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DBO und Outside Funding im DAX 2023 (I):

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Einer der drei großen US-Benefit Consultants kommt seit einiger Zeit sehr früh im Jahr mit einer ersten groben quantitativen Analyse des Pensionswesens bei Deutschlands 40 größten notierten Konzernen. Tenor: Im Jahr 2023 haben die relevanten Parameter sämtlich angezogen. Und man hat gutes Geld verdient.

Ähnlich wie im Vorjahr hat Mercer gestern und damit sehr früh im neuen Jahr seine erste Analyse der quantitativen 23er-Entwicklung der Versorgungswerke im DAX 40 vorgelegt; Kernergebnisse:

  • Funding Ratio plus 1% auf 81%, neues Rekordniveau
  • Plan Assets plus um 22 Mrd. Euro auf etwa 267 Mrd. Euro
  • DBO plus 23 Mrd. Euro auf etwa 330 Mrd. Euro infolge von hohem Niveau v.a. im November und Dezember 2023 nachgebenden Rechnungszins.

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Dies Werte beruhen auf einer Schätzung Mercers auf Basis der jüngsten Geschäftsberichte der DAX-40-Unternehmen sowie aktueller Kapitalmarktinformationen. Mehr Einzelheiten:

Das Comeback der Plan Assets

Nach den Kursverlusten des Jahres 2022, die sich auf das Pensionsvermögen im DAX mit etwa 20% Rückgang ausgewirkt hatten, war das Jahr 2023 von einer Erholung geprägt. Das Pensionsvermögen im DAX-40 (in aktueller Zusammensetzung) ist von rund 245 Mrd. Euro um etwa 22 Mrd. Euro auf ca. 267 Mrd. Euro gestiegen, liegt aber immer noch weit unter dem Höchststand von fast 300 Mrd. Euro Ende 2021.

Immer wieder nötig: um- und rumrechnen

Die Zusammensetzung des DAX-40 hat sich 2023 geändert. Im Februar wurde Linde durch die Coba, im März Fresenius Medical Care durch Rheinmetall ersetzt. Der Abgang von Fresenius Medical Care hat dabei keine Auswirkungen auf das Pensionsvermögen im DAX, da das Unternehmen vollständig bei Fresenius SE konsolidiert wird. Bei den drei anderen Unternehmen bestehen jeweils mehrere Mrd. Euro Pensionsvermögen.

Per Saldo hat sich durch die veränderte Zusammensetzung des DAX das Pensionsvermögen nur um etwa 2 Mrd. Euro erhöht.

Cash to leave …

Im Hinblick auf die hohe Inflation erwartet Mercer, dass die Zahlungen aus dem Planvermögen erneut höher sind als die neuen Zuwendungen. Der daraus resultierende Mittelabfluss könnte etwa 5 Mrd. Euro betragen.

und ordentliche Rendite …

Im Ergebnis hat sich das Pensionsvermögen durch die veränderte DAX-Zusammensetzung und die Mittelabflüsse um 3 Mrd. Euro reduziert. Da der Stand Ende 2023 aber 22 Mrd. Euro höher ist als Ende 2022, ergibt sich eine Rendite im Pensionsvermögen von rund 25 Mrd. Euro oder 10%.

trotz volatiler Märkte

2023 haben die Volkswirtschaften der Welt insgesamt eine hohe Widerstandsfähigkeit bewiesen, meint Mercer. Trotz zahlreicher Wachstumshemmnisse, wie bspw. das erhöhte Zinsniveau, die zunächst hartnäckige Inflation, strengere Kreditvergabestandards und einer Verlangsamung des Wachstums insb. im verarbeitenden Gewerbe, wuchs die Weltwirtschaft weiterhin moderat. Der Konsum wurde dabei durch einen Anstieg der Einkommen und auch die Nutzung von Rücklagen gestützt.

USA hui, China mau

Auch der Rückgang der Inflation hat sich positiv auf den Konsum ausgewirkt, betont der Consultant. In einigen Regionen war ein relevanter Anstieg der Investitionen im Privatsektor zu beobachten, der teils durch fiskalische Stimulierungsmaßnahmen gefördert wurde. Das globale Wachstum war keineswegs einheitlich. Während die USA ein hohes Wachstum aufwiesen, enttäuschte die chinesische Wirtschaft.

Im Ergebnis zeigten sich Aktienmärkte 2023 robust, aber noch immer volatil. So wiesen insb. die entwickelten Märkte, getrieben durch die starken Tech-Konzerne in den USA (im Börsenjargon „Magnificent Seven” genannt, doch PI fände „Seven Sisters“ knackiger) im ersten Halbjahr 2023 eine erfreuliche Performance auf. Im zweiten Halbjahr dämpfte die Rhetorik der amerikanischen Zentralbank die Kursentwicklung an den Aktienmärkten, bevor im letzten Quartal eine Jahresendrallye einsetzte, blickt Mercer zurück.

Iiiiimm Gleichschritt: hoch!

