Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

24. HB-Jahrestagung bAV (III):

Alles hat ein Ende, und …

das gilt namentlich für befristete Versorgungszusagen. Welche Möglichkeiten es gibt, Versorgungen abseits des heute Üblichen zu gestalten, dem widmete sich ein spezielles Forum auf der Fachtagung. LbAVAutor Detlef Pohl war vor Ort dabei – und liefert im dritten und letzten Teil seiner Berichterstattung zu der Tagung einen kleinen Ausriss.

Wegen der Inhaltsdichte dokumentiert LEITERbAV Impressionen der HB-Tagung erneut im schnellen LbAV-Stakkato (sämtlich im Indikativ der Referenten):

Döring: UmRUG macht cross Border besser

René Döring, Partner bei Linklaters LLP, referiert zu Besonderheiten bei grenzüberschreitender Übertragung von Verpflichtungen:

+++ im März 2023 Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Gesetze (UmRUG) in Kraft getreten +++ damit erstmals grenzüberschreitende Spaltungen und Formwechsel von KapGes innerhalb EU/EWR rechtssicher möglich +++ mögliche Anlässe: M/A-Aktivitäten, Bündelung von Pensionsverpflichtungen auf Konzernebene, Liquidation, Nutzung ausländischen Planvermögens oder ggf. Erleichterung von Pension Buy-out oder Pension Buy-in +++

+++ zuvor drei Möglichkeiten für grenzüberschreitender Übertragungen: Asset Deal (nur bzgl. Pensionsverpflichtungen aktiver AN möglich), grenzüberschreitende Verschmelzung (nur im Hinblick auf Gesamtvermögen möglich, nicht aber bzgl. einzelner Vermögensgegenstände) und Collapse Merger mit vorausgehender Abspaltung/Ausgliederung (umwandlungsrechtliche Übertragung auf Personengesellschaft mit anschließendem Austritt von Gesellschaftern; sehr aufwändig) +++ nunmehr durch UmRUG grenzüberschreitende Spaltungen für AG, GmbH, KGaA und SE rechtssicher möglich +++

Rene Döring, Linklaters. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ eng an deutsches Umwandlungsrecht angelehnt, aber mit Besonderheiten +++ bedarf grundsätzlich Übertragung auf neue Gesellschaft (in D. aber einige über EU-Richtlinie hinausgehende Ausnahmen möglich) – mit Spaltungsplan (u.a. mit Angaben zu Errichtungsakt und/oder Satzung, Barabfindungsangebot, Zeitplan, Angaben zu Sicherheiten für Gläubiger und Auswirkung auf Betriebsrenten) +++ zudem idR Spaltungsbericht (u.a. mit arbeitnehmerspezifischem Abschnitt) und Spaltungsprüfung (durch gerichtlich bestellten unabhängigen Prüfer mit Fokus auf Umtauschverhältnis sowie Barabfindung) nötig +++ erfordert bei möglichen Auswirkungen auf unternehmerische Mitbestimmung Durchführung besonderen AN-Beteiligungsverfahrens und unterliegt Rechtmäßigkeitskontrolle durch Registergericht +++

+++ Sonderregelungen für Pensionsverpflichtungen: falls bAV gefährdet, können Anwärter/Rentner Sicherheitsleistung verlangen, wenn Ansprüche durch Spaltung gefährdet (nach § 314 UmwG) +++ gilt ohne Ausnahme für PSV-geschützte Ansprüche, aber jedenfalls bei CTA-Schutz voraussichtlich Tatbestand der Gefährdung nicht erfüllt (auch in anderen Fällen nicht notwendigerweise von Gefährdung auszugehen) +++ bei Spaltung auf ausländische Rentnergesellschaft muss Gericht zwingend Missbrauchsprüfung vornehmen (nach § 316 UmwG), nicht jedoch bei Spaltung auf deutsche Rentnergesellschaften +++ im Ergebnis kein zwingender „Show Stopper“ für ausländische Rentnergesellschaften, sofern zulässige Motive und angemessener Schutz der Rentner +++

+++ moderate Auswirkungen auf Pensionszusagen bei grenzüberschreitender Übertragung +++ rechtlich: Wechsel des Schuldners führt nicht automatisch zu Wechsel des anwendbaren Rechts (für deutsche Zusage bleibt BetrAVG maßgeblich), ggf. zusätzliche Anwendung ausländischen Rechts auf neuen Schuldner (aber nicht auf Versorgungsverhältnis selbst) +++ PSV-Schutz: Grundvoraussetzung bleibt bestehen wegen deutschen Rechts (keine Schlechterstellung für AN), Insolvenz des neuen Gläubigers ist vom PSV als Eintritt des Sicherungsfalls anzuerkennen +++ Gerichtsstand: weiterhin nach deutschem Recht +++

+++ Pensions Buy-out: Übertragung für nachfolgende Pension Buy-outs nach ausländischem Recht nicht möglich, aber Pension Buy-in zu etwaig besseren Konditionen im Ausland denkbar +++ Rentenanpassung nach grenzüberschreitender Übertragung: bei Anpassungsprüfung kommt es auf HGB-Jahresabschluss an (Darlegungs- und Beweisproblem bei ausländischer Gