Nach Vorlage des Referentenentwurfs zum Sozialpartnermodell haben nicht zuletzt diejenigen, die am Ende damit zu tun haben werden, Gelegenheit erhalten, gegenüber der Politik Position zu beziehen. LEITERbAV dokumentiert Auszüge aus verschiedenen Stellungnahmen. Heute: DGB
aba und GDV haben ihre Standpunkte zu dem Entwurf auf je 38 Seiten zusammengefasst, dem Institut der Wirtschaftsprüfer reichten deren zweie. Der Deutsche Gewerkschaftsbund benötigt fünfzehn. Im Einzelnen:
Die Sorge um die Reputation: zur grundsätzlichen Position
Dass die Gewerkschaften die erste Säule nicht vernachlässigt sehen wollen, ist bekannt. Die wachsende Bedeutung der bAV erkennt der DGB (der in der Stellungnahme immer vom „DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften“ spricht) zwar, jedoch:
„Es ist nicht Aufgabe der bAV, die Versäumnisse des Gesetzgebers in der Rentenpolitik ausgleichen.“
Und gleich mehrmals in der Stellungnahme betont der DGB die Sorge um seine Reputation bei der Arbeiterschaft, schon eingangs heisst es:
„Aus Sicht des DGB wäre es fatal, wenn die Reform zu einer Verschlechterung der Verhandlungsposition der Gewerkschaften und zur einseitigen Übertragung der Risiken auf Gewerkschaftsmitglieder bzw. auf Arbeitnehmer führen würde.“
Stärker: zur Rolle der Tarifparteien
Die Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertreter bezüglich Durchführungsweg und Auswahl des Anbieters will der DGB gestärkt sehen, auch außertariflich:
„Starke Mitbestimmungsrechte sind vor allem in den Fällen notwendig, in denen keine tariflichen Vereinbarungen bestehen. Flankiert werden müssen die Mitbestimmungsrechte durch entsprechende Beratungsrechte für den Betriebsrat durch Dritte.“
Rosinenpicken solle jedenfalls nicht möglich sein, und zum Schutz der Tarifautonomie genüge es nicht, wenn über die Verträge mit Versorgungseinrichtungen der Zugang der nicht tarifgebundenen Arbeitgeber ausgeschlossen wird. Nicht tarifgebundene Arbeitgeber könnten unter Berufung auf die negative Koalitionsfreiheit eine Teilhabe an dem Modell der reinen Beitragszusage einfordern. Ergo:
„Die Möglichkeit der einzelvertraglichen Bezugnahme durch nicht tarifgebundene Arbeitgeber wird abgelehnt. Die reine Betragszusage darf nur im Rahmen eines tarifexklusiven Sozialpartnermodells geregelt werden.“
AVE zum ersten: zur Enthaftung und Risikoverteilung
Die Bauchschmerzen der Gewerkschaften in der Frage der Enthaftung der Arbeitgeber sind nicht überraschend, und zufrieden ist man hier nicht, denn der Entwurf sei in diesem Punkt unzulänglich:
„Erstens werden bei der Absicherung der durch die Enthaftung entstehenden Risiken die Arbeitgeber nur unzureichend in die Pflicht genommen, und zweitens geht die Enthaftung über das bloße pay and forget für die einzelnen Arbeitgeber hinaus.“
Explizit hier fürchtet der DGB das „Risiko des Reputationsverlustes gegenüber den eigenen Mitgliedern.“ Abhilfe schüfen zumindest ansatzweise ein obligatorischer Sicherungsbeitrag der Arbeitgeber zur Risikominimierung (Muss- statt Soll-Regelung) sowie die Bildung großer Kollektive. Für letzteres sollte die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) von Tarifverträgen erleichtert werden.
AVE zum zweiten: zur Verbreitung
Der DGB vermisst Verbesserungen zu AVE nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Vorteile großer Kollektive, sondern auch unter dem der Verbreitung bei KMU – und zeigt mit dem Finger auf die Arbeitgeber:
„Der von der BDA angekündigte Widerstand gegen AVE und ihre Erleichterungen im Bereich der bAV wird zur Folge haben, dass AVE zu den bAV-Tarifverträgen nicht zustande kommen.“
Notwendig sei, dass die Ablehnung von AVE-Anträgen „insbesondere in Fragen der bAV und gemeinsamer Einrichtungen einer einfachen Mehrheit im Tarifausschuss bedarf“. Zudem müsse eine Erleichterung auch dadurch erfolgen, dass ein bAV-Tarifvertrag auch dann für allgemeinverbindlich erklärt werden kann, wenn keine gemeinsame Einrichtung gemäß § 5 a Abs. 1 Nr 2 TVG vorliegt.
