Der KID-Kelch, mit dem via europäischer Rechtsverordnung ein Produktinformationsblatt unmittelbar und ohne jede weitere nationale Umsetzung auch für EbAV verpflichtend geworden wäre, ist in letzter Minute an der bAV vorbeigegangen – mit Einschränkungen. Wird die Neverending Story namens PRIPS nun damit zur Ending Story? Ja, zumindest vorerst.
So, nun haben sie sich also zusammengerauft. Am Dienstag Abend konnten sich die Verhandlungsdelegationen von Europäischem Parlament und Europäischem Rat im Trilog auf einen gemeinsamen Text für die PRIPS-Verordnung einigen, mit der Produktinformationsblätter für Finanzprodukte eingeführt werden. Die Behandlung von Altersvorsorgeprodukten war dabei stets einer der Hauptstreitpunkte, am Ende gar der einzig verbliebene. Der Kampf darum, ob die bAV, die in Brüssel auch in ihrer unternehmenseigenen Form offenbar zunehmend als Finanzdienstleistung identifiziert wird, dem Anwendungsbereich der Verordnung unterworfen werden soll, wogte hin und her. Nun ist man offenbar zu einem Kompromiss gelangt. Dieser sieht eine Ausnahme der bAV von der Verordnung vor, allerdings mit der Maßgabe einer Überprüfung dieser Maßnahme in vier Jahren. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, Mitglied im hier federführenden ECON-Ausschuss, kommentierte das Ergebnis: „Die bAV ist erst einmal nicht von der Verordnung betroffen – und das ist auch gut so. Sie ist klar verständlich und hat sich hat sich über Jahrzehnte bewährt. Umfassende Produktinformationsblätter stiften bei einem solchen Produkt nur unnötige Verwirrung und schaffen Bürokratie.“
Doch Ferber ist nur teilweise zufrieden: „Leider gibt es nach vier Jahren eine Überprüfungsklausel für diese Ausnahme. Es gilt also weiterhin wachsam zu bleiben, damit die Kommission diese Ausnahme nicht durch die Hintertür wieder zurückzieht.“
Neuer Standard zu neuem Zirkus
Regulierungen einzuführen und nach ein paar Jahren zu prüfen, ist offenbar zum Standard geworden in Brüssel. Entsprechend erfolgt derzeit die Überarbeitung des EU-Finanzaufsichtssystems (Review of the European System of Financial Supervision – ESFS), und auch der neue Vorschlag der Pensionsfondsrichtlinie sieht in ihrem Artikel 75 und analog in ihrem Erwägungsgrund 57 vor, dass vier Jahre nach Inkrafttreten der Direktive die Kommission die Richtlinie untersuchen soll. Ähnliches kennt man aus der Bankenregulierung.
Grundsätzlich ist die Strategie, getroffene Entscheidungen stets zu hinterfragen, natürlich nicht falsch. Auf der Ebene des Regulators beziehungsweise Gesetzgebers – auch oder gerade des europäischen – gibt es aber nicht minder wichtige Werte zu berücksichtigen, in erster Linie die der Kontinuität und der Rechtssicherheit. Und schon bei der Verabschiedung mühsam ausgehandelter Regularien anzukündigen, dass in Kürze der ganze Zirkus von neuem losgeht, ist alles andere als verlässlich. Es sei der Kommission zugerufen: Europa und seine Volkswirtschaften sind weder Spielwiese noch Experimentierlabor. Man schaffe gesetzliche Rahmenbedingungen aus einem Guss, oder – weil man infolge der Komplexität von 28 nationalen Systemen dazu nicht in der Lage ist – man lasse es.
Hintergrund I: Der Weg zur PRIPS-Verordnung
In das vielfältige europäische Regulierungsvorhaben „Packaged Retail Investment Products“ (PRIPS) für Retail-Produkte hätte nach dem Willen so mancher auch die bAV einbezogen werden sollen. Folge wäre gewesen, dass die bAV in Deutschland über eine unmittelbar rechtswirksame EU-Verordnung ohne jede Notwendigkeit einer nationalen Umsetzung wie gewöhnliche Retail-Finanzprodukte der Pflicht zu einem Key Information Document unterworfen wäre – und eine unschöne Doppelregulierung im Zusammenwirken mit der neuen Pensionsfondsrichtlinie entstünde. Besonders Teile des hier federführenden Wirtschafts- und Währungsausschusses (ECON) des EP unter der französisch-sozialistischen Berichterstatterin Pervenche Berès hatten sich stets eifrig für eine solche Regulierung eingesetzt (siehe unten „Chronik“). Damit brachte sich der Ausschuss zwischenzeitlich auch in eine Gegenposition zur Kommission (insofern gilt die oben erwähnte Mahnung Ferbers zur Wachsamkeit gegenüber der Kommission gegenüber dem EP selbst nicht minder). Die Kommission möchte die Regelungen zur Transparenz offenbar eher in der neuen Pensionsfondsrichtlinie verankert sehen und hat jüngst zu diesem Zweck in den vergangenen Donnerstag vorgelegten Entwurf der Richtlinie in sage und schreibe 20 Artikeln Informationspflichten in Form des Pension Benefit Statement (Artikel 38 bis 58) integriert.
