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Sperrfeuer-Kommentar – EIOPA Stresstest 2017 (IV):

Vom „Double Hit“ zum „Garbage Pit“

Er findet den zweiten Pensions-Stresstest der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA auf technischer Ebene durchaus interessant und ausgewogen. Doch nütze das nichts bei einer ungeeigneten Methodik des Tests. Alf Gohdes erläutert, analysiert und kritisiert.

 

Am 14. Dezember hat die EU-Aufsichtsbehörde EIOPA ihren 96-seitigen Bericht zum zweiten Stresstest zusammen mit einer Pressemitteilung veröffentlicht.

 

EIOPA hatte ihn bei Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung – in Deutschland also bei Pensionskassen und Pensionsfonds – im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte Juli 2017 durchgeführt. Bewertungsstichtag war der 31. Dezember 2016. Ziel war es, zum einen die Belastbarkeit von EbAV unter der Annahme eines ökonomischen „Krisenszenarios“ zu untersuchen sowie zum anderen die Auswirkungen auf die Realwirtschaft und die Finanzmärkte zu analysieren.

 

Neben Deutschland haben 18 weitere Länder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) an der Untersuchung ihrer über EbAV finanzierten Leistungszusagen teilgenommen. Vergleichbar mit dem ersten, zum 31. Dezember 2014 durchgeführten Stresstest galten dafür als Grundlage zum einen die jeweiligen nationalen Bilanzierungsvorschriften und zum anderen das von EIOPA entwickelte einheitliche Verfahren, auch Common Balance Sheet genannt.

 

Nachstehend werden die Ergebnisse lediglich für Leistungszusagen analysiert und kommentiert. In Deutschland gab es zum Stichtag ja noch keine reinen Beitragszusagen, die immerhin ca. 16% des gesamten EbAV-Planvermögens in den untersuchten Ländern darstellen.

 

 

1. Überblick der Ergebnisse

 

Die Feststellungen des Berichts können wie folgt zusammengefasst werden:

 

  • Das zu Zeitwerten zusammengerechnete EbAV-Planvermögen in Höhe von 3.573 Mrd. Euro entfällt zu 52% auf das Vereinigte Königreich (UK), zu 37% auf die Niederlande (NL) und zu 5% auf Deutschland (DE). Auf die anderen 16 Länder entfallen damit die verbleibenden 6%.

 

  • EIOPA beklagt, dass die tatsächliche Teilnahmequote, gemessen am Planvermögen, von 39% (43% beim ersten in 2015 durchgeführten Stresstest) hinter der angestrebten Quote von 50% zurückblieb (DE: 53%, UK: 25%). Dennoch geht die Behörde davon aus, dass die Ergebnisse überwiegend als repräsentativ gelten können, betont jedoch, dass bestimmte Aussagen nicht belastbar sind.

 

  • Vom erfassten Vermögen sind zum Stichtag durchschnittlich 46% (2015: 41%, DE: 77% und UK: 50%) in Anleihen angelegt, 40% (2015: 47%, DE: 20% und UK: 39%) in Aktien und Immobilien sowie 14% in sonstige Anlagen.

 

  • Auf der Grundlage der jeweiligen nationalen Bilanzierungsvorschriften ergab sich ein gewichteter durchschnittlicher Deckungsgrad von 97% (2015: 95%, DE: 107% und UK: 90%), wobei der gewichtete durchschnittliche Rechnungszins bei 2,1% lag (2015: unbekannt, DE: 3,3% und UK: 3,1%).

 

  • Auf der Grundlage des über alle Länder angewandten einheitlichen Verfahrens ergab sich insgesamt ein Deckungsgrad – vor Anwendung der vorhandenen Gegensteuerungsmaßnahmen wie Arbeitgebernachschuss, Leistungskürzungen und Insolvenzsicherung – von 80% (2015: 76%, DE: 87% und UK: 64%), wobei der gewichtete durchschnittliche Rechnungszins bei 1,8% lag (2015: unbekannt, DE: 1,8% und UK: 1,3%).

 

  • Interessanterweise wird erstmals anhand eigener Berechnungen mit den zur Verfügung gestellten Cashflows künftiger Beiträge und garantierter Leistungszahlungen eine sog. „interne Rendite“, internal rate of return (IRR), berechnet. Definiert wird sie als die Rendite, mit der das jeweilige Planvermögen verzinst werden muss, um zusammen mit den planmäßigen Beiträgen die zugesagten, garantierten Leistungen erfüllen zu können; die gewichtete durchschnittliche IRR wurde vor Anwendung des Stresses mit 2,1% ermittelt (2015: unbekannt, DE: 2,0% und UK: 2,8%).

 

Von diesen beiden Baseline-Szenarien ausgehend wird dann jeweils das vom Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) vorgegebene Stressszenario angewandt: ein gravierender Wertverlust im Planvermögen sowie beim einheitlichen Verfahren ein Rückgang des risikolosen Rechnungszinses für garantierte Leistungen um ca. 50 Basispunkte. Dieses Stressszenario bezeichnet EIOPA treffend als double hit-Szenario. Es reduziert den gewichteten durchschnittlichen Deckungsgrad:

 

  • bemessen nach den jeweiligen nationalen Bilanzierungsvorschriften auf 79% (2015: 75% bzw. 78%, DE: 102% und UK: 79%) und

 

  • bemessen nach dem einheitlichen Verfahren auf 62% oder € 702 Mrd. (2015: 59% bzw. 61%, DE: 71% und UK: 45%).

