Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

24. HB-Jahrestagung bAV (I):

Von ministerialen Neigungen, fünf Mythen und …

grundlegenden Zweiflern: Gestern der Haupttag der diesjährigen Handelsblatt-bAV-Tagung in Berlin. Detlef Pohl war dabei – und hörte, wer bald wieder anspringen dürfte, wer schon in Arbeit ist, an wem als Ziel festgehalten wird, wer ausgeleuchtet wurde, was gebohrt werden muss, was kein Nonplusultra ist und und und …

Die Entwicklungen in der bAV vollziehen sich noch immer zäh, denn das politische Berlin lässt sich Zeit mit Reformen. Einige Verbesserungen bei Betriebsrenten zeichnen sich ab, trotz Gegenwinds des IG Metall-Gewerkschaftstages zum Sozialpartnermodell. Derzeit läuft die 24. HB-bAV-Tagung in Berlin. LEITERbAV-Autor Detlef Pohl dokumentiert vom gestrigen Haupttag Auszüge einiger Referenten aus Politik und Industrie – wegen der Inhaltsdichte imLbAV -Stakkato, der Redaktion und Leserschaft gleichermaßen schont (sämtlich im Indikativ der Referenten).

Walk: Inflation sinkt vorerst, bleibt aber volatil

Die Inflation bleibt in nächsten 12 bis 15 Monaten gering, bleibt danach aber jahrelang hoch im EU-Raum, prognostiziert Edgar Walk, Chefvolkswirt bei Metzler Asset Management:

+++ nach Inflationsrate in EU von teilweise über 10% 2022 rechnen Finanzmärkte mit Rückgang auf 3% 2024 +++ unerwartet hohe Inflation auch, weil Pandemie Angebot und Nachfrage im globalen Warenverkehr durcheinandergebracht hatte +++

Edgar Walk, Metzler. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ nach dramatischem Anstieg der Erzeugerpreise 2022 und 2023 nun Rückgang um 15% erwartet +++ auch Lohndynamik schwächt sich 2024 ab, obwohl gestiegene Löhne nicht wieder unter das neue Niveau sinken (Lohn-Preis-Spirale) +++ bedeutet strukturell höhere Inflationsrate +++ Inflation wird volatil bleiben und „springt 2025 und 2026 wieder an“ +++ klassische konservative Anlageklassen wie Staatsanleihen erzielen plötzlich wieder sprunghaft hohe Renditen, weil Bond-Risikoprämien in USA vor starkem Anstieg stehen und EU-Markt folgen dürfte +++ Renditeanstieg von 100% und mehr denkbar +++ hat direkte und indirekte Auswirkungen auf bAV-Beteiligte +++

Arbeitnehmer brauchen umso mehr gut gestaltete und ausgestattete bAV +++

Conrads: Verbesserte Betriebsrente eher ein Mythos

Die Entwicklung der bAV-Verbreitungsquote ist ernüchternd und will trotz BRSG und aller sonstigen Bemühungen nicht so recht steigen, erinnert Heinke Conrads, im Vorstand der Allianz Lebensversicherung zuständig für das Ressort Firmenkunden:

+++ Einnahmequellen heutiger Rentner zu 61% aus gesetzlicher Rente; bAV und pAV zusammen lediglich15% +++ angesichts von über 100 Mrd. Euro Steuerzuschuss p.a., um das eigentlich umlagefinanzierte System zu finanzieren, unumgänglich, andere Säulen zu stärken, insb. bAV +++ nur 20% der Arbeitnehmer geben an, sich Beiträge nicht leisten zu können +++

Heinke Conrads, Allianz LV. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ 5 große Mythen rund um bAV-Verbreitung der bAV: Einigkeit, dass Verbreitung verbessert werden muss; Arbeitgeber nicht motiviert, AG-finanzierte bAV einzurichten; Arbeitgeber, die keine bAV anbieten, tun dies wegen Haftungsrisiken nicht; immer komplexere Regulierung hilft bei Stärkung der Altersvorsorge; weitere Verbreitung gelingt nur mit neuen „Systemen“ +++

+++ Besteht eigentlich politischer und gesellschaftlicher Konsens, dass bAV gestärkt werden muss und ihre weitere Verbreitung wichtiges und erstrebenswertes Ziel ist, fragt Conrads, und verweist auf Zweifler „bereits an dieser ganz grundlegenden Stufe“ +++ manche befürworten eher Stärkung gesetzlichen Rente zulasten bAV +++ entspricht Absage an kapitalgedeckter Altersvorsorge +++ Substanz kann aber durch Investitionen in Substanzwerte, also durch Kapitaldeckung, aufgebaut werden +++ kollektives Sparen hatGlättungsmechanismen, die beim individuellen Sparen fehlen: sei es im Auffangen von Risiken, wie BU oder Langlebigkeit, oder sei es bei Kapitalanlage selbst +++