Im Gesamtjahr 2023 stieg der MSCI World TR Index um 20,2%, der MSCI Emerging Markets TR Index legte 6,5% zu, und der MSCI Europe TR Index gewann 16,6% (jeweils in Euro) hinzu.

Gleichzeitig sind mit den weiteren Zinsanhebungen 2023 sind die nominalen Anleihenrenditen entlang der gesamten Kurve gestiegen. Insgesamt konnten die globalen Anleihenmärkte um 4,7% hinzugewinnen (Bloomberg Barclays Global Aggregate TR Index EUR Hedged). Mit dem Rückgang der Inflationsraten sind auch die realen Renditen signifikant gestiegen.

Geldentwertung verlangt Anpassungen

Jeffrey Dissmann, Mercer.

„Es kam für Investoren im Jahr 2023 darauf an, die veränderten Chancen am Kapitalmarkt zu erkennen und situationsgerecht zu handeln. Viele nutzen das höhere Zinsniveau zum Ausbau der Zinsabsicherung der Verpflichtungen. Eine solche Risikoreduktion in der Kapitalanlage war jedoch nicht durchgehend zu beobachten. Viele Pensionsanleger müssen weiterhin Kapitalmarktrisiken eingehen, um den gestiegenen Anpassungsbedarf aus der Inflation zu decken – und am Aktienmarkt hat sich das insbesondere zum Jahresende auch durchaus ausgezahlt“, kommentiert Jeffrey Dissmann, Leiter Investments bei Mercer Deutschland.

Zins runter, DBO rauf

Der Wert der Pensionsverpflichtungen in den IFRS-Abschlüssen der DAX-Unternehmen ist wie erwähnt von rund 307 Mrd. Euro um ca. 23 Mrd. Euro auf etwa 330 Mrd. Euro gestiegen. Die geänderte Zusammensetzung des DAX-40 macht hiervon rund 1 Mrd. Euro aus. Der Wert der Pensionsverpflichtungen ist also durch die geänderte DAX-Zusammensetzung weniger stark gestiegen als der Wert des Pensionsvermögens (2 Mrd. Euro, s.o.).

Hauptursache für den verbleibenden Anstieg von etwa 22 Mrd. Euro ist der Rückgang des Rechnungszinssatzes. In welchem Ausmaß der Zins im einzelnen Unternehmen reduziert werden musste, hängt vom verwendeten Verfahren, der Zusammensetzung des Personenbestandes, denn konkreten Zusagen und weiteren Faktoren ab, erläutert Mercer.

Bei der Mercer Yield Curve, dem eigenen Verfahren zur Ermittlung des Rechnungszinssatzes nach IFRS, ist der Rechnungszins für eine typische durchschnittliche Restlaufzeit von 15 (bzw. 20) Jahren von 4,21% (bzw. 4,25%) auf 3,57% (bzw. 3,63%) gesunken.Grafik zur Volldarstellung anklicken.

Thomas Hagemann, Mercer.

Der Rechnungszins wird im DAX im Durchschnitt aber weniger deutlich abgesenkt: „Unter Berücksichtigung der verschiedenen Zinsermittlungsverfahren und der Erfahrungen aus der Vergangenheit gehen wir davon aus, dass der Rechnungszins im DAX zum 31. Dezember 2023 etwa einen halben Prozentpunkt unter dem Vorjahreswert lag. Damit lässt sich der größte Teil des Anstiegs der Verpflichtungswerte erklären“, erläutert Thomas Hagemann, Chefaktuar von Mercer Deutschland.

Men without Hedge

Dieser Zinsrückgang ist deutlich niedriger als der Anstieg des Rechnungszinssatzes im Jahr 2022. Damals war das Zinsniveau bedingt durch den Ukrainekrieg um etwa 2,5 Prozentpunkte angestiegen. Dennoch ist der Rückgang im Jahr 2023 für die Unternehmen schmerzhaft, fühlt Mercer mit.

Vor allem die hohe Volatilität des Zinssatzes und den unerwartet schnelle und starke Rückgang des Zinsniveaus zum Jahresende sieht man als Herausforderung für die Unternehmen, insb. für diejenigen, die sich gegen dieses Risiko in der Kapitalanlage nicht abgesichert hatten.

Die hohe Inflation und die daraus resultierende Belastung aufgrund der Anpassung laufender Leistungen war bereits im Vorjahr zu berücksichtigen. „Möglicherweise ist das nicht in allen Unternehmen in ausreichendem Maße geschehen, so dass es Nachreservierungen durch gestiegene Leistungen oder eine Erhöhung der Inflationsannahme zum Ende 2023 geben kann. Hierfür haben wir in der Schätzung 2 Mrd. Euro berücksichtigt“, kommentiert Hagemann.

Achtung, Actuary!

Mercer betont eine Tatsache, die früher häufig und auch heute noch zuweilen in der fach-öffentlichen Diskussion zu kurz kommt: dass die Anpassung laufender Leistungen zu zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen der Unternehmen führt, während die Erhöhung der Verpflichtungswerte durch den gesunkenen Rechnungszinssatz eine rein bilanzielle Belastung darstellt. Die Volatilität von Verpflichtungs- und Vermögenswerten wird im IFRS-Abschluss erfolgsneutral dargestellt, belastet also nicht den ausgewiesenen Unternehmenserfolg.

