Die Kritik, die an dem EbAV-Stresstest der europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA, geübt wird, ist vielfältig. LEITERbAV dokumentiert die der drei großen Berater.
Die Reaktionen waren gemischt: Kritik an der Systematik und der absehbar mangelhaften Aussagekraft des Tests hatte es auf dem Parkett schon im Vorfeld gegeben, doch nach Vorlage der Ergebnisse dominierten in der Tagespresse alarmistischere Interpretationen, namentlich die des grünen EP-Abgeordneten Sven Giegold, der „Deckungslücken“ von europaweit bis zu 773 Milliarden Euro in den Mittelpunkt stellte.
Heute dokumentiert LEITERbAV die Grundzüge der Kritik, welche die drei großen Pensionsberater nun an dem Stresstest und seinen Ergebnissen formulieren.
Gohdes: „In der Natur der Sache“
Für Alfred E. Gohdes, Chefaktuar bAV bei Willis Towers Watson Deutschland, kommen die Ergebnisse wenig überraschend. Denn für EbAV, die Leistungszusagen gewähren (und das waren alle untersuchten EbAV aus Deutschland), bestehe, so Gohdes zu LbAV, nach derzeit gültigen nationalen Vorschriften eine Überdeckung in Höhe von insgesamt 5% der Verpflichtungen. Europaweit handele es sich um ein Defizit von insgesamt circa 5% der Verpflichtungen. Nach dem von EIOPA angewandten einheitlichen Maßstab errechne sich für Deutschland eine Unterdeckung von 15% (europaweit 24%). Es liege daher in der Natur der Sache, dass auf diese Ausgangsbasis angewandte Stressszenarien (bei Aktien war ein circa 50%iger Kurseinbruch sowie ein starker Rückgang des Rechnungszinses zu unterstellen) zu noch größeren Unterdeckungen führen, Gohdes zu LbAV:
„Die Studie bestätigt insofern die allerdings hinlänglich bekannte Erkenntnis, dass eine Bilanz dann ungünstig beeinflusst wird, wenn die Vermögenswerte einen starken Wertverlust und die Verpflichtungen gleichzeitig einem starken Anstieg verzeichnen.“
Ebenfalls hinlänglich bekannt sei, dass EbAV derzeit sehr unter der Niedrigzinsphase litten, insbesondere wegen der niedrigen Kapitalerträge. Richtig sei auch, dass die Verbesserung der Lebenserwartung für EbAV eine seit Jahrzehnten steigende Verpflichtung mit sich bringe, die aber nicht den Umfang annehme wie die Auswirkungen nachteiliger Kapitalmarktszenarien. Solche Stressszenarien stellten für EbAV im Kern nichts Neues dar und seien im Rahmen der bereits existierenden Risikomanagementsysteme schon untersucht worden, so Gohdes.
„Schlichtweg falsch“
Mit der Studie sei auch kein umfassendes Bild der heterogenen bAV Landschaft in der Europäischen Union erarbeitet worden, weil die von EIOPA herangezogenen einheitlichen Annahmen auf einer verzerrten Perspektive beruhten, betont Gohdes. Die Behauptung der EIOPA, der Übertrag der für Versicherer geltenden Ansätze auf EbAV sei realistisch, hält Gohdes für „schlichtweg falsch“.
Grundsätzlich gelte es laut Gohdes, Stresstests als Teil des Risikomanagements nach wie vor aufmerksam zu beobachten. „Allerdings ist der Teil der Ergebnisse, der auf dem einheitlichen EIOPA Maßstab beruht, unseres Erachtens aus den genannten Gründen unbrauchbar.“
Thurnes: „Vor dem Hintergrund nicht sachgerecht“
Georg Thurnes, Chefaktuar von Aon Hewitt in Deutschland, kritisiert in einem Beitrag für LEITERbAV unter anderem, dass in dem Test der EIOPA anders als im BaFin-Stresst nicht nach vorne auf den nächsten Bilanzstichtag hochgerechnet und dann das Vermögen gestresst, sondern im Rückblick eine fiktive Situation unterstellt werde, von der man also schon weiß, dass sie nicht eingetreten ist. Verwendet man den Stresstest – seiner Konzeption nach richtigerweise – als Instrument des Risikomanagements, dann sei das nicht weiter von Belang. Doch „leitet man aus den Stresstestergebnissen angeblich existierende Lücken und Löcher ab, ist dies vor diesem Hintergrund nicht sachgerecht.“
Warum überhaupt DC-Pläne?
