und könnten die Anforderungen der rBZ gut erfüllen, so der Director Corporate Pensions & Related Benefits der Robert Bosch GmbH.

 

Auf der Tagung hatten bereits weitere Experten den Pensionsfonds als ideales Vehikel für die rBZ bezeichnet, darunter Vertreter der Zurich und der Talanx (die als Konsortium ihre Pensionsfonds nutzen werden) sowie der Metall-Rente und Generali. Das Konsortium Rentenwerk hat sich dagegen zwischenzeitlich für den Durchführungsweg der Direktversicherung entschieden.

 

Müllerleile hatte bereits im August 2017 gemeinsam mit Boschs Pensions-Chef Dirk Jargstorff auf LEITERbAV die Einsatzfähigkeit des Pensionsfonds als Durchführungsweg im Sozialpartnermodell analysiert.

 

 

Fidelity: Historische Chance für mehr Kapitaldeckung

 

… Christof Quiring, Fidelity…

Durch den Aufbau des kollektiven Puffers in einem Pensionsfonds könnten Wertschwankungen am Kapitalmarkt geglättet werden, stimmte Moderator Heribert Karch zu. Der Geschäftsführer des tariflich organisierten Versorgungswerks Metall-Rente fragte anschließend nach neuen Perspektiven für die kapitalgedeckte Altersversorgung in Deutschland. Von nicht weniger als einer „historischen Chance“, sprach hier Christof Quiring, Leiter Investment- und Pensionslösungen bei Fidelity International.

 

Die Versorgungslücken forderten dabei zu vereintem Handeln. Laut einer Studie der Ruhr-Universität Bochum im Auftrag von Fidelity fehlten einem heute 42-jährigen Facharbeiter knapp 840 Euro netto im Monat, wenn er mit 67 in Rente geht und sich beim Lebensstandard nur auf die gesetzliche Rente verlässt.

 

Mit Anlagen für eine Zielrente sei das globale Produktivkapital besser abschöpfbar als mit Garantien, erläuterte Quiring weiter. Der Wegfall von Garantien werde jedoch noch zu wenig als Chance verstanden , die Risiken noch überbewertet. Es müsse allen Marktteilnehmern gelingen, die Vorteile eines kontinuierlichen Ansparvorgangs besser zu vermitteln, mahnte Quiring. Das bedeute, Sicherungsmechanismen der Zielrente und deren Volatilität zu verstehen, zu akzeptieren und zu nutzen.

 

 

Coba: Kollektivmodell macht Zielrente planbar

 

… Sven Reuss, Commerzbank …

Dass kollektives Sparen kosteneffizient sei, betonte in der Diskussion Sven Reuss, Managing Director Pension Solutions der Commerzbank AG. In einem kollektiven Ansparmodell, das übrigens nicht zwingend im BRSG vorgeschrieben ist, kann ein Sicherheitspuffer über die Zeit angespart werden, der allen Anwärtern gleichermaßen zusteht.“ In der Rentenbezugsphase sei der Kollektivansatz dann obligatorisch. Der Puffer müsse nicht ständig geprüft werden. In jedem Falle seien „Liquiditäts- und Risikoprämien zu verdienen“. Durch Einsatz eines Kollektivmodells würden Renditeschwankungen auf alle Individuen aufgeteilt, im positiven wie im negativen Fall. „Durch Separierung eines Teils der positiven Rendite kann ein Puffer aufgebaut werden“, erklärte Reuss. Die Idee liege darin, den Sicherheitspuffer in renditestarken Zeiten aufzubauen und dann in renditeärmeren Zeiten zu nutzen. „Dadurch kann eine Zielrente planbar gemacht werden.“

 

In einem ausführlichen Artikel der Tagungsmaterialien ging Reuss dazu ins Detail: „Da der Puffer per se einen stabilisierenden Faktor haben sollte, gilt: Je länger das Asset gehalten werden kann, kann es auch ein weniger liquides Asset sein. Beispiele können bei einer entsprechenden Größe der Pensionsverpflichtungen auch Immobilien oder alternative Investments sein.“ Das SPM biete die Chance, mehr bAV durch Verbindung des Modells mit existierenden Asset-Management-Konzepten aufzubauen. Zugleich könne dem Wegfall der Garantie entgegengewirkt werden, etwa durch „Implementierung eines Puffermodells in Kombination mit den Charakteristika des Life-Cycle-Modells und der klassischen Risikoreduktion durch Diversifikation“.

 

 

Diskussion: Idealer Zeitpunkt für den Start wäre in Aktienkrise

 

Wissenschaftler Goecke verglich die kollektive Reserve (Sicherheitspuffer) mit der Arbeit nach dem Talsperren-Prinzip: In Phasen mit hohen Niederschlägen wird die Talsperre gefüllt, so dass bei Trockenheit die Wasserversorgung sichergestellt ist. Wertschwankungen der Kapitalanlagen würden also geglättet, „indem bei überdurchschnittlicher Performance die Reserven gestärkt und bei Verlusten die Reserven genutzt werden, um Leistungskürzungen zu vermeiden oder zumindest abzumildern“.

 

Auf die Frage des Moderators nach dem idealen Startzeitpunkt für die Zielrente bekräftigten alle Podiumsteilnehmer, dass es perfektes Timing nicht gebe. „Eine neue Aktienkrise wäre natürlich eine grundlegende Chance für den Einstieg“, meinte Fidelitys Quiring. Einen Sicherheitspuffer als Bodensatz, auf dem altersabhängige Lebenszyklusmodelle mit individuellen und kollektiven Musterportfolien aufsetzen, hält Commerzbank-Mann Reuss für vielversprechend zu jeder Zeit.

 

Bosch-Praktiker Muellerleile erinnerte daran, dass der Bosch Pensionsfonds im Krisenjahr 2002 mit reiner Entgeltumwandlung gestartet war und auch 2008 Kapitalmarktverwerfungen zu überstehen hatte. „Aber die beiden Krisenjahre glichen sich relativ schnell wieder aus“, blickt er gelassen zurück. Für die Beitragsphase hält er bei der rBZ eine Aktienquote von 50 Prozent und mehr für sinnvoll. Es gehe auch nicht um Poker-Rente oder Casino-Mentalität, sondern um „Beteiligung an erstklassigen Unternehmen“, bekräftigte Quiring. Der Aktienmarkt erscheine bis auf Technologiewerte derzeit auch nicht übertrieben teuer.

 

… und die ganze Runde samt Moderator Heribert Karch auf der Tagung am 13. Maerz in Berlin. Alle Fotos: Gust / Eurorum.

 

In der Schlussfrage, den wichtigsten Aspekt der Kommunikation in einem Satz zusammenzufassen, waren sich alle insofern einig, dass damit über Wohl und Wehe des SPM entschieden werde. Im Detail empfahlen sie jedoch unterschiedliche Prämissen. Goecke hält das „Storytelling“ für wichtig; den Teilnehmern müsse der „Eigentümergedanke“ nahegebracht werden. Muellerleile hat bei der Kommunikation vor allem die „jederzeitige Kostentransparenz“ im Blick, während Leinwand auf eingängige Erklärungen der Anlagepolitik setzen will. Für Quiring ist es am wichtigsten, aufzuzeigen, woran sich die Arbeitnehmer beteiligen. Auch Reuss setzt darauf, die Vorzüge für die Begünstigten begreifbar zu machen.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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