Lange wogte das Schlachtenglück in Sachen bAV und PRIPS hin und her. Doch nachdem es zwischenzeitlich aussah, als würde sich die gemeinhin als gewieft geltende französische ECON-Berichterstatterin durchsetzen, kam es nun zur oben geschilderten vorübergehenden Herausnahme der bAV.
Bekanntlich neigt sich die Legislaturperiode dieses EP dem Ende zu. Neben der Mobilitätsrichtlinie (und anders als die Pensionsfondsrichtlinie) gilt PRIPS als eines der Projekte, die das EP noch schlüsselfertig übergeben will. Zu diesem Zweck müsste die Verordnung respektive das entsprechende Trilog-Ergebnis bis Mitte April final im Plenum besprochen werden. Da die Trilog-Ergebnisse vorher noch in die vierundzwanzig Amtssprachen übersetzt werden müssen (das EP befasst sich nur ausnahmsweise mit nur auf Englisch verfügbaren Vorlagen), drängt die Zeit mittlerweile massiv.
Hintergrund II: (Patho-)Genese einer EU-Verordnung
Am 21. Oktober 2013 hatte der ECON unter Berichterstatterin Berès in seinem Bericht Änderungen an dem Kommissionsvorschlag vom 3. Juli 2013 zu der Rechtsverordnung, in dem die bAV noch ausdrücklich ausgenommen war, gefordert. Der Kommissionsvorschlag hatte dazu explizit auf die Pensionsfondsrichtlinie (2003/41/EC) und Solvency-II-Richtlinie (2009/138/EC) verwiesen. In dem ECON-Bericht waren unter Berès diese eindeutigen Ausnahmetatbestände gestrichen worden, so dass die deutsche bAV wohl komplett der Pflicht zu einem KID unterworfen worden wäre. Die EVP-Fraktion im EP, der auch CDU und CSU angehören, hatte sich anschließend der Unterwerfung der bAV unter die Verordnung entgegengestellt und auf Initiative des Abgeordneten Werner Langen (CDU/EVP) beschlossen, mittels eines sogenannten Split-Votes bei der Abstimmung im EP explizit den betreffenden Artikel abzulehnen. Damit wäre dann automatisch der Kommissionsentwurf beschlossen worden, der im Gegensatz zu den Vorschlägen des ECON eine unzweideutige Herausnahme der bAV aus dem Regulierungsvorhaben vorsieht. Mit diesem Vorstoß war die EVP jedoch am 20. November 2013 im Plenum gescheitert. Der Europaabgeordnete Burkhard Balz (CDU/EVP) hatte sich seinerzeit gegenüber Leiter-bAV.de enttäuscht gezeigt: „Die bAV ist sicherlich nicht als solches als Finanzprodukt einzustufen, es geht schließlich im Wesentlichen um eine freiwillige Sozialleistung des Arbeitgebers. Mir fehlt absolut das Verständnis dafür, dass wir in diesem Punkt nicht von den Sozialdemokraten, den Grünen und den Linken unterstützt wurden.“
In dem damals vom EP verabschiedeten Entwurf heißt es in dem maßgeblichen Artikel 2:
„Diese Verordnung gilt für das Auflegen und den Verkauf von Anlageprodukten. Sie gilt jedoch nicht für folgende Produkte: (e) offiziell anerkannte betriebliche Altersvorsorgesysteme und individuelle Altersvorsorgeprodukte, für die das nationale Recht einen finanziellen Beitrag des Arbeitgebers vorschreibt und bei denen der Beschäftigte den Anbieter nicht wählen kann.“
Die Bedingungen sind kumulativ verknüpft, und eben diese rechtliche Obliegenheit einer Arbeitgeberfinanzierung gibt es in Deutschland nicht. Bei wörtlicher Auslegung wäre die hiesige bAV – so denn der Parlamentsentwurf sich im Trilog-Verfahren durchgesetzt hätte – ohne Umsetzung in nationales Recht der PRIPS-Regulierung unterworfen worden.
Die Einzelheiten der Entwicklung finden sich
hier,
und hier.