Vergangene Woche hat in Berlin der Weltkongress der Aktuare – ICA 2018 – stattgefunden. LEITERbAV dokumentiert einige der die bAV betreffenden Vorträge mittels Aufsätzen der Referenten. Heute: Nachhaltige Altersversorgung in Zeiten sinkender Zinsen und steigender Lebenserwartung. Von Richard Herrmann.
Altersversorgung nachhaltig zu gestalten, ist nicht damit getan, dass einmal eine Entscheidung getroffen oder ein System implementiert wird und dadurch auch in der Zukunft die Anforderungen wie Finanzierbarkeit und Generationengerechtigkeit automatisch erfüllt bleiben. Rahmenbedingungen wie die demographische Entwicklung und das Verhalten der Kapitalmärkte verändern sich mitunter fundamental und erfordern rechtzeitige Anpassungen der Systeme.
Finanzierungsverfahren
Für die Dauerhaftigkeit eines Altersversorgungssystems sind zwei Voraussetzungen unabdingbar: zum einen die Finanzierbarkeit und zum anderen die Akzeptanz bei den Beitragszahlern und Leistungsempfängern.
Das Spektrum der Finanzierungsverfahren reicht von der reinen Umlage-Finanzierung, bei der etwaige Kapitalansammlungen nur eine Pufferfunktion haben, bis hin zur vollständigen Vorfinanzierung durch Einmalprämien. Dazwischen liegen die Systeme mit partieller Kapitaldeckung.
Beispielhaft seien hier vier Verfahren genannt:
Bei der Anwartschaftsdeckung sind zu jedem Zeitpunkt die aufgrund bereits geleisteter Beiträge erworbenen Ansprüchen vollständig ausfinanziert.
Der Anwartschaftsdeckung ähnlich, aber mit einem geringeren Kapitaldeckungsgrad ausgestattet, ist die Rentenwertdeckung, bei der sich das zwingend vorhandene Vermögen auf die Ausfinanzierung der laufenden Leistungen bezieht und erworbene, aber noch nicht fällige Ansprüche noch nicht finanziert sein müssen.
Ein weiteres Verfahren mit Kapitaldeckung ist das offene Deckungsplanverfahren, das häufig in der berufsständischen Versorgung angewendet wird und durch Einbeziehung des künftigen Neuzugangs eine Umlagekomponente enthält mit der Folge, dass bereits erworbene Anwartschaften nicht vollständig ausfinanziert sein müssen.
Von erheblicher Bedeutung ist natürlich das Umlageverfahren, nach dem auch die gesetzliche Rentenversicherung finanziert wird und das ohne einen gesetzlich vorgeschriebenen Neuzugang nicht existieren könnte.
Vor- und Nachteile der Finanzierungsverfahren
Vermeintliche Vorteile eines Finanzierungsverfahrens können allerdings auch in das Gegenteil umschlagen, wie sich bei der Anwartschaftsfinanzierung aktuell zeigt. Der Vorteil der Anwartschaftsfinanzierung ist eine höhere Rendite als die Inflationsrate mit der Folge, einen realen Mehrwert zusätzlich zu erreichen.
Bei der Umlagefinanzierung werden die laufenden Renten aus dem Einkommen der Aktiven mittels eines Beitragssatzes finanziert. Dadurch besteht im Umlageverfahren die Möglichkeit, Reallohnsteigerungen in Form von entsprechenden Rentenerhöhungen an die Rentner weiterzugeben. Die beiden anderen genannten Verfahren enthalten sowohl Komponenten der Anwartschaftsfinanzierung und der Umlage; die Aspekte gelten hier entsprechend der jeweiligen Ausprägung.
Beide Finanzierungsverfahren reagieren unterschiedlich auf Änderungen der demographischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.
Anwartschaftsfinanzierung
Bei der Anwartschaftsfinanzierung spielt als demographische Veränderung nur die Verlängerung der Lebenserwartung eine Rolle. Und dies auch nur dann, wenn die tatsächliche Entwicklung von der einkalkulierten Lebenserwartung abweicht. Von größerer Bedeutung ist die tatsächliche Rendite der Vermögenswerte insbesondere bei Leistungsgarantien. Die in der Leistungsgarantien enthaltene implizite oder explizite Garantieverzinsung ist von der Inflationsrate abhängig. Sie stellt keine garantierte reale Verzinsung dar, vielmehr müssen Effekte durch niedrigere Inflationsraten vom System zusätzlich erbracht werden.
Umlagefinanzierung
Bei steigender Lebenserwartung und der Annahme eines gleichbleibenden Pensionierungsalters nimmt der Rentnerquotient zu, da die Verlängerung der Lebenserwartung bei den Leistungsbeziehern stärker wirkt als bei den Beitragszahlern. Das entstehende Ungleichgewicht kann nur durch eine Erhöhung der Beiträge oder eine Reduzierung der Leistungen beseitigt werden.
