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Talking Heads – Frank Oliver Paschen, Pensionskasse der Hamburger Hochbahn, im Gespräch (I):

„Überlebenschance erst ab etwa 500 Millionen Bilanzsumme“

In der deutschen bAV haben die Pensionskassen kein einfaches Standing, die Hälfte der Einrichtungen hat ihr Neugeschäft bereits eingestellt. Über Hintergründe, die Marktentwicklung, positive Ausreißer spricht Detlef Pohl mit Frank Oliver Paschen, Vorstand der Pensionskasse der Hamburger Hochbahn VVaG in Teil I eines zweiteiligen Interviews. Und der wählt klare Worte: Warum andere Durchführungswege nicht in Betracht kommen, die Regulierung immer mehr Kassen in Bedrängnis bringt, welches Kampfgewicht man mitbringen sollte und mehr …

Frank Oliver Paschen, die gut 120 Pensionskassen in Deutschland sind bekanntlich sehr unterschiedlich aufgestellt, und etwa die Hälfte ist für den Neuzugang dauerhaft geschlossen. Droht der Pensionskasse der Hamburger Hochbahn dieses Szenario auch?

Nein, wir sind eine nach wie vor wachsende Kasse mit jährlich steigendem Beitragsvolumen von aktuell 13,7 Mio. Euro pro Jahr, bei einem Kapitalanlagevolumen von knapp über einer halben Mrd. Euro. Auch das maßgebliche Trägerunternehmen, die Hamburger Hochbahn AG, stellt nach wie vor zusätzlich Personal ein und wächst. Ein anderer Durchführungsweg ist ebenfalls nicht geplant, sodass wir auch in Zukunft für das Neugeschäft geöffnet bleiben werden.

Sie sind nicht überbetrieblich aktiv und könnten dadurch künftig doch vor anderen Herausforderungen stehen, wenn die Zahl der Rentner die der Anwärter übertrifft. Wie gehen Sie mit diesem Szenario um?

In der Tat sind wir nicht überbetrieblich und nicht für beliebige Unternehmen geöffnet. In unserer Satzung heißt es aber:

Beteiligte Unternehmen sind die Hamburger Hochbahn und von ihr bis zum 31.12.2000 bestimmte Unternehmen. Nach diesem Zeitpunkt entscheidet der Aufsichtsrat auf Vorschlag des Vorstandes über die Aufnahme weiterer Unternehmen in den Kreis der beteiligten Unternehmen.“

Noch ist die Zahl der Anwärter fast doppelt so hoch wie die der Rentner.“

Momentan sind alle beteiligten Unternehmen entweder Töchter oder frühere Töchter der Hochbahn oder haben zumindest etwas mit der Branche zu tun.

Der Aufsichtsrat, ausschließlich mit Vorständen und Mitarbeitern der Hochbahn besetzt, würde aktuell vermutlich auch kein völlig fremdes Unternehmen hineinlassen, insb. nicht, wenn dieses in Konkurrenz zur Hochbahn stünde oder durch die Größe eine relevante Bedeutung in den Gremien, also Mitgliedervertretung und Aufsichtsrat, bekäme.

Wie genau ist denn heute das Verhältnis Anwärter/Rentner?

Noch ist die Zahl der Anwärter fast doppelt so hoch wie die der Rentner. Ein Druck, mehr als organisch zu wachsen, ist noch nicht gegeben. Was in ferner Zukunft passiert, bleibt abzuwarten, aber der öffentliche Nahverkehr ist und bleibt eine relevante Wirtschaftsgröße in einer Metropolregion wie Hamburg und wird uns weiterhin Neugeschäft zuführen.

Der Segen, zur kritischen Infrastruktur zu gehören … Nun, wie ist es denn um die Durchdringung der bAV bei Ihren Trägern bestellt, und wer finanziert die Betriebsrenten?

Die Mitarbeiter der Hochbahn und der weiteren Trägerunternehmen werden bei uns nach zwei Jahren Pflichtmitglied, so dass der Durchdringungsgrad nahezu 100% beträgt. Der Arbeitgeberanteil ist in den letzten drei Jahren im wesentlichen gleichgeblieben, da die Pflichtmitgliedschaften bei uns u.a. mit originären Arbeitgeberbeiträgen unterlegt sind.

Frank Oliver Paschen, PKH.

So zahlen bei der Hochbahn Arbeitgeber und Beschäftigte jeweils 2,5% des Bruttogehaltes,gedeckelt durch die BBG, ein. Lediglich der Anteil der Selbstzahler, also die Gruppe der ausgeschiedenen Mitarbeiter, hat leicht zugenommen. Diese bezahlen in der Regel nur eigene Entgeltumwandlungsbeiträge. Über den Gesamtbestand liegt der Arbeitgeberanteil leicht oberhalb 50% der Gesamtbeiträge.

Die massive Steigerung der regulatorischen Anforderungen hat gerade die Vielzahl der kleineren Kassen schlicht und ergreifend überfordert.“

Auf welche Durchschnittsrente kommen damit durchschnittliche Angestellte mit ihrer bAV, die in den letzten drei Jahren in Rente gegangen sind?

Die durchschnittliche Altersrente beträgt über alle Einkommensgruppen und Trägerunternehmen hinweg aktuell 443 Euro monatlich. Da die Gehälter in den verschiedenen Funktionsbereichen stark variieren, gibt es auch Rentner mit viel höheren, aber auch mit niedrigeren Altersrenten. Weiter muss man wissen, dass es bei uns keine Wahltarife gibt. Jeder Versicherte hat also neben dem Baustein Altersrente auch eine Hinterbliebenenrente und eine Erwerbsminderungsrente mitversichert.

Ein Problem in der langjährigen Niedrigzinsphase war die noch immer geltende gesetzliche Pflicht, die arbeitsrechtliche BZML mit einer 100%-Beitragsgarantie zu unterlegen. Daran ändert auch der RefE zum BRSG 2.0 nichts. Wie gehen Sie mit diesem Problem um, und was sagt der bAV-Tarifvertrag der Träger dazu?

Wir haben das Problem nicht. Bei uns gibt es traditionell nur die beitragsorientiere Leistungszusage, die boLZ. Andere Produkte oder Konzepte, insb. auch die reine Beitragszusage, wurden nicht verfolgt und sind nicht geplant.

Wir haben in Deutschland nicht wenige Kassen im Run off – teilweise durch Managementversagen, meist aber durch Umstrukturierungen der Trägerunternehmen. Sie sind als Vorstand verantwortlich unter anderem für Kapitalanlage, Reporting/Controlling, Personal, Recht und Nachhaltigkeit. Schreckt Sie das Szenario eines Run off?

Ich persönlich profitiere sicher aus meiner mehr als zwanzigjährigen Vorstandszeit bei drei Kassen und davon, mir einen steten Blick über den Tellerrand bewahrt zu haben. Als Kasse – hier gibt es mit der Hochbahn ein maßgebliches Trägerunternehmen, das schon immer bAV als wesentlicher Benefit für die Mitarbeiter angeboten hat – immer mit großzügiger Beteiligung durch originäre Arbeitgeberbeiträge. Zudem machen wir mit unserem hochspezialisierten Team auch schlichtweg einen guten Job, sodass bei Trägerunternehmen und Versicherten das Konstrukt der Betriebsrente positiv gesehen wird.

Seit August 2018 verantwortet FRANK OLIVER PASCHEN als Mitglied des Vorstandes der Pensionskasse der Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft -VVaG- u.a. die Kapitalanlage, das Reporting/Controlling sowie die Bereiche Personal, Recht, Nachhaltigkeit und Öffentlichkeitsarbeit. Von 2010 bis 2018 hatte Paschen als Vorstandsvorsitzender die älteste überbetriebliche Pensionskasse Deutschlands, die Dresdener Pensionskasse VVaG, mit ihren über 400 Mitgliedsunternehmen, geleitet. Zuvor war er neun Jahre lang Vorstand der genossenschaftlichen Pensionskasse Raiffeisen-Schulze-Delitzsch.

Als Betriebsrentenexperte ist Paschen regelmäßig als Referent, im Rahmen von Podiumsdiskussionen und mit Veröffentlichungen aktiv und u.a. im Rahmen der Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes 2017 als Sachverständiger im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales in Erscheinung getreten.

Aber: In vielen Kassen sind die Umstände schlichtweg schlechter als bei uns. Ich hatte schon vor fünf Jahren auf der bAV-Handelsblatt-Tagung darauf aufmerksam gemacht, dass etliche Kassen nicht nur auf der Aktivseite Probleme haben, sondern zum Teil auch Zinserfordernis, Biometrie und modernes Risikomanagement vernachlässigt wurden. Seitdem hat die massive Steigerung der regulatorischen Anforderungen in einer rasanten Geschwindigkeitsspirale gerade die Vielzahl der kleineren Kassen schlicht und ergreifend bei den vorhandenen Ressourcen überfordert.

Man verliert ja bei der Regulatorik schon als Beobachter den Überblick zu verlieren.

Zur Erinnerung: Funktionstrennung auf Vorstandsebene, Einrichtung von Schlüsselfunktionen, mehrköpfiges Risikomanagement-Team, IKS, Leitlinien, IT-Sicherheitsbeauftragte/VAIT – nun DORA, ALM-Systeme, ständig zunehmende Berichtspflichten mit Reporting wöchentlich, monatlich und quartalsweise, dazu Stresstest/Prognoserechnung, Nachhaltigkeitsberichterstattung und vieles mehr – all das gehört zwingend zum heutigen Rüstzeug. Wer da anders als wir nicht proaktiv und rechtzeitig unterwegs war, kommt irgendwann an seine Grenzen.

Reden wir über kritische Masse: Was würden Sie als strategische Mindestgröße für eine zukunftsfähige Pensionskasse ansehen?

