Anfang 2021 hat der Gesetzgeber das Thema Liquidationsversicherung neu geregelt – auf den ersten Blick in völlig unspektakulärer Weise. Jedoch: Ob die neuen Vorschriften, die meist mit Nachdotierungen einhergehen dürften, den zahlreichen für Unternehmensliquidationen Verantwortlichen mit Masse schon bekannt sind, fragen Tanja Hahlen und Andreas Fritz.
Die Entwicklung eines Unternehmens kann niemand voraussehen. Soll ein Unternehmen aus ökonomischen oder gar taktischen Gründen im Rahmen von Umstrukturierungsprozessen liquidiert werden, so dürfen am Ende keine Verpflichtungen mehr bestehen. Dies gilt naturgemäß auch für Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung.
Seit dem Jahr 1999 ist die hierfür erforderliche Freistellung von Versorgungsverpflichtungen nach den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 BetrAVG durch schuldbefreiende Übertragung auf ein Unternehmen der Lebensversicherung oder eine Pensionskasse möglich. Das bedeutet zugleich, dass das LVU oder die Pensionskasse als originärer Versorgungsschuldner in die Zusage eintritt und den ehemaligen Arbeitgeber hiervon exkulpiert. Diese Form der Übertragung ist als Liquidationsversicherung bekannt und nach nunmehr über 20 Jahren auch marktüblich.
Mit der Einführung der Insolvenzsicherungspflicht von Pensionskassenzusagen zum 1. Januar 2021 und der damit einhergehenden Gesetzesreform wurde § 4 Abs. 4 BetrAVG jedoch angepasst – und auf einmal ist nicht mehr alles bekannt; der bAV-Markt muss sich – wie so oft – neu aufstellen. Was wurde nun genau angepasst?
Bei der Übernahme einer Versorgungsverpflichtung durch eine regulierte Pensionskasse ist nunmehr sicherzustellen, dass der zur Finanzierung erforderliche Einmalbeitrag mit dem Höchstzinssatz nach der Deckungsrückstellungverordnung kalkuliert wird (seit dem 1. Januar 2022 sind dies 0,25%). Auf den ersten Blick ist diese Anforderung wenig aufregend, da der erforderliche Einmalbeitrag für eine Übertragung von Versorgungsverpflichtungen bei Liquidation schon immer nach den aktuell gültigen Tarifen ermittelt wird und der Höchstzinssatz dort in aller Regel zugrunde liegt. Auf den zweiten Blick ist die Regelung allerdings sehr spannend.
Pensionskassenzusagen – Hindernis oder Chance?
Je nachdem, wann eine Pensionskassenzusage erteilt wurde, entspricht der zugrundeliegende Tarifzins nicht dem aktuell gültigen Höchstzins von 0,25%. Vielmehr waren die Tarifzinsen in der Vergangenheit deutlich höher. Sind Altzusagen über eine Pensionskasse jetzt ein Hindernis für eine Unternehmensliquidation?
In der Gesetzesbegründung zur Änderung des BetrAVG (BT-Drucksache 19/19037, S. 22 vom 6. Mai 2020) wird deshalb klargestellt, dass nach der Übernahme einer Versorgungsverpflichtung durch eine Pensionskasse keine subsidiäre Arbeitgeberhaftung bei Leistungskürzungen mehr besteht. Da eine Unternehmensliquidation nicht mit einer Unternehmensinsolvenz gleichzusetzen ist, besteht folgelogisch auch kein Schutz durch den Pensionssicherungsverein. Dadurch sind diese Versorgungsverpflichtungen besonders schutzbedürftig.
Der Gesetzgeber führt in seiner Begründung ebenso aus, dass die Neuberechnung der Verpflichtung auch dann erforderlich ist, wenn eine Pensionskassenzusage besteht und im Falle der Liquidation durch die Pensionskasse selbst fortgeführt wird. Durch diese Klarstellung wird deutlich, dass das Bestehen einer Pensionskassenzusage nicht zu einem grundsätzlichen Hindernis für die Liquidation eines Unternehmens wird. Denn durch eine aktuelle Kalkulation nach dem Höchstzinssatz wird das Risiko von Leistungskürzungen erheblich reduziert. Damit ist dem Schutz der Verpflichtungen ausreichend genüge getan und eine Liquidation möglich. Das vorhandene Pensionskassenvermögen ist mit einer Einmalzahlung so weit aufzufüllen, dass das Vermögen dem Wert nach Neuberechnung der Verpflichtung mit dem Höchstzinssatz entspricht.
