„Nach der Reform ist vor der Reform“ – so das Fazit des diesjährigen Pensionskassentags von Willis Towers Watson. Am 16. Mai haben mehr als 70 Unternehmensvertreter sowie Experten des Beraters unter dem Motto „Betriebsrentenstärkungsgesetz – neue Chancen für Pensionskassen?“ aktuelle und künftige Herausforderungen für Pensionskassen diskutiert. LEITERbAV gibt einen Überblick.
Vergangene Woche in Frankfurt: Auch wenn nicht wenige Unternehmen – insbesondere solche, die bereits über eine bAV verfügen – dem BRSG skeptisch gegenüber stehen – die Einführung einer reinen Beitragszusage (rBZ) hat im Grundsatz das Zeug zum Game Changer. Davon ist Reiner Schwinger, Head of Northern Europe von Willis Towers Watson, überzeugt. Und das nicht nur aufgrund der Anreize, die rBZ sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer biete, sich trotz des Niedrigzinsumfelds in der bAV zu engagieren. Der Verzicht auf kostenintensive Garantien (bei akzeptablem Sicherheitsniveau) führe zu Kostenbegrenzung auf der einen und höheren Renten auf der anderen Seite.
Als Game Changer wirke auch die mit der Einführung einer rBZ verbundene größere Transparenz. Administration und Kommunikation müssten dann auf integrierte Plattformen umgestellt werden, und anders als in der bislang hochgradig heterogenen bAV-Welt würden reine Beitragszusagen, die ohne Wahlrechte zu einer Altersleistung führen, einfacher untereinander vergleichbar sein als traditionelle bAV-Zusagen. „Das erzeugt Druck und auch neue Risiken – etwa Risiken aus der Erfüllung der treuhänderischen Pflichten des Arbeitgebers“, so Schwinger.
Oder doch Rohrkrepierer?
Ob die rBZ tatsächlich ein Game Changer oder doch ein Rohrkrepierer werde, hänge aber wesentlich auch von den Anforderungen ab, die an sie geknüpft werden. „Auch der Pensionsfonds ist seinerzeit mit großen Erwartungen, aber auch mit einigen ‚Fußfesseln‘ gestartet. Zum Erfolg wurde er erst, als – im Grunde systemfremde – Restriktionen, wie etwa die Verpflichtung, laufende Rentenleistungen aus Leistungszusagen versicherungsförmig zu garantieren, gelockert wurden. Danach stiegen die Deckungsmittel signifikant an“, berichtete Schwinger.
Die Nöte des Bestandes
Bei aller Diskussion um die geplanten Neuerungen gelte es aber, die bestehende bAV-Welt nicht aus dem Blick zu verlieren, denn selbst bei der Einführung einer RBZ hätten viele Unternehmen ja weiterhin den bAV-Bestand und die schon bestehenden Inkonsistenzen in den Rahmenbedingungen für die bAV zu managen. „Hier bleibt es dabei: Nach der Reform ist vor der Reform – weiterer Reformbedarf besteht“, so Schwinger.
Finanzierung einer Rechnungszinsabsenkung
Aus der Praxis eben dieser bestehenden bAV zwischen Niedrigzins und Regulatorik berichtete Andreas Jurk, Vorstand der Pensionskasse für die Angestellten der Barmer Ersatzkasse VVaG. Er erläuterte, welche Lösungsansätze die Pensionskasse diskutiert hatte, um eine Rechnungszinsabsenkung von 4,0 auf 3,5 Prozent zu finanzieren. „Schlussendlich hat sich die Kombination verschiedener Lösungsansätze als erfolgversprechend erwiesen“, berichtet Jurk. Gewählt wurde ein kombiniertes Vorgehen aus einem Einschuss des Trägerunternehmens in einen nachträglichen Gründungsstock, einer Heraufsetzung des Finanzierungsendalters auf das 64. Lebensjahr (statt wie bisher das 63. Lebensjahr) sowie die Finanzierung aus Überschüssen und passivischen Reserven der Pensionskasse.
Was machen Pensionskassen in Österreich (anders)?
Über den nationalen Tellerrand schaute Sibylle Kampschulte, Senior Consultant Global Services and Solutions, Willis Towers Watson, mit ihrem Bericht über Pensionskassen in Österreich. In der dortigen Landschaft bilden die Pensionskassen (die aus deutscher Sicht eher mit Pensionsfonds vergleichbar sind) als größter privater Pensionszahler mit einem veranlagten Vermögen von 21,4 Mrd. Euro und jährlichen Auszahlungen von rund 650 Mio. Euro (Stand 2016) den wichtigsten Durchführungsweg.