Man braucht schlichtweg eine strategische Mindestgröße, die ich schon in ein paar Jahren grob in der Gewichtsklasse unserer Kasse, also bei einer Bilanzsumme von ca. 500 Mio. Euro sehen würde. Noch immer gibt es aber sogar ca. 50 Kassen mit einer Bilanzsumme unterhalb 250 Mio. Euro. Alleine wird es da schwer. Die Zukunft wird sicher für kleinere Kassen auch darin liegen, mit anderen zu kooperieren, z.B. in Form gemeinsamer Servicegesellschaften. Aber auch da werden viele kostenseitig Schwierigkeiten bekommen.

18 Kassen haben jüngst den BaFin-Stresstest nicht bestanden, die Resilienz der Unternehmen hat nach BaFin-Urteil abgenommen. Wird das Eis für Pensionskassen insgesamt dünner?

Die Lage ist und bleibt für etliche Kassen angespannt, ausgelöst zuletzt zuvorderst durch die Ausfälle im Real Estate-Sektor. Von daher stellt der aktuelle BaFin-Stresstest sicher eine Sondersituation dar. Vielen Kassen – so wie auch uns – geht es aber gut, waren doch die Kapitalanlage-Ergebnisse insb. 2023 und im ersten Halbjahr 2024 sehr erfreulich. Wer allerdings schon zuvor oder jetzt durch Abschreibungen im Immobiliensektor sein Risikokapital verbraucht hat, der leidet natürlich massiv und kann nicht so diversifiziert und renditeorientiert unterwegs sein, wie es wünschenswert wäre.

Die Pensionskasse der Hamburger Hochbahn weist laut Geschäftsbericht 2023 eine Bilanzsumme von 476 Mio. Euro aus. Welche maßgeblichen Zahlen stehen dahinter, vor allem in der Entwicklung des Bestandes und im Verhältnis zwischen Anwärtern zu Rentnern?

Unser Bestand wächst nach wie vor. Von 2022 zu 2023 sind die Beiträge um 7,8% auf 13,7 Mio. Euro angestiegen, und wir haben bei knapp 8.000 Anwärtern etwas über 4.000 Rentner. Die Aufwendungen für Versicherungsfälle haben sich in dem Zeitraum moderat um 1,1% erhöht.

Auffällig: Aus 13,7 Mio. Beitragseinnahmen ist lediglich ein „leicht positives Ergebnis“hervorgegangen, und dieser Jahresüberschuss ging auch noch komplett in Verlustrücklage, Zinsschwankungsreserve und erfolgsabhängige RfB. Ist etwas schief gelaufen im abgelaufenen Jahr?

In Summe eine ganz normale Ergebnisverwendung. Wir hatten ein gutes Jahr und konnten es uns angesichts ansonsten hervorragender Kapitalanlage-Ergebnisse und Risikogewinnen in der Biometrie leisten, wegen einer 3,7 Mio. Euro Abschreibung auf den Emittenten Signa Prime CM 2017 GmbH „nur“ 2,7% Nettoverzinsung zu zeigen, trotzdem die Verlustrücklage und die Zinsschwankungsreserve normal zu dotieren und – wichtig – in unseren geöffneten Tarifen mit 0,25% und 1,25% Rechnungszins wieder eine Überschussbeteiligung gewähren.

Die Pensionskasse der Hamburger Hochbahn Aktiengesellschaft -VVaG- (PKH) entstand 1922 durch den Zusammenschluss der Pensionskasse für die Angestellten der Straßen-Eisenbahn-Gesellschaft in Hamburg (gegr. 1894) und der Fürsorgekasse der Hamburger Hochbahn AG (gegr. 1912). Die regulierte PKH erbringt die bAV für gut 12.000 Menschen.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass wir außer Signa Prima keine weiteren Investments in Immobilien-Projekte/Bauträger oder Mezzanin-Finanzierungen hatten und auch keinerlei weiteren Abschreibungsbedarf sehen. Das Thema Signa war in Relation zum Gesamtkapitalanlagevolumen überschaubar und kein Grund, von einem „schief gelaufenen“ Jahr zu sprechen. Warum sollten wir mehr als ein leicht positives Ergebnis zeigen, indem man z.B. die Ausschüttung im Spezial-AIF zu Lasten der Reserven-Bildung höher ansetzt? Dafür gab es keinen Bedarf. Mit der weiteren Dotierung der ZZR werden wir von Zeit zu Zeit das ohnehin seit meinem Amtsantritt 2018 bereits signifikant gesunkene Rechnungszinserfordernis (damals 3,49%, jetzt 2,78% und jährlich um 0,07%-Punkte sinkend) weiter reduzieren.

Chilehaus Hamburg, Fritz Höger, 1922-24, norddeutscher Backsteinexpressionismus. Foto: Bazzazi.

Teil II des Interviews, das sich mit der Kapitalanlage beschäftigt, erscheint in Kürze auf PENSIONSINDUSTRIES / ALTERNATIVESINDUSTRIES.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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