 

Darüber hinaus wird primär qualitativ der Versuch unternommen, die Folgewirkungen der quantitativ ermittelten Ergebnisse auf die Realwirtschaft und die Finanzmärkte zu beschreiben. So weist der Bericht zwar auf die möglichen negativen Folgewirkungen hin, betont aber durchweg gleichzeitig, dass die Datenlage diesbezüglich keine klaren Aussagen erlaubt. Dagegen wird als Tatsache hervorgehoben, dass EbAV nur eine geringe Verzahnung mit der Finanzindustrie vorweisen und daher im Nachgang zur Finanzkrise 2008 stabilisierend auf den Finanzmarkt wirkten. Diese Differenzierung vermisst man leider in den diesbezüglichen Pressemitteilungen von EIOPA und BaFinwie auch auf auf LEITERbAV dokumentiert.

 

 

2. Bewertung und Kritik

 

Laut ihren Statuten muss EIOPA Stresstests für EbAV durchführen. Ihr Bericht zum Stresstest 2017 ist technisch überwiegend gewissenhaft und professionell erstellt worden – man denke hier beispielsweise an die innovative Ermittlung der IRR oder an die klar artikulierten Vorbehalte zur Aussagekraft der getroffenen quantitativen und qualitativen Aussagen sowie der denkbaren Folgewirkungen auf Realwirtschaft und Finanzindustrie.

 

Allerdings sind die behördeninternen zentralen Vorgaben für das einheitliche Verfahren bekanntlich konzeptionell fehlerhaft und für den von EIOPA verfolgten Zweck ungeeignet.

 

Wählt man nämlich eine ungeeignete Methodik, führt das trotz noch so gewissenhafter Durchführung zu für Außenstehende irreführenden Ergebnissen. So ist beispielsweise die unveränderte Übertragung von zentralen Bewertungsparametern aus der Solvency-II-Welt auf EbAV aus hinlänglich bekannten Gründen unangemessen. Ferner ist es irreführend, die modellbedingt auftretenden Unterdeckungen bei Anwendung eines sogenannten „risikolosen Rechnungszins“ bzw. beim double hit Szanario als „Löcher“ oder „Unterdeckungen“ zu bezeichnen.

 

Da wichtige Maßnahmen einer so entstehenden Deckungslücke in der Untersuchung nur modellhaft berücksichtigt werden konnten (so beispielsweise der für deutsche EbAV zu unterstellende Zwang, bei auftretenden Unterdeckungen, die nach deutschem Recht gar nicht auftreten können, Nachschüsse zu tätigen), sollte in Bezug auf die Aussagekraft dieser „Löcher“ vielleicht eher von einem wenig brauchbaren „garbage pit“-Szenario (also einem „Müllgruben-Szenario“) die Rede sein.

 

Die von verschiedener Seite eingebrachten Alternativvorschläge zur EIOPA-Methodik werden von EIOPA nach wie vor stoisch ignoriert. So ist der Vorschlag verschiedener Aktuarvereinigungen, einen Rechnungszins in Höhe eines – selbstverständlich auf einheitlicher Grundlage auszuwählenden – zu erwarteten Vermögensertrags zu definieren, bisher unbeachtet geblieben. Den Beweis, dass das eine durchaus vernünftige Herangehensweise sein kann, liefert der EIOPA Bericht aber selbst: Denn dort wird der Frage nachgegangen, welche Vermögensrendite (IRR) mindestens erforderlich ist, um zusammen mit den Beitragseinnahmen den Cashflow der garantierten Verpflichtungen zu erfüllen. Entwickelt man diesen interessanten Gedankengang weiter, kommt man zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass ein mit dem sog. risikolosen Rechnungszins berechneter Verpflichtungsumfang über eine beste Schätzung hinausschießt. Die zentrale Frage einer EbAV lautet doch nach wie vor: Welche Vermögensrendite muss erwirtschaftet werden, um die dauernde Erfüllbarkeit der Leistungen zusammen mit Beitragszahlungen zu gewährleisten, und ist diese erreichbar?

 

 

3. Zusammenfassung

 

Es wird immer schwieriger sich vorzustellen, dass EIOPA sich von ihrer nunmehr bereits jahrelang verfolgten Strategie abwenden und in Bezug auf ihren Bewertungsansatz in einen echten Dialog mit der Fachwelt treten wird. Es herrscht nun mal die Meinung in der Fachwelt vor, dass die behördenintern vorgegebene Methodik konzeptionell fehlerhaft und für den von EIOPA verfolgten Zweck ungeeignet bleibt, die wiederum zu Ergebnissen führt, die für Außenstehende irreführend sind. Das kann leider auch ein gewissenhaft und mit hohem Aufwand erstellter Bericht nicht heilen.

 

 

Der Autor ist Aktuar und Inhaber der Rentenberatung Gohdes.

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