Desweiteren kritisierte Thurnes, dass der Test – wenn auch nicht für Deutschland – DC-Pläne erfasst hat. Schließlich wirkten sich negative Kapitalmarktszenarien bei DC Plänen nicht auf die Stabilität der EbAV, sondern ausschließlich auf das Versorgungsniveau aus. Da stelle sich eine Grundsatzfrage, so Thurnes:
„In welchem Zusammenhang solche Veränderungen des Versorgungsniveaus zu den systemischen Risiken stehen sollen, deren Analyse und Überwachung zu EIOPAs obersten Aufgaben gehört, erschließt sich nicht.“
Mercer: „Unlösbare Aufgaben“
Bei Mercer kritisiert man in Zusammenhang mit dem Test die Vielfalt der teilweise gegenläufigen Steuerungsimpulse, der EbAV mittlerweile ausgesetzt seien. Bereits heute müssten deutsche Pensionskassen die nationalen Anforderungen zu Stresstest, Solvabilität, Vermögensbedeckung und Aufbau zusätzlicher Reserven zur Abdeckung der Risiken aus der Entwicklung der Kapitalmärkte sowie der steigenden Lebenserwartung der Leistungsbezieher gleichzeitig und quartalsweise erfüllen. In einem Thesenpapier für LEITERbAV schreibt Mercer:
„Mit andauernder Niedrigzinsphase werden die Kassen damit vor unlösbare Aufgaben gestellt. Nicht nur, dass die zu erwartenden Überschüsse aus den Kapitalanlagen weiter rückläufig sein werden; einige der Anforderungen sind untereinander so korreliert, dass die Erfüllung der einen Anforderung sich negativ auf die Erfüllung anderer auswirkt.“
So könnten zum Beispiel zusätzliche Reserven in den Rückstellungen häufig nur noch durch Auflösung von Reserven in den Kapitalanlagen geschaffen werden. Realisierungen von stillen Reserven in den Kapitalanlagen führten wiederum zu Beanstandungen im Stresstest. Im Extremfall begäben sich Pensionskassen damit in eine von der Aufsicht eng begleitete Abwärtsspirale, in der die Kasse augenscheinlich Sicherheiten gewinnen solle, jedoch in vielerlei Hinsicht handlungsunfähig werde, so das Mercer-Papier weiter.
Gohdes: „Kosten verdreifacht“
Gohdes betont eine Schlussfolgerung, die dem Bericht nur indirekt zu entnehmen sei, doch ganz besondere Relevanz für Deutschland habe: Zum einen vergrößere sich zunehmend die Versorgungslücke (als Differenz zwischen dem gewünschten Rentenniveau und der gesetzlichen Rente). Zum anderen hätten sich als Konsequenz aus der 2007er Finanzkrise die voraussichtlichen Kosten zur Finanzierung einer jeweils gleichen Altersrente für einen 20jährigen etwa verdreifacht. „Dies sollte zu der Schlussfolgerung führen, dass eine noch größere Anstrengung zum sinnvollen Sparen angebracht ist.“
Thurnes: „Keinen neuen, zusätzlichen Stresstest“
Thurnes mahnt bei aller grundsätzlichen und technischen Kritik an dem Test, die Auswirkungen eines andauernden Niedrigzinsumfelds nicht zu verharmlosen, Thurnes:
„Ganz im Gegenteil – eine andauernde Niedrigzinssituation stellt jeden langfristigen Ansparvorgang und damit insbesondere auch die kapitalgedeckte Altersversorgung und die EbAV vor große Herausforderungen. Nur braucht man für diese Erkenntnis keinen neuen, zusätzlichen Stresstest, der auf im höchsten Grade diskussionsbedürftigen und teilweise realitätsfernen Ansätzen beruht.“
Mercer: „Vorübergehende Lockerung von Bedeckungsvorschriften in Betracht ziehen“
Angesichts der außergewöhnlichen Zinssituation fordert das Mercer-Papier, eine vorübergehende Lockerung von Bedeckungsvorschriften in Betracht zu ziehen. Auf diesem Wege könne zusätzliches freies Vermögen geschaffen werden, das keinen Anlagerestriktionen unterliege und es den Kassen erlaubte, die übrigen Bedingungen zu erfüllen und innerhalb der Übergangszeit eine auskömmliche Kapitalanlage zur Lösung des Problems zu finden:
„Würde diese Maßnahme beispielsweise durch eine temporäre Absicherung gegen Arbeitgeberinsolvenz der nicht durch das gebundene Vermögen bedeckten Leistungen durch den PSV begleitet, könnte während der Übergangszeit ein unverändert hohes Sicherheitsniveau aufrechterhalten werden.“
Der oben erwähnte Beitrag von Georg Thurnes wird morgen in voller Länge auf LEITERbAV erscheinen.