Doch das genaue Gegenteil finde statt:
„Anstatt das sozialpolitisch sinnvolle Instrument der AVE zu stärken, eröffnet der Entwurf den nichttarifgebundenen Zugang zu den tarifvertraglichen Lösungen über die Möglichkeit der einzelvertraglichen Inbezugnahme. Damit werden, anstatt die Tarifbindung zu fördern, Tarifvertragsparteien geschwächt und OT-Mitgliedschaften unterstützt.“
GDV-artig: zum Verbot der Garantien
Bemerkenswerte Schnittmengen hat der DGB zur Position der Versicherer in der Frage des Garantieverbots: Es sei nicht sachgerecht, dass der Entwurf Lösungen grundsätzlich untersagt, die bei reinen Beitragszusagen die Leistungsansprüche der Arbeitnehmer seitens der Anbieter sichern, bemängelt der DGB; die Enthaftung sei hier „überschießend“.
Mehr: zur Förderung von Geringverdienern
Grundsätzliche Zustimmung zum Zuschussmodell für Geringverdiener, diese sei aber zu niedrig aufgehängt:
„Die Einkommensgrenze von 2.000 Euro monatlich als Voraussetzung für die Gewährung der steuerlichen Erleichterung ist nicht zielführend: Um die beabsichtige Schließung der Versorgungslücke im Niedriglohnbereich auch nur ansatzweise voranzubringen, ist die Einkommensgrenze auf mindestens 2.500 Euro zu setzen.“
Zudem fordert auch der DGB eine dynamisierende Gestaltung der Einkommensgrenze.
Mehr, aber nicht frei: zum 3.36
Dass die 1.800 Euro des Paragrafen 3 Nr. 63 EStG in den prozentualen Freibetrag hereingenommen werden, wird zwar befürwortet, doch sei das „keine echte Erweiterung des steuerlichen Förderrahmens“ und damit zu wenig. Mehr Beitragsfreiheit will man aber nicht:
„Eine Erhöhung auf mindestens 8 Prozent wäre wünschenswert. Es ist zu begrüßen, dass die Sozialversicherungsbeitragsfreiheit nicht gleichermaßen erhöht wird.“
Immer und alles: zur Weitergabe der Sozialversicherungsbeiträge
Die neue Pflicht für die Arbeitgeber, Ersparnis in der Sozialversicherung weiterzugeben, geht dem dem DGB quantitativ und qualitativ nicht weit genug:
„Es nicht ausreichend, dass die Sozialversicherungsbeiträge nur bei Entgeltumwandlung in Form der reinen Beitragszusage weitergegeben und 15 Prozent als hinreichend betrachtet werden. […] Die Weitergabe muss generell in Höhe der tatsächlichen Ersparnis erfolgen.“
Ansonsten bliebe es bei der derzeit bestehenden Ungerechtigkeit, dass der Arbeitnehmer in der Ansparphase auf Konsum verzichte und in der Bezugsphase mit einer doppelten Beitragsbelastung benachteiligt werde, während der Arbeitgeber einen monetären Restvorteil aufgrund der Vorsorgebereitschaft seines Beschäftigten erziele, argumentiert der DGB und fordert eine umfassende gesetzliche Regelung.
Netto ohne: zur Doppelverbeitragung
Nur Teilzustimmung auch in der Frage der GKV-Pflicht im Rentenbezug. Die Befreiung sollte sich nicht nur auf Rester-bAV erstrecken, sondern alle Formen der Doppelverbeitragung umfassen.
„Der DGB fordert, die Beitragspflicht, bezogen auf die Leistungen, die aus dem unter Einsatz des Nettoeinkommens aufgebauten Versorgungskapitals erbracht werden, auszuschließen.“
Für alle: zur Anrechnung auf die Grundsicherung
Die Gewerkschaften kritisieren, dass die Freibetragsregelung nur Altersvorsorge aus freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rente sowie der zweiten und dritten Säule berücksichtigt, also ausschließlich Ansprüche, die freiwillig erworben wurden. Damit seien vor allem Geringverdiener mit langen Pflichtversicherungszeiten und ohne bAV oder relevante private Altersvorsorge benachteiligt:
„Es ist daher erforderlich, von der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung einen Einkommensfreibetrag bei notwendigem Bezug von Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren, der der Höhe nach dem Freibetrag für betriebliche und private Altersvorsorge entspricht.“
Auch Rentenzahlungen bei Erwerbsminderung/BU sollten anrechnungsfrei gestellt werden, damit eine derartige Vorsorge hier nicht benachteiligt werde. Im übrigen sei ein Sockelbetrag von 200 Euro angemessen.
Nur für Tarifgebundene bitte: zur Portabilität und Opting-out
Die Gewerkschaften wünschen sich, dass die Portabilität aus Systemen der reinen Beitragszusage auch in garantiegestützte Systeme erfolgen können müsse – und, dass dies tarifgebundenen Arbeitgebern vorbehalten bleibe. Auch das Optionsmodell solle tarifexklusiv verfügbar sein.
Die Stellungnahme des DGB findet sich hier.