Stand 2016 verfügen rund 900.000 Österreicher oder 22 Prozent der Arbeitnehmer über den Anspruch auf eine Firmenpension aus Pensionskassen. Eingeführt 1990, wurde dieser Durchführungsweg seitdem von zahlreichen Unternehmen zur Auslagerung der Pensionsverpflichtungen genutzt. Hierbei wurden leistungsorientierte Zusagen übertragen und häufig in echte DC-Zusagen umgestellt, bei denen die Höhe der – zwingend als Rente ausgezahlten – Leistungen nicht garantiert. Die Performance der österreichischen Pensionskassen lag im langjährigen Durchschnitt (1991-2016) bei 5,53 Prozent, im Jahr 2016 bei 4,17 Prozent. In den letzten Jahren hat es eine deutliche Konsolidierung im Markt gegeben. Neben fünf überbetrieblichen Kassen, die meist Banken oder Versicherungen gehören, gibt es heute noch fünf betriebliche Kassen. In den letzten Jahren haben viele Unternehmen ihre eigenen Pensionskassen auf überbetriebliche übertragen, um langfristig ein professionelles Management, schlanke Administration, entsprechende Governance sowie eine professionelle Kapitalanlage sicherstellen zu können.
Aus deutscher Sicht – so hieß es auf der Tagung – könnten die Erfahrungen, die in Österreich in den letzten gut 25 Jahren in diesem Umfeld gemacht wurden, insbesondere vor dem Hintergrund von möglichen DC-Zusagen im Rahmen des BRSG interessant sein. So sei es auch hierzulande vorstellbar, Wahlmöglichkeiten in der Kapitalanlagestrategie nicht jährlich neu, sondern in begrenztem Umfang anzubieten und in einem insgesamt sehr überschaubaren und verständlichen Rahmen halten. Dem Sicherungswunsch einzelner Anwärter könnte anstelle einer generellen Garantie die Option zur Wahl einer entsprechenden Sicherheitsveranlagung eingeräumt werden, die jedoch auch klar bepreist ist und damit dem Anwärter nachrechenbar verdeutlicht, dass Sicherheit Rendite kostet.
Der Vollzeitvorstand in der kleinen Pensionskasse – pro und contra
Torsten Krüger-Röhm, geschäftsführendes Mitglied des Vorstands der Versorgungskasse der Angestellten der Norddeutschen Affinerie VVaG, berichtete umfassend aus dem Alltag eines Pensionskassenvorstands und den Erfahrungen mit der Umstellung auf einen Vollzeitvorstand. Die Versorgungskasse hatte nach einer solchen Umstellung zahlreiche Prozesse gestrafft und professionalisiert. „Das funktioniert nur mit Kümmerern“, betont Krüger-Röhm. Er sieht die Vorteile eines Vollzeitvorstands beispielsweise in der Mitarbeiterführung, der Professionalisierung des Managements, in der Entscheidungsqualität und -geschwindigkeit, bei Wissens- und Informationstransfer in die Aufsichtsgremien, der Qualität der Gremienarbeit sowie der strategischen Frühausrichtung und der Sicherung der rechtskonformen Vorgehensweise angesichts steigender Regulierungsanforderungen. Nachteile identifiziert er im finanziellen, organisatorischen und zeitlichen Mehraufwand, in einer möglichen Übersteuerung sowie im Verlust von Freiheiten und Entscheidungskompetenzen für die Mitarbeiter.
Sozialpartnermodell Betriebsrente – neue Chancen für Pensionskassen?
Einen Überblick über den aktuellen Stand der Entwicklung des BRSG sowie dessen Chancen für Pensionskassen gab Wilhelm-Friedrich Puschinski, Leiter General Consulting von Willis Towers Watson. „Noch hat das Gesetz einige politische Hürden zu nehmen und könnte dabei Änderungen erfahren. Aber auch wenn das Gesetz so kommt, wie derzeit diskutiert: Welche Chancen sich für Pensionskassen ergeben, hängt sehr von der Akzeptanz und Umsetzung der handelnden Akteure ab, nicht zuletzt den Tarifpartnern“, so seine Einschätzung.
Für Pensionskassen sieht er einige Chancen: Mit der Abschaffung der doppelten Verbeitragung bringe das BRSG neuen Wind für den bAV-Riester. Pensionskassen sollten darauf reagieren können, betont Puschinski. Die rBZ verspreche Pensionskassen zudem neues Geschäft. Mit dem Garantieverbot steige die Attraktivität der Kassen relativ zu den klassischen Lebensversicherungen, zudem erführen insbesondere die regulierten Kassen ausgesprochene politische Unterstützung. Die Tarifvertragserfordernis stelle die Pensionskassen allerdings vor Herausforderungen. Sie müssten als „gemeinsame Einrichtung“ der Tarifpartner auftreten können, die Planteilnehmer müssten ebenfalls in geeigneter Weise in den Einfluss entsprechender Tarifverträge gebracht werden. Lösungen hierzu dürften sich aus der Praxis ergeben.
