Der Jahresbericht der Aufsicht ist stets eine interessante Quelle, um sich ein Bild von Lage und Perspektive des Parketts zu machen, und die jüngste Ausgabe konstatiert für Pensionskassen und -fonds eigentlich eine unauffällige Marktlage. Doch ein paar Zwischentöne – die an verschiedensten Stellen im Bericht anklingen – lassen aufhorchen: Von Reserven zu Lasten, zwischen Tests und Prognoserechnungen und zu SIs, LSIs und NPLs.
Zur Erinnerung: 18 Pensionskassen haben nach derzeitigem Stand den aktuellen BaFin-Stresstest zum Jahresende 2023 mit einem negativen Ergebnis beendet. Dies hatte die Behörde auf Anfrage von PENSIONS●INDUSTRIES schon Mitte Mai bestätigt. Im Vorjahr waren es deren 15 (davor acht und Ende 2020 nur fünf).
Wie aus bisher unveröffentlichten BaFin-Informationen hervorgeht, hatten 117 von 129 Pensionskassen unter Bundesaufsicht einen Stresstest vorgelegt (der BaFin-Jahresbericht 2023 nennt übrigens nur die Zahl von 122 Pensionskassen unter Bundesaufsicht); 12 Kassen waren von der Pflicht zur Vorlage des Stresstests befreit (meist, weil die Risikotragfähigkeit aufgrund risikoarmer Kapitalanlagen ohnehin gegeben ist, oder weil die Kassen – etwa durch Bestandsübertragungen – aufgelöst werden).
Zwischen Test …
Noch zum Test – der im Frühjahr 2023 neu geordnet worden ist – an sich: Der PK-Stresstest misst, ob eine Pensionskasse nach einem Stress voraussichtlich noch die Eigenmittelvorschriften zum nächsten Bilanzstichtag erfüllen kann.
2023 simulierte der Test mit vier Stress-Szenarien eine kurzfristige, adverse Kapitalmarktveränderung und betrachtete die bilanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen für die Kassen.
Der Test umfasste ein Marktänderungsrisiko für Aktien, festverzinsliche Wertpapiere (des Umlaufvermögens) und Immobilien sowie ein Bonitätsrisiko für Fixed Income. Im isolierten Aktienszenario wurde ein Kursrückgang von 38% simuliert (alle technischen Einzelheiten finden sich in der diesbezüglichen Sammelverfügung der BaFin vom Januar 2023 hier).
Namen bei den „Durchfallern“ – die BaFin nutzt den Begriff nicht, da sie mit Recht darauf verweist, dass es sich nicht um einen Pass or Fail-Test handelt – des Stresstests und bei den Solva-Vorschriften nennt die Behörde bekanntlich grundsätzlich nicht. Zudem macht sie keine Aussagen, die Rückschlüsse auf einzelne Kassen ermöglichen.
Was sie aber mitteilt: Bei allen Kassen mit negativem Ergebnis seien in aller Regel kurzfristig Aufsichtskontakte vorgesehen, um die Gründe für das negative Ergebnis zu ermitteln und ggf. Maßnahmen zu erörtern.