+++ brauchen Förderung der Eigenverantwortung, allerdings auch Ermutigung der Menschen, sinnvoll für ihr Alter vorzusorgen +++ Studie von Allianz Pension Partners mit Umfrage unter rund 150 Unternehmen zur Selbsteinschätzung zeigt: rund ein Drittel in bAV minimalistisch, 59% sehen sich in der Benchmark- und nur 7% in der High-End-Gruppe +++ Trend, bAV in übergreifendere Benefits-Strategie einzubetten +++ bAV ist mit Abstand beliebtestes Benefit, das sollte es Arbeitgebern erleichtern, mit verstärkten und verbesserten bAV-Angeboten zu punkten +++ für weitere bAV-Verbreitung braucht es gemeinsam fokussierten Willen (ohne Ablenkung durch Nebenthemen), sachliche, von Expertise geprägte und ideologiefreie Diskussion sowie Würdigung und Stärkung der bestehenden Systeme durch verlässlichen Rahmen sowie Komplexitätsreduktion +++

Toncar: Altersvorsorge-Reform jetzt (erst) zum 1. Januar 2025

Die Fokusgruppe private Altersvorsorge hat den Problemaufriss und Lösungsvorschläge fertig, bilanziert Florian Toncar, parlamentarischer StS im BMF, und wiederholt die Ergebnisse:

+++ Prüfaufträge meist mit hoher Mehrheit getroffen +++ am wichtigsten: kein Staatsfonds mit Zwangseinzahlung, kein Auto-Enrollment, Reform der Zulagenrente und deren Fördersystematik, mehr Produkt-Wettbewerb auch durch neues Wertpapierdepot +++

Florian Toncar, BMF. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ mehrere Problemfelder noch in Diskussion, darunter Streichung der Förderung von Absicherungen, die über reine Altersvorsorge hinausgehen +++ Wechseloptionen auch in der Rentenphase verbraucherfreundlich, aber für Kalkulation der Anbieter schädlich +++ lebenslange Rente bei Riester weiter erlaubt (bisher ab 85 Pflicht), aber Alternative ohne feste Altersgrenze angedacht, um hohe Langlebigkeitskosten zu senken +++ Kinderzulage soll vereinheitlicht, Mindesteigenbeitrag abgeschafft und genereller nachträglicher Verlust der Förderung verhindert werden +++

+++ „Neigung, sich bei Gesetzgebung am Abschlussbericht der Fokusgruppe zu orientieren“ +++ Ziel: Kosten runter, Wettbewerb rauf und auch Altersvorsorgedurchdringung steigern +++ Gesetzgebungsverfahren soll 2024 beginnen, „schon in Arbeit“ +++ bisher kein konkreter Monat für InKrafttreten, aber zum 1. Januar 2025 wahrscheinlich (Hintergrund: Vor Jahresfrist hatte Toncar Gesetzesvorlage schon für den Winter 2022/2023 angekündigt) +++ Staat muss vitalen Wettbewerb in dritter Säule erhalten, nicht selbst zum Anleger werden +++

+++ Exkurs zum Generationenkapital in GRV: Aktienrücklage mit öffentlichen Mitteln und unabhängiger öffentlich-rechtlicher Stelle als Verwalter +++ jetzt „reifes Beratungsstadium“ +++ Höhe im Haushalt 2024 noch geheim +++ kein Sondervermögen, sondern eingebracht als Stiftungskapital +++ Vermögenssubstanz darf nicht angegriffen werden, Ausschüttungen nur aus Überschüssen erlaubt +++

Schmachtenberg: Nach Fachdialog gemeinsamer Gesetzentwurf geplant

Die Ergebnisse des Fachdialogs Betriebsrente sind ermutigend, ruft Rolf Schmachtenberg, beamteter StS im BMAS, in Erinnerung:

+++ GRV zweifellos Herzkammer unserer Altersversorgung, wobei nun dauerhafte Sicherung der Haltelinie für 48% Rentenniveau über 2025 hinaus auf Agenda steht +++ gutes Leben im Alter über Zusatzrente möglich, kollektiv organisierte Betriebsrente gut geeignet, da passgenau, kostengünstig und effizient +++

Rolf Schmachtenberg, BMAS. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ erste beiden SPM haben Arbeit in Praxis aufgenommen +++ IG Metall-Gewerkschaftstag hat zuletzt gegen SPM entschieden; Hauptbeweggrund scheint Ablehnung des Prinzips der reinen Beitragszusage gewesen zu sein +++ „hier hat sich leider bewahrheitet, dass Umsetzung des Modells in der Praxis kommunikative Herausforderung erster Güte ist“ +++ IG-Metall-Beschluss gegen reine Beitragszusage „bedauerlich“ und zugleich „sehr sportlich“, da man dennoch Ergebnisse oberhalb der rBZ anpeilt +++ „Ich sehe an dieser Stelle sachlich keine echte Alternative und bin von Qualität dieses Modells weiterhin überzeugt“ +++ Dicke Bretter müssten nun mal gebohrt werden +++ „Wir halten deshalb am Ziel fest, SPM für möglichst viele Unternehmen und Beschäftigte nutzbar zu machen“ +++

