Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV.
Heute: Unter Druck.
SPD.de (24. November): „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.“
Die Ampel steht. Und wenn es Deutschland derzeit an irgendetwas nicht mangelt, dann sind das Pathos und salbungsvolle Worte, weder bei den beteiligten Politikern noch in den Medien.
Im Gegensatz dazu sind die Aussagen im Koalitionsvertrag zur Altersvorsorge und v.a. zur bAV – wie üblich – knapp gehalten. Sehen wir partiell genauer hin:
„Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“
Kein Problem. Zumindest dann, wenn man den Steuerzuschuss von bereits über 100 Mrd. Euro p.a. weiter erhöht. Die Koalition glaubt allerdings, dass das auch anders gehen wird (gerafft):
„Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und -beitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung einsteigen. Dies soll als dauerhafter Fonds von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet werden und global anlegen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der DRV 2022 aus Haushaltsmitteln 10 Mrd. Euro zuführen. Der kapitalgedeckte Teil muss für das Kollektiv der Beitragszahler dauerhaft eigentumsgeschützt sein. Wir werden der DRV auch ermöglichen, ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen.“
Damit wird die Aktienrente der FDP Realität, und das ist grundsätzlich zu begrüßen. Doch drei Einwände: Erstens wird man allein damit die o.a. Eingangszusage vermutlich nicht einhalten können (zu Scholzens Performance in Sachen Nachhaltigkeit der Rente s. übrigens hier). Zweites sollte man als Bürger angesichts der – gerade in diesen Tagen offenkundigen – Wechselhaftigkeit der deutschen Governance im frühen 21. Jahrhundert gesundes Misstrauen mitbringen, wenn Politiker mit Prädikaten wie „eigentumsgeschützt“ hantieren. Drittens erneut der Hinweis: Wenn nun größere staatliche Mittel an die Märkte fließen, wird an diesen das ohnehin von der Geldpolitik verursachte, gefährliche Gedränge der Anleger noch größer. Und das wird über weitere Asset Inflation ganz konkret auch Pensionsinvestoren betreffen.
„Die umlagefinanzierte Rente wollen wir durch Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Arbeitnehmerinnen und -nehmern sowie erwerbsbezogene und qualifizierte Einwanderung stärken.“
Verbreiterung der Beitragszahlerbasis, gängiges Mittel der Politik zur kurzfristigen Stabilisierung, erkauft mit später virulent werdenden Ansprüchen. Probleme löst das aber nicht. Warum das eine Stärkung sein soll – völlig unklar.
„Die bAV wollen wir stärken, u.a. durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen.“
Gemeint ist wohl weniger die AnlV aufzubohren, sondern eher die Garantien bei BZML und boLZ anzufassen. Überfällige Maßnahme.
„Zusätzlich muss das mit dem BRSG bereits in der vorletzten Legislatur auf den Weg gebrachte SPM nun umgesetzt werden.
Über das „Wie“ schweigt man sich aus. Kein Wunder, dürfte doch die Tarifbindung zwischen FDP und SPD nicht gerade unstrittig sein.
Fazit: Große Würfe sind in der bAV nicht zu erwarten, namentlich nicht bei teuren Kernfragen wie dem 6a. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition dann aber auch den Fehler vermeidet, in der bAV neue Großbaustellen zu schaffen, die Arbeitgeber und Beschäftigte von jedem langfristigen Engagement nur abschrecken würden.