… und dauernder Erfüllbarkeit
Die Ergebnisse des Stresstests zeigten, so die Anstalt gegenüber PENSIONS●INDUSTRIES, dass „der weit überwiegende Teil der Pensionskassen auch in Stresssituationen eine ausreichende kurzfristige Risikotragfähigkeit aufweist. Die Anzahl der Pensionskassen, bei welchen ein negatives Ergebnis vorliegt, liegt ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres. Die Gründe für den leichten Anstieg der Anzahl sind weitestgehend unternehmensindividuell. Der höhere Aktienstress im Vergleich zum Vorjahr war sicherlich ein belastender Faktor.“
BaFin-Sprecher Norbert Pieper betonte außerdem, dass der Stresstest lediglich die kurzfristige Risikotragfähigkeit bzw. Widerstandsfähigkeit der Pensionskassen bei adversen Kapitalmarktveränderungen misst. „Der deutliche Zinsanstieg des Jahres 2022 und der damit einhergehende Rückgang der Bewertungsreserven bzw. die Entstehung der stillen Lasten wirkt sich zunächst belastend auf die Risikotragfähigkeit der Pensionskassen aus. Die gestiegenen Zinsen haben jedoch einen positiven Effekt auf die Neu- und Wiederanlage“, so Pieper, und mittel- bis langfristig dürften die Kassen wieder mit höheren laufenden Kapitalerträgen rechnen. „Dies dürfte sich wiederum positiv auf die Risikotragfähigkeit und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verpflichtungen auswirken“, so der BaFin-Sprecher weiter.
Der zweischneidige Zins …
Ein etwas ausführlicherer Blick in den BaFin-Jahresbericht 2023 bestätigt die Aussagen Piepers und zeigt, dass die nunmehr offiziell 122 unter Bundesaufsicht stehenden Pensionskassen (2020: 135) ihre wirtschaftliche Lage durch die gestiegenen Zinsen verbessert haben.
„Durch das höhere Zinsniveau wurde die Neu- und Wiederanlage wieder ertragreicher.“
In der Rubrik „Unternehmensaufsicht“ liest sich das dann etwas deutlicher:
„Die vom Niedrigzinsumfeld der vergangenen Jahre besonders betroffenen Pensionskassen wurden durch den Zinsanstieg entlastet, da sich die Ertragschancen in der Neu- und Wiederanlage verbesserten.
Gleichwohl schmolzen die stillen Reserven der Kassen, bei vielen entstanden stille Lasten. Die Prognoserechnung der BaFin zum Stichtag 30. September 2023 zeigt für die Branche insgesamt eine bessere, je nach Szenario jedoch bei einigen Pensionskassen noch angespannte Situation.
Die Zahl der Kassen unter intensivierter Aufsicht hat sich im Jahr 2023 von rund 30 auf unter 20 reduziert. Den Prognosen zufolge konnten drei Pensionskassen die Solvabilitätsvorschriften zum 31. Dezember 2023 nicht einhalten.“
… sorgt für Unruhe
Zwischenfazit: Ganz so ruhig ist der PK-Markt denn doch nicht (mehr). Darauf hatte BaFin-Abteilungsleiter Andreas Seiltz auf der aba-Tagung hingewiesen. O-Ton:
„Rund 50% der Kassen sind ohne Neugeschäft, der Markt konsolidiert sich insgesamt, die Anzahl der Kassen unter Aufsicht ist auf 124 reduziert. Und: Die BaFin sieht es positiv, wenn sich Kassen rechtzeitig mit ihrer Zukunft beschäftigten, und sie ist bereit, Unternehmen bei Suche und Umsetzung geeigneter Lösungen, etwa Bestandsübertragungen, proaktiv zu unterstützen.“
Es sei erneut betont: Die Aussagen Seiltzens lassen gerade in Zusammenhang mit dem überraschenden Auftauchen des ominösen § 3 Abs. 7 BetrAVG im RefE zum BRSG II aufhorchen.
Rätsel Real Estate
Noch etwas, das im Jahresbericht erstaunlicherweise im Zusammenhang mit Pensionskassen gar nicht thematisiert wird und damit auch nicht als Problem durchschimmert, obwohl man auf dem Parkett von Marktteilnehmern hinter vorgehaltener Hand durchaus viele Gerüchte hört: die Risiken aus Korrekturen an den Immobilienmärkten. Das betrifft auch Pensionskassen, doch die BaFin will die Lage dort offenbar nicht dramatisieren, denn dazu steht im Bericht kaum ein ausdrückliches Wort. Generell scheint die Behörde das Thema Real Estate aber durchaus umzutreiben. Dafür sprechen einige Passagen, die verstreut im Jahresbericht auftauchen, z.B. bei den Banken:
„Nachdem die Märkte für Immobilien viele Jahre geboomt hatten, sanken im vergangenen Jahr die Preise in diesem Segment deutlich, vor allem für Gewerbeimmobilien. Die Kreditvergabe stockte, weil die Nachfrage sank und die Institute ihre Kreditvergabestandards strafften. Die Kreditqualität verschlechterte sich, und der Wert der Kreditsicherheiten geriet unter Druck.“
…
In Deutschland gab es im Jahr 2023 noch keine flächendeckenden Ausfälle bei gewerblichen Immobilienfinanzierungen. Doch die NPL-Quoten für Gewerbeimmobilienkredite stiegen im zweiten und dritten Quartal 2023 deutlich an. NPL steht für Non-Performing Loans, also notleidende Kredite. Die NPL-Quote bezeichnet das NPL-Volumen im Verhältnis zum Kreditbestand in Prozent. Im vierten Quartal setzte sich diese Entwicklung mit erhöhter Dynamik fort. LSIs mit hohem Gewerbeimmobilien-Exposure begleitete die BaFin eng, unter anderem durch Werthaltigkeitsprüfungen. Sie analysierte regelmäßig die Kreditvergabe der Institute und ihre Immobilienfondsanteile.
Und noch ein Zitat aus dem Bankenbereich, welches auf Probleme in der Asset-Klasse insgesamt hindeutet:
„Deutsche SIs (Significant Institutions) mit hohen Gewerbeimmobilien-Exposures mussten ihre Risikovorsorge im gesamten Jahresverlauf, insbesondere im vierten Quartal 2023, deutlich erhöhen. Dies galt vor allem für die Institute, die stark am US-amerikanischen Gewerbeimmobilienmarkt investiert waren.“
Dabei bemerkt die Anstalt korrekt, dass Luftablassen immer erstmal erwünschte Stabilität bedeutet – solange es halt nicht kracht:
„Zwar wirkt es sich grundsätzlich positiv auf die Finanzstabilität aus, wenn Überbewertungen abgebaut werden. Zunächst kann diese Entwicklung die Ertragslage der Institute aber stark belasten. In einigen Fällen könnten Kreditausfälle die Institute sogar gefährden, wenn, diese nicht ausreichend diversifiziert sind und in besonders kritische Segmente investiert haben.“
Und schließlich hießt es heißt es im Jahresbericht zu den VU:
„Auch Versicherer waren von den oben genannten Entwicklungen betroffen, da sie als institutionelle Investoren traditionell in Wohn- und Gewerbeimmobilien investieren bzw. Hypothekendarlehen vergeben. Sie mussten ihre Engagements zum Teil neu bewerten. Einige mussten bedeutende Abschreibungen auf einzelne Engagements vornehmen.“
Wie sehr Lebensversicherer und Pensionskassen auch mittelbar davon mitbetroffen sein könnten, zeigt auch diese Wertung aus dem BaFin-Jahresbericht:
„Lebensversicherer und Pensionskassen fragten mehr Pfandbriefe nach als 2022 und kompensierten so teilweise die rückläufige Nachfrage der EZB, die ihr Pfandbriefankaufprogramm weiter sukzessive zurückfuhr. Dämpfend wirkte ein geringes Aktivgeschäft, was in erster Linie auf die schwache Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen zurückzuführen war. Die Pfandbriefbanken haben daher weniger Hypothekenpfandbriefe emittiert.“
Die BaFin analysiert bekanntlich auch Kapitalanlagen in Investmentfonds und Wertpapierspezialfonds. Letztere sind auch bei Pensionskassen typisch. Dazu heißt es im Jahresbericht:
„Die BaFin analysierte im Jahr 2023, wie risikoorientiert ausgewählte Unternehmen mit den Anlageklassen Private Debt, Private Equity und Hypothekendarlehen umgehen. Auch die Finanzierung von Immobilienprojekten sowie Investitionen in Infrastrukturprojekte untersuchte die Aufsicht.
Den Großteil solcher Investments tätigen Versicherer indirekt über Fonds, wobei sie in der Regel auf spezialisierte Fondsmanager zurückgreifen. Es zeigte sich, dass die Versicherer die besonderen Risiken dieser Anlageklassen im Allgemeinen korrekt einschätzen.
Darüber hinaus untersuchte die BaFin, welche Risiken bei ausgewählten Unternehmen mit der indirekten Anlage in Wertpapierspezialfonds einhergehen. Die BaFin konzentrierte sich dabei auf die Frage, wie transparent das Berichtswesen und das Risikomanagement sind.
Es zeigte sich, dass Versicherer recht heterogene Kapitalanlagekonzepte für Spezialfonds haben, die zum Teil für ihre individuellen Anforderungen entwickelt wurden. In einigen Fällen tätigten Versicherer komplexere und risikoreichere Anlagen, um höhere Renditen zu erzielen.“
Pensionsfonds (fast) tiefenentspannt?
Reichlich entspannt liest sich der Jahresbericht zum Thema Pensionsfonds. Die 35 unter Bundesaufsicht stehen Fonds verbuchten 3,3 Mrd. Euro Bruttobeiträge (2022 allerdings noch 4,1 Mrd. Euro, der Zinsanstieg mit seiner Wirkung auf das Outside Funding lässt grüßen) und damit – immerhin – etwa halb so viel wie die 122 Pensionskassen. Die Kapitalanlagen machten 58,7 Mrd. Euro aus (2022: 54,7 Mrd. Euro), also mehr als ein Viertel der 206 Mrd. Euro der 122 Pensionskassen, und die Solvabilitätsbedeckung ist mit 194,7% deutlich besser als bei Pensionskassen (147,7%):
Quelle: BaFin. Grafik zur Volldarstellung anklicken.
Konkret heißt es im Jahresbericht weiter:
„Die von der BaFin beaufsichtigten Pensionsfonds können die vier Szenarien der Prognoserechnung zum Stichtag 30. September 2023 wirtschaftlich tragen.“
Aber auch hier bilanzielle Bremsspuren:
„Der Zinsanstieg führte bei den Pensionsfonds zu stillen Lasten im versicherungsförmigen Geschäft, in dem Pensionsfonds selbst das Risiko für die Erfüllung der Verpflichtungen tragen.
Gleichwohl gilt:
„Alle Pensionsfonds verfügen für das Geschäftsjahr 2023 und für die vier folgenden Geschäftsjahre über ausreichende Eigenmittel. Bei etwa zwei Dritteln der Pensionsfonds entspricht die aufsichtsrechtlich geforderte Eigenmittelausstattung dem Mindestbetrag der Mindestkapitalanforderung: Für Aktiengesellschaften beträgt diese drei Mio. Euro, für Pensionsfondsvereine aG 2,25 Milo. Euro.“
Fazit von PENSIONS●INDUSTRIES:
Bei Pensionskassen -und fonds wirkt die Lage – Stand Ende 2023 – eher unkritisch. Dass der schnelle Zinsanstieg Wirkung hat, haben muss, ist klar: Bei Zinsträgern schmilzen die stillen Reserven offenkundig (doch da diese bei EbAV im Anlagevermögen bis zur Maturity gebucht werden können, ist das nicht per se problematisch). Mehr Krisenpotential dürfte dem Segment Real Estate, v.a. Gewerbe, inne wohnen. Verständlicherweise will die deutsche Aufsicht das Thema Immobilien-Neubewertung nicht dramatisieren. Vielleicht besteht dazu auch – noch – kein Anlass. Man wird sehen.
Der BaFin-Jahresbericht 2023 findet sich hier.
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