Mit dieser Regelung kann der Versorgungsberechtigte auch nach erfolgreicher Liquidation seines ehemaligen Arbeitgebers beruhigt auf seine Altersversorgung schauen. Ebenso ist dies eine Chance für die Pensionskassen ihr Zinsversprechen auf den Höchstzinssatz anzupassen.
Fatale Auswirkungen einer „fehlerhaften“ Liquidation?
Zu Beginn des Liquidationsprozesses ist ein Liquidator zu benennen, der die gesamte Abwicklung verantwortet. In den meisten Fällen ist das der bisherige Geschäftsführer, es kann aber auch eine andere Person benannt oder durch das Registergerecht bestellt werden.
„Erfolgt die Auflösung ohne schuldbefreiende Abwicklung, liegt eine fehlerhafte Liquidation vor.“
Fraglich ist, ob den Unternehmen bzw. den für die Liquidation Verantwortlichen in der Breite bereits präsent ist, dass im Falle einer Liquidation nun anders als bisher auch bereits bestehende Pensionskassenzusagen abzuwickeln bzw. zur Liquidation neu nach aktuellem HRZ zu kalkulieren und ggf. entsprechende finanzielle Mittel für eine Liquidationsversicherung bereitzustellen sind. Dies ist von großer Bedeutung, denn: Stellt sich heraus, dass eine Liquidation nicht möglich ist und zudem nicht alle Verbindlichkeiten erfüllt werden können, muss der Liquidator einen Antrag auf Insolvenzeröffnung stellen. Eine Insolvenz soll aber in den meisten Fällen der angestrebten Liquidation gerade vermieden werden.
Erfolgt die Auflösung hingegen ohne schuldbefreiende Abwicklung, liegt eine fehlerhafte Liquidation vor. Jedoch können im Zweifel die Versorgungsberechtigten bei Leistungsherabsetzungen der Pensionskasse keinen Ausgleich geltend machen, da der ehemalige Arbeitgeber nicht mehr existiert. Diese Auswirkung wollte der Gesetzgeber verhindern. Daher werden in solchen Fällen die Gerichte darüber zu entscheiden haben, ob der Liquidator persönlich in die Haftung genommen werden kann und sich bei Verschulden verantworten muss.
In Zahlen: Allein 2020 gab es 223.647 gewerbliche Liquidationen in Deutschland; im Jahr 2019 waren es 275.628 (Quelle: Statista). Nach weiteren statistischen Erhebungen entfallen ca. 28% aller Deckungsmittel der bAV in Deutschland auf den Durchführungsweg der Pensionskasse (Ralf Klein, Hoechster Penka).
Ausblick?
Es ist anzunehmen, dass die schuldbefreiende Übernahme einer Pensionskassenzusage künftig ein nicht seltener Geschäftsvorfall von Pensionskassen sein wird. Das spannende dabei ist, dass dies nunmehr wohl für alle Pensionskassen gelten wird und nicht länger nur für solche, die bereits seit dem Jahre 1999 auf dem Liquidationsversicherungsmarkt aktiv sind. Es gilt sich also vorzubereiten und durch Beratung und Aufklärung „fehlerhafte“ Liquidationen zu vermeiden.
Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.
Tanja S. Hahlen ist Bereichsleiterin bAV-Beratung der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG.
Andreas Fritz ist Vorstand der Pensionskasse für die Deutsche Wirtschaft VVaG.
Von ihnen und anderen Autorinnen und Autoren der PKDW sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:
Umfrage der PKDW: Podiumsdiskussion auf der Fachtagung der Pensions-Akademie: Unternehmensliquidation und bAV: Von fehlender Nachvollziehbarkeit, Angst, Wettbewerbsverzerrung und mehr... Entgeltumwandlung 2.0: Insolvenzschutz einmal anders
Boomer, Zoomer, bAV
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Achtung, Liquidator!
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