+++ im Fachdialog Betriebsrente alle Winkel des weiten bAV-Feldes ausgeleuchtet +++ seitens BMAS noch keine abschließenden Festlegungen +++ SPM soll möglichst in Breite kommen, auch durch Öffnung für nichttarifgebundene Dritte +++ wichtige Klarstellung: auch mangelhafte Beteiligung der Sozialpartner führt nicht dazu, dass Arbeitgeber wieder haften +++ künftig noch mehr Kompetenzen für Sozialpartner angedacht, etwa für flexiblere Abfindungsmöglichkeiten und höhere Abfindungsgrenzen +++

+++ auch andere Themenfelder in Richtung Gesetzgebung weiterzudenken, etwa Forderung, unter bestimmten Bedingungen Opting-out auf Betriebsebene zu erleichtern +++ angepackt werden soll auch vorzeitiger Betriebsrentenbezug: da Hinzuverdienst bei gesetzlicher Rente neu geregelt, erscheint Betriebsrentenrecht nicht mehr passend +++ weitere Aspekte im Gesetzgebungsverfahren mit insgesamt 24 Regelungspunkten: Schärfung des SPM-Begriffs, neue Definition des Begriffs Pensionskasse, Änderungen in Anlageverordnung +++ nicht zuletzt: Gesetzgebungsverfahren soll Arbeit des PSV durch „digitales Update“ optimieren +++

+++ BMAS arbeitet aktuell an Gesetzesformulierungen +++ auch BMF arbeitet an Regelungen im Finanzaufsichts- und Steuerrecht +++ derzeit gemeinsamer Gesetzentwurf von BMAS und BMF geplant, Arbeitstitel: „Betriebsrentenstärkungsgesetz 2024“ mit drei Schwerpunkten Verbesserungen im Arbeits-, Steuer- und Finanzaufsichtsrecht +++

Diskussion: Fachdialog muss sich bald niederschlagen

Die Ergebnisse des Fachdialogs sollten bald umgesetzt werden, um Verlässlichkeit bAV bei Arbeitnehmern zu stabilisieren, hofft Kerstin Schminke, Geschäftsführerin der Metallrente:

+++ Niedrigzins und Inflation haben bereits unter aktuellen politischen Rahmenbedingungen Änderungen im Produktportfolio der Metallrente erforderlich gemacht, etwa Direktversicherung mit abgesenkter Garantie +++ Inflationsausgleich kurzfristig nicht möglich, aber langfristig machbar, etwa über Metallrente-Pensionsfonds +++ notwendig: auch außerhalb dieses Dialogs individuelle Gespräche mit Akteuren führen +++ jede Branche hat ihre eigenen Steine aus Weg zu räumen +++ Signal an Politik: Wir brauchen keine Verhinderungsdebatten, z.B., ob SPM nicht mehr nur tarifexklusiv, sondern auch betrieblich möglich sein sollen +++ Sozialpartnerschaft findet auf Augenhöhe statt, ist ausbalanciert und vermischt nichts mit anderen betrieblichen Interessen außerhalb der bAV +++ IG Metall hat jetzt keinen Abgesang auf bAV gemacht, sondern weitere bAV-Förderung bekräftigt +++ mit Metallrente (1 Mio. Versorgungsberechtigte) besteht bereits sozialpartnerschaftliches Branchenversorgungswerk +++ SPM ist nicht Nonplusultra +++

Rolf Schmachtenberg, Kerstin Schminke, MetallRente, Georg Thurnes, aba, und Moderator Frank Specht, Handelsblatt (v.l.n.r.).
Foto: Dietmar Gust, Euroforum, Handelsblatt.

In Schweden gibt es überparteiliche AG, die einzig und allein und nur einstimmig Änderungen bei Altersvorsorge beschließen darf, erinnert Georg Thurnes, Vorstandschef der aba:

+++ bAV-Weiterentwicklung auf Basis des Fachdialogs nun möglich und in Teilen realistisch +++ vor allem steuerliche Punkte dürften hinter Erwartungen zurückbleiben +++ deutlich mehr Verbreitung der bAV kurzfristig nicht zu erwarten +++ erfolgreiches Metall-Versorgungswerk Metallrente sollte Fingerzeig sein, IG Metall nicht zu sehr wegen aktueller Absage an SPM zu kritisieren +++ reine Beitragszusage hat weiter Reiz für viele Arbeitgeber, bAV-Haftung zu begrenzen +++

Fazit von LEITERbAV: AV-Konzepte im Wettstreit

+++ Einstieg in rBZ machte vor Jahresfrist reale Hoffnung auf baldige Nachahmer +++ Erfolgsrezept ist und bleibt frühzeitige Einbeziehung aller Tarifpartner und der durchführenden Einrichtung auf Augenhöhe und schnelle Einbindung der BaFin +++ doch es mangelt an Nachahmern, zumal Gesetzgebung wohl erst Anfang 2025 manche Hindernisse beiseite räumt +++ SPM erlaubt hohen Freiheitsgrad bei Kapitalanlage mit attraktiven Anlageklassen, die Inflation trotzen können, zeigen erste Erfahrungen (dazu mehr auf LbAVin den nächsten Tagen) +++ viele Details noch offen, aber an guter Perspektive für rBZ ändert sich nichts +++ bAV als Zusatzversorgung bleibt alternativlos +++

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.