Funding Ratio ATH

Der Deckungsgrad hatte Ende 2022 ein Rekordhoch von 80% erreicht. Dieser Wert wurde Ende 2023 mit den o.a. 81% noch überschritten. Zum Vergleich: In den Jahren 2008 bis 2020 lag der Deckungsgrad nie über 70%, 2021 erreichte er 72%.

Aber, so Mercer: Diese hohen Deckungsgrade 2022 und 2023 spiegeln nicht nur das Verhältnis der Kursentwicklung des Planvermögens zur rechnerischen Entwicklung der Pensionsverpflichtungen wider, sondern liegen auch im allgemeinen Trend zur Ausfinanzierung begründet.

Alles kann, nichts muss

Da es in Deutschland keine Pflicht zum Aufbau eines Pensionsvermögens gibt (Anm: PI: richtig so!), liegt der Deckungsgrad hierzulande typischerweise niedriger als beispielsweise in UK oder US. Gerade im DAX, aber auch bei anderen großen Unternehmen und vermehrt auch im Mittelstand, sieht Mercer den weiter intakten Trend zur Nutzung von Pensionsfonds als einem kapitalgedeckten Durchführungsweg der bAV, aber auch anderer Ausfinanzierungslösungen, um den bilanziellen Risiken der DBO zu begegnen.

André Geilenkothen, Mercer.

„In den vergangenen Jahren haben viele Unternehmen Pensionsverpflichtungen auf den Pensionsfonds übertragen, um bilanziell Pensionsvermögen zu schaffen, Liquiditätsbelastungen zu verstetigen und Risiken angemessen zu steuern“, erläutert André Geilenkothen, Leiter Pension Funding Consulting bei Mercer Deutschland. „Hierfür haben die Unternehmen in Deutschland über die letzten Jahre kontinuierlich mittlere einstellige Milliardenbeträge bereitgestellt.“

Perspektive? Unklar!

Die Inflation ist zwar bereits deutlich zurückgegangen, hat sich aber noch nicht vollständig normalisiert und könnte sich als hartnäckig erweisen oder sogar wieder ansteigen, gibt Mercer zu bedenken. Daneben sieht man das labile Wirtschaftswachstum als das entscheidende Kriterium für die künftige Zinspolitik.

„Kurzfristig rechnen wir aber nicht mit Zinssenkungen. Auch die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen halten weiter an. Die Herausforderungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Bundeshaushalt sind längst nicht vollständig gelöst. Zudem können die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September und die US-Wahlen im November neue Unsicherheiten nach sich ziehen. Die Herausforderungen bleiben also vielfältig,“ schreibt der Consultant in seiner Analyse.

„Zu einem Zeitpunkt, in dem die Zinsen im Jahresvergleich gesunken, im Kontext der letzten Jahre jedoch weiterhin hoch sind, müssen sich Pensionsinvestoren damit auseinandersetzen, die Bilanzvolatilität angemessen zu reduzieren, ohne die Rendite-Chancen, z.B. zur Finanzierung von Rentenanpassungen, zu weit zu mindern. Auch dürften nach dem Ende des billigen Geldes Zuführungen zum Planvermögen für die meisten Unternehmen schwieriger geworden sein. Hier muss eine intelligente Kapitalanlage einen höheren Beitrag zur Schließung der Deckungslücke leisten“, betont Dissmann.

Soll ich, soll ich nicht…

„Bestehende Ausfinanzierungslösungen sollten in jedem Fall unter Berücksichtigung der neuen Gegebenheiten an den Kapitalmärkten optimiert werden. Unternehmen, die bislang noch nicht in die planmäßige An- und Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen eingestiegen sind, sollten die damit verbundenen Möglichkeiten des De-Riskings sorgfältig analysieren. So ist eine Ausfinanzierung auch eine Möglichkeit, den gestiegenen Zinsaufwendungen für Pensionen auf der Bilanz zu begegnen“, ergänzt Geilenkothen.

Später im Jahr werden die weiteren, dann schon auf breiterer Datenbasis beruhenden Analysen dieser Art erscheinen, von Mercer sowie WTW und Aon. PENSIONSINDUSTRIES wird berichten.

Fazit von PENSIONSINDUSTRIES

Nicht zum ersten Mal sei hier betont, dass die Versorgungswerte der deutschen Großkonzerne offenkundig gut gemanagt sind. Die möglicherweise hinter uns liegende Dekade des politisch manipuliert Mini- und Nullzinses haben sie jedenfalls anständig überstanden, und auch für den Fall, dass das neue Jetzt nachhaltig sein wird – also back to normal – wirken sie gut aufgestellt.

Das zur einer der heutigen Zwischen-Headlines anregende Kulturstück findet sich hier, das zu einer anderen hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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