Wie dem auch sei, Altersvorsorge ist ohnehin nur ein spezielles Politikfeld. Doch ist sie stets eingebettet in die Gesamt-Performance eines Landes – denn ohne gute Performance keine stabile Altersversorgung, das ist sicher für jeden einsehbar. Allerdings sind die Ziele, die sich Deutschland am späten Vorabend seines demographischen Zusammenbruchs selbst vorgibt, durchaus ambitioniert, erst recht in der Kombination. Nur mal so aus der Erinnerung:
Die Energiewende stemmen und dabei aus Kohle, Atom und Gas sukzessive gleichzeitig aussteigen, parallel auch noch auf E-Mobilität umsteigen, außerdem die jetzt schon billionenschwere Transferunion zugunsten Südeuropas (Target-II, ANFA, QE-Abweichung vom Capital Key, Corona-Pakete… ) eher ausweiten statt eingrenzen, daneben das Spannungsverhältnis aus unstoppbarer Geldpolitik, Nullzins und anziehender Inflation aushalten, die Grenzen für die anhaltende Migration aus der Dritten Welt weiter offen halten, ständig steigenden BrainDrain verkraften, einen signifikanten Beitrag zum Schutz des Weltklimas leisten, dabei deutsche Kernindustrien wie den Verbrennungsmotor kleinmachen, außenpolitisch gegenüber zahlreichen Staaten mit Sanktionen operieren, gegenüber nahen und ferneren Nachbarn mit gutgemeinten fiskalischen und moralischen Ratschlägen und Ermahnungen auftreten, gleichwohl die zunehmenden Zentrifugalkräfte in der EU ruhigstellen, endlos lange Militäreinsätze in fernen Ländern ohne Exit-Strategie bewältigen – und dabei ganz am Ende auch noch in der Lage bleiben, die schon jetzt schwer angeschlagenen eigenen Sozialsysteme, namentlich die der Altersvorsorge, zukunftsfest machen. Die Liste der Ambitionen ließe sich fortsetzen. Der billionenschwere Aufwand für den nicht immer so ganz stringenten Umgang mit der Endlos-Pandemie ist da übrigens nur noch eine Fußnote. Und auf diese zusammenwirkende Multi-Problemlage hat Deutschland keine einzige strategische Antwort – außer der Notenpresse.
All das hier aufgezählte ist bestens demokratisch legitimiert, die weitaus große Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes – das gleichzeitig kollektiv, aber offenbar bester Laune und zukunftsfroh mit Riesenschritten ins Rentenalter marschiert – steht ausdrücklich hinter diesen Weichenstellungen; und deshalb wird diese hier von Kassandra auch nicht infrage gestellt.
Außerdem muss man auch konstatieren, dass die Deutschen einen Vorteil haben: ihre ungewöhnliche Leidensfähigkeit. Sie erdulden klaglos die wohl höchste Steuer- und Abgabenlast der Welt, belegen auch beim Renteneintrittsalter Spitzenplätze, aber stellen sich bei Rentenhöhe und Privatvermögen regelmäßig hinten an. Dies alles wird sich weiter manifestieren.
Nur die ewig pessimistische, stets einsame Kassandra beschleichen angesichts der geschilderten Gemengelage zuweilen leise, ganz leise Zweifel, ob dieses Land, das in 15 Jahren ein großes Altersheim sein wird, wirklich immer all das schafft, was es sich so vornimmt. Liefe die Notenpresse nicht auf QE-Hochtouren, würde die Realität sich für Deutschland sichtlich prekärer präsentieren (für Süd-Europa erst recht). Fest steht: Das Land steht unter Druck, und der demographische ist nur einer davon.
Die Welt (24. November): „SPD stärkste Kraft im Saarland und in Schleswig-Holstein.“
Damit niemand glaube, die Kröte sei in ihrer penetranten Schwarzmalerei auf die Ampel fokussiert, hier nun ein Blick auf die Lage der Union – und die ist noch weitaus düsterer:
Erst vor einem Monat hatte Kassandra gefragt, ob man in der CDU angesichts des „völlig kopf- und hirnlosen Herumlavierens“ nach der Bundestagswahl „vergessen hat, dass im Frühling drei LTW in Ländern anstehen, die derzeit noch von der Union regiert werden? Zunächst im Saarland und in Schleswig-Holstein, dann im Mai aber vor allem in Nordrhein-Westfalen? Dass man als Titelverteidiger hier also 3x sichtlich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat? Vorneweg im wichtigsten deutschen Bundesland Wahlen, die zu gewinnen für die CDU nie einfach war? Wo man mit gerade einer einzigen Stimme Mehrheit regiert?“
Hier nun der nächste Akt der Komödie: Die Welt berichtet von einer Umfrage, derzufolge die Saar-SPD im Vergleich zur Vorjahresumfrage elf Prozentpunkte zulegt, während die CDU gleich mal um zwölf Punkte abstürzt. Es liegt auf der Hand, dass hierfür keine lokalen Themen verantwortlich sind, sondern die Lage der Bundespartei.
Auch die Union steht unter Druck. Viel Zeit bleibt ihr nicht, ihre Angelegenheiten zu regeln. Zumindest nicht, wenn sie über starke Ministerpräsidenten und den Bundesrat überhaupt noch irgendeinen Einfluss auf die Bundespolitik der nächsten Jahre haben will.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.