Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Doch heute ist das anders – denn einige Ereignisse überschlagen sich gerade: Von Pensionskassen, PSV und Deutschland-Rente, von Niedrigzins, nachgelagerter Besteuerung und mehr… . Und den Blick in die Zukunft wirft ein dänischer Prinz.
In den letzen Tagen haben mehrere wichtige Entwicklungen betreffend die deutsche bAV stattgefunden, so dass heute eine Kombination aus Presseschau und Nachrichten herhalten muss. Im Einzelnen:
BMAS (21. November): „Referentenentwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze.“
Das absehbare Urteil des EuGH wollte man offenbar nicht abwarten. Jedenfalls hat gestern das BMAS nahezu Knall auf Fall einen Referentenentwurf in die Verbändeanhörung gegeben, der Pensionskassen, die nicht gemeinsame tarifliche Einrichtungen oder Mitglied von Protektor sind, in Anlehnung an die Vorschrift für Pensionsfonds in die Insolvenzsicherung via PSV einbezieht. Betroffen ist auch der Zusagenbestand, jedoch nur künftige AG-Insolvenzfälle.
Demnach kämen auf die betroffenen Arbeitgeber auch für Altzusagen PSV-Beiträge zu. Die Beitrage sollen wohl risikoadjustiert sein, insgesamt rechnet das BMAS grob mit einem Volumen zwischen 40 und 60 Mio. Euro p.a..
Das Ministerium nutzt übrigens erfreulicherweise die Gelegenheit, eine weitere Baustelle in der bAV anzufassen:
Die versicherungsvertragliche Lösung, vom Dritten Senat in Erfurt in einer für viele (einschl. Kassandra) zweifelhaften Art verschärft worden, wird auch rückwirkend noch weiter gesetzlich legitimiert (Pensionskassen müssen dazu Mitglied bei Protektor sein).
Der Entwurf, der der Redaktion vorliegt, ist noch nicht öffentlich und wird an dieser Stelle daher nicht hinterlegt. UPDATE 14.00 Uhr: Zwischenzeitlich hat das Ministerium den Entwurf hier veröffentlicht.
Eilig hat man es in der Berliner Wilhelmstraße jedenfalls: Die Kommentierungsfrist läuft nur bis zum 5. Dezember.
LEITERbAV wird weiter berichten.
Versicherungswirtschaft heute (20. November): „Zu spät? Finanzverbände kämpfen vereint gegen Deutschlandfonds.“
Wenn diese Meldung, dass die Deutschland-Rente praktisch beschlossene Sache sei, stimmt, dann meinen sie es also tatsächlich ernst.
Die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2019, in der Politik (und bald wohl auch Anlagepolitik) bekanntlich nach dem stets alternativlosen moralischen Imperativ gemacht wird und in die das Vertrauen der Bürger ohnehin massiv erodiert (wie FAZ und Allensbach hier jüngst eindringlich dargelegt haben), schickt sich in ihrer agoniehaften Rentenpolitik an, die Menschen am Vorabend des deutschen demographischen Zusammenbruchs weiter unter staatlich gesteuerte Systeme zu drängen.
Die Kritik an der Deutschland-Rente an sich ist auf diesem Parkett bekannt und muss hier nicht en detail wiederholt werden. Verwiesen sei auf einen detaillierten LbAV-Kommentar, der am Ende Bernhard Wiesner zitierte:
„Die Akkumulation gewaltiger Finanzmassen, die perspektivisch das Volumen eines Bundeshaushaltes überschreiten, in einer Körperschaft ‚Deutschlandfonds‘ kann und wird nicht funktionieren. Die Autoren wittern bereits selbst Unrat, wenn sie die Freiheit von politischem Zugriff fordern. Angesichts der zukünftigen Dimensionen sind das hohle Worte, wenn das gewaltige Volumen Begehrlichkeiten weckt und die Führung dieses Fonds mehr faktische Macht als Staatsorgane innehat.“
Direkt reagiert hat gestern auch bereits die aba in Form ihres Vorsitzenden Georg Thurnes, der schreibt:
„Die aktuelle Diskussion über die Zentralisierung der kapitalgedeckten Altersvorsorge mittels quasiobligatorischer Staatsfonds sehen wir mit großer Sorge. Was als schöne neue Vorsorgewelt dargestellt wird, ist nicht zu Ende gedacht. Kosten rechnet man schön, weil der gesamte administrative Aufwand auf die Arbeitgeber verlagert wird und die Kosten der Auszahlungsphase negiert werden. Verbreitungserfolge stellt man in Aussicht ohne die kannibalisierende Wirkung solcher Modelle zu berücksichtigen.“
Thurnes führt u.a. den administrativen Aufwand des vorgeblich verwaltungsarmen Opt-out-Modells für die Arbeitgeber an: neue Dokumentationspflichten, Betriebsprüfungen, Auskunftstätigkeiten … Als weitere zweifelhafte bzw. ungeklärte Fragen nennt er Verzerrungen des Wettbewerbs, Zugriffsschutz und Schutz vor Einflussnahme sowie Fragen der Staatshaftung. Außerdem sehe man schon bei den geschickt und aufwendig gepufferten Sozialpartnermodellen, wie schwer fehlende Garantien zu kommunizieren seien. Wie soll das dann bei den Staatsfondsmodellen funktionieren?
Daneben weist Kassandra hier auf die Folgewirkung auf BRSG und Sozialpartnermodell hin: Wenn es nun also beizeiten Grundrente UND Deutschland-Rente (UND freiwillige Zusatzbeiträge in die GRV als Super-Pay-and-Forget) gibt, dann kann sich jeder Gewerkschafter und jeder Arbeitgebervertreter noch ernsthafter fragen, warum er angesichts der prekären Gesamtgemengelage (v.a. Niedrigzins bis zur Geldwertzerstörung) überhaupt die Anstrengungen und Risiken der Einrichtung eines Sozialpartnermodells auf sich bzw. seine Tarifpartei nehmen soll, wenn sich Niedrigverdiener nun doch viel einfacher versorgen lassen.
Doch geht dieser Gedanke noch weiter über das SPM hinaus, sondern erfasst gerade die Arbeitgeber betreffend die bAV insgesamt: Wenn es nun also beizeiten Deutschland-Rente UND freiwillige Zusatzbeiträge in die GRV als Super-Pay-and-Forget gibt, warum dann überhaupt noch irgendeine bAV – sei es alte oder neue – mit all ihren Mühen, Komplexitäten, Unsicherheiten, Kosten etc. machen?
Kassandra wiederholt erneut: Die deutsche bAV läuft auf ein gigantisches Run off zu – verursacht durch eine insuffiziente, in weiten Teile gar ahnungslose Politik, welche die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich im 21. Jahrhundert überhaupt noch mit der Altersvorsorge von Arbeitnehmern zu beschäftigen, systematisch aushöhlt – durch sachfremde Regulierung und Komplexität einerseits, durch das Angebot von Pay-and-Forget-Systemen andererseits. Dieses Angebot werden die Arbeitgeber sukzessive annehmen, gar annehmen müssen.
Oder in Analogie der Worte eines dänischen Prinzen: The Rest is Run off.
Heubeck (21. November): „Rechnungszinsen sinken auf historische Tiefstände.“
Passend zur prekären Problemlage gestern auch Neues vom Niedrigzins in der bAV:
Wie die Heubeck AG berichtet, fällt nach aktueller Hochrechnung der HGB-Rechnungszins bis zum Bilanzstichtag 31.12.2019 auf 2,70 Prozent und nicht wie noch im Dezember 2018 erwartet auf 2,80 Prozent.
Mittel- bis langfristig geht dies noch dynamischer: Für Bilanzstichtage ab dem 31.12.2024 erwartet der Consultant derzeit einen Wert von unter 1,0 Prozent. Friedemann Lucius, Vorstandssprecher der Heubeck AG, notiert:
„In der internationalen Rechnungslegung sind wir dort bereits angekommen. Wir müssen uns hier sogar auf negative Zinsen einstellen, wie sie in der Schweiz bereits Realität sind.“
Allein der Zinsrückgang im Jahr 2019 kann die Pensionsrückstellungen im internationalen Abschluss um 25 bis 30 Prozent erhöhen, rechnen die Kölner vor. Auch Lucius nutzt die Gelegenheit, angesichts der Scheingewinne in der Steuerbilanz den Gesetzgeber erneut zu der längst überfälligen Anpassung des 6a aufzurufen.
Übrigens: Mit Blick auf die kritische Lage bei Pensionskassen (s.o.) stellt Aktuar Lucius fest:
„Auch für viele deutsche Lebensversicherer wird es allmählich eng.“
Abseits des Gesetzgebers verweist man bei Heubeck auf Gestaltungselemente der reinen Beitragszusage, da insbesondere die Idee des kollektiven Sparens schon jetzt in der „alten“ bAV integriert werden könnte.
„In der öffentlichen Diskussion wird der Erfolg des BRSG immer an einer schnellen Implementierung einer Vielzahl von Sozialpartnermodellen festgemacht. Dies wird einerseits der Komplexität dieses Modells nicht gerecht; es benötigt deutlich mehr Zeit um solche Modelle im Markt zu etablieren. Andererseits hat der Gesetzgeber im BRSG eine Vielzahl von positiven Elementen zur Verfügung gestellt, die auch so einen deutlichen Ausbau der bAV möglich machen“, schreibt Heubeck-Vorstand Rainald Meyer.
mdr aktuell (20. November): „Steuer für Rentner teilweise mehr als verfünffacht.“
Zunehmend wachsen die Rentnergenerationen in die Besteuerung. Die Ergebnisse, die der mdr hier präsentiert, relativieren die nach Kassandras Meinung ohnehin überschaubaren steuerlichen Fördermaßnahmen der bAV weiter – nämlich dergestalt, dass der Vorteil des niedrigeren Grenzsteuersatzes im Alter sich zunehmend marginalisiert.
Kassandra ist übrigens auch aus grundsätzlichen Erwägungen heraus kein Freund nachgelagerter Besteuerung in der Altersvorsorge – schlicht, weil Hunderttausende, wohl eher Millionen Menschen in diesem Land, die unter Alter, Krankheit, Demenz etc. leiden oder pflegebedürftig sind, auch in diesem Zustand noch der Steuererhebung unterworfen werden, bis zum Tod. Und das in einem Land, dessen Steuersystem zu den kompliziertesten und deren Gesellschaft zu den am schnellsten alternden (und auch versingelnden) der Welt zählt. Pragmatisch ist – wie so oft in der Governance der Bundesrepublik im frühen 21. Jahrhundert – jedenfalls anders.