Die Einstellung der Arbeitgeber sei derzeit noch verhalten, auch die der hier geforderten Tarifparteien sei in vielen Punkten noch unklar. „Die Chancen einer Betriebsrentenstärkung und höherer Renditen für Arbeitnehmer durch Verzicht auf Garantien sollten allerdings nicht auf die lange Bank geschoben werden“, erklärt der WTW-Experte.
Koexistenz? Oder geht da mehr?
Auf einer Podiumsdiskussion wurde auf der Tagung die Frage erörtert, ob das BRSG und die Pensionskassen sich auf ein wohlwollendes Nebeneinander beschränken werden, oder ob „da noch mehr ginge“. Auf dem Podium saßen, neben Moderator Nikolaus Schmidt-Narischkin, Director Consulting Services von Willis Towers Watson, als Diskutanten Susanna Adelhardt, Leiterin der Pensionskasse Degussa VvAG, Peter Gramke, Abteilungsleiter Kundenservice der SOKA-Bau, Werner Loch, Geschäftsführer der Malerkasse sowie Karin Schulze, Verantwortliche Aktuarin/Leiterin Mathematik und Gesamtrisikomanagement des BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes AG.
Angesichts der noch andauernden Diskussion um das BRSG ließen sich zu der genannten Fragestellung noch keine abschließenden Antworten geben; daher steht auch noch keine Einrichtung konkret in den „Startlöchern“. Chancen sahen die Teilnehmer vor allem in der Kosten- und Bilanzsicherheit sowie den erweiterten Kapitalanlagemöglichkeiten und den Fördermöglichkeiten, die im BRSG-Entwurf vorgesehen sind. Für wesentlich wird die Kommunikation gehalten. Dass ein Tarif ohne Garantien unter dem Strich besser sein kann als einer mit Garantien erschließe sich nicht intuitiv – hier bedürfe es einer umfassenden und nicht unaufwändigen Kommunikation mit den Versorgungsanwärtern, um das notwendige Vertrauen in etwaige neue Tarife herzustellen. Schließlich bliebe bei einer Umstellung auf neue Tarife das – allerdings auch aus der bisherigen bAV-Welt schon bekannte Problem – unterschiedliche Tarifgenerationen und Bestände parallel zu managen.
Aktuelle rechtliche Entwicklungen für Pensionskassen
„Pensionskassenzusagen führen bei Arbeitgebern aufgrund aktueller rechtlicher Entwicklungen unter Umständen zu Handlungsbedarf“, erläuterte schließlich Michael Karst, Director bei Willis Towers Watson, in seinem Vortrag. So hat das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung der Änderung des Paragraf 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG, die zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, die seitens des Gesetzgebers angestrebte Rückwirkung versagt.
Folge dieser Entscheidung ist, dass es für vor diesem Zeitpunkt liegende Stichtage bei der Verpflichtung der Arbeitgeber verbleibt, ggf. die Anpassung laufender Pensionskassenrenten nach Paragraf 16 Abs. 1 BetrAVG vornehmen zu müssen. Offen ist, ob es im Zuge des BRSG hier noch zu einer weiteren gesetzlichen Klarstellung kommen wird. Hingewiesen wurde dabei auch auf mögliche handelsbilanzielle Folgerungen dieser Entscheidung.
Zudem wurde über die ggf. notwendige Umklassifizierung der Bilanzierung von Pensionskassenzusagen von DC auf DB vor dem Hintergrund einer aktuellen IDW-Verlautbarung (HFA 50) berichtet: für die Frage, wie sich eine solche Umklassifizierung auswirkt, kommt es für die bilanziellen Folgen unter IFRS darauf an, wie der entsprechende Pensionsplan bislang bilanziert wurde.
Schließlich wurde auf die BFH-Entscheidung hingewiesen, wonach bei Pensionskassenzusagen, bei denen plangemäß eine Kapitalauszahlung möglich ist, eine steuerwirksame Fünftelung der ausgezahlten Kapitalleistung nicht rechtens ist.
Diese Entscheidung habe jedoch keine Auswirkung auf die Frage, ob die Fünftelung bei Kapitalzahlungen aus Direktzusagen bzw. U-Kassenzusagen möglich ist. Zudem wurde die mit der Bundesebene abgestimmte Verfügung der OFD NRW vom 2. Dezember 2016 erläutert, die sich mit der lohnsteuerlichen Behandlung von Sonderzahlungen an Pensionskassen befasst und den Anwendungsbereich des Paragrafen 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 b) EStG auch bezüglich des aktuellen Niedrigzinsumfeldes konkretisiert.