Ein Anstieg der Geburtenrate führt zunächst zu einer höheren Anzahl von Beitragszahlern, ohne dass die Rentensumme ansteigt. Die Beitragssätze sinken und steigen erst, wenn die erhöhte Geburtenrate bei den Rentnern spürbar „ankommt“. Ähnliches gilt für einen positiven Migrationssaldo, wenn die Zuwanderung höher ist als die Abwanderung; auch hier ist die erste Wirkung eine Senkung des Beitragssatzes, und der Anstieg erfolgt erst, wenn die zusätzlichen Begünstigten in die Rentenphase überwechseln.
Bei Veränderungen der ökonomischen Entwicklung berührt die Inflationsrate die ökonomischen Rechnungsgrundlagen eines Altersversorgungssystems im Allgemeinen nur indirekt. Ein Altersversorgungssystem sollte man anhand der realen Größen beurteilen, d.h. insbesondere anhand der realen Rendite und der realen Entwicklungen der Löhne und Gehälter sowie der Leistungen.
Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit
Ein Altersversorgungssystem wird man dann als nachhaltig und generationengerecht bezeichnen können, wenn die mit Beiträgen erworbenen Ansprüche dauerhaft finanziert werden können und das Beitrags-Leistungs-Verhältnis für die unterschiedlichen Generationen zumindest in der gleichen Größenordnung bleibt.
Zur Beurteilung der Generationengerechtigkeit können unterschiedliche Kriterien herangezogen werden. Die Relation zwischen Leistungen und Beiträgen kann auch durch die interne Verzinsung der geleisteten Beiträge unter Einbeziehung der erwarteten Leistungen beurteilt werden.
Bei der internen Verzinsung wird mit Hilfe der Barwerte der individuellen bzw. erwarteten Zahlungsströme der Zinssatz berechnet, für den beide Barwerte identisch sind. Bei der vollständigen Kapitaldeckung ist die interne Verzinsung in der Regel die Durchschnittsverzinsung der Beiträge zuzüglich der entstehenden überrechnungsmäßigen Vermögenserträge.
Bei der Umlagefinanzierung ist aufgrund der fehlenden Kapitalbildung die interne Verzinsung typischerweise null. Abweichungen ergeben sich durch Veränderungen der relevanten demografischen und ökonomischen Parameter. So führt die Verlängerung der Lebenserwartung ceteris paribus zu einer internen Rendite von 0,5 bis 1 Prozent. Sind einige Geburtsjahrgänge stärker vertreten, so ist deren interne Verzinsung aus diesem Grund ebenfalls positiv, weil diese Jahrgänge niedrigere Beitragssätze hatten. Die nachfolgende Generation muss dann die hohe Rentensumme durch höhere Beitragssätze finanzieren mit der Folge einer negativen internen Verzinsung.
Reduzierung der Umlage-Finanzierung auf den „Kern“ der demografischen Entwicklung
Fasst man die demographische Entwicklung nicht als monotones Wachstum oder Schrumpfen der Population auf, so hat man nur noch für Schwankungen in der Population Vorsorge zu treffen. Vor diesem Hintergrund kann man von einem gleichbleibenden „Kern“ der Population – ohne dass eine individuelle Zuordnung erfolgt – ausgehen, der von den Schwankungen nicht betroffen ist.
Zeitversetzte und nicht gleichgradige Schwankungen von Beiträgen und Leistungen im Zeitablauf auszugleichen, erfordert eine partielle Kapitaldeckung als Puffer. Statt einer Beitragssenkung wird der bisherige Beitrag unverändert weiter erhoben und der nicht für Umlage erforderliche Teil der Kapitaldeckung zugeführt.
Grundsätze für die Kombination der Finanzierungsformen
Die Aufteilung zwischen Umlage und Kapitaldeckung ergibt sich aus der erwarteten Rendite, der erwarteten demographischen Entwicklung und den erwarteten Schwankungen im Bestand. Ein Spielraum für eine Umlage-Finanzierung besteht nur insoweit, wie der Kern nicht verlassen wird. Die Kapitaldeckung muss zumindest die erwarteten Schwankungen ausgleichen können. Eine höhere Kapitaldeckung ist zu Lasten der Umlagefinanzierung bis hin zur vollständigen Kapitaldeckung möglich. Innerhalb des Kerns besteht ein Ermessensspielraum, der beim Reagieren auf sich ändernde tatsächliche oder erwartete Rahmenbedingungen optimal genutzt werden kann.
Dass und wie eine Kombination von Umlage- und Anwartschaftsfinanzierung funktioniert, kann am Beispiel der im offenen Deckungsplanverfahren finanzierten berufsständischen Versorgungswerke nachvollzogen werden.
Der Autor ist Vorstandsvorsitzender Heubeck AG. Dieser Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den er am 5. Juni auf dem ICA 2018 in Berlin gehalten hat.
Zwischenzeitlich sind in Zusammenhang mit dem ICA 2018 auf LEITERbAV erschienen:
Die Aktuare der Welt zu Gast bei Freunden
Interview mit Horst-Günther Zimmermann und Friedemann Lucius.
Zwischen Renditeversprechen und Nachhaltigkeit
Gastbeitrag von Reiner Dietz.
Enteignung zugunsten des Kollektivs!?
Gastbeitrag von Professor Oskar Goecke.
Gastbeitrag von Richard Herrmann.
Andere Länder, ähnliche Sitten
Gastbeitrag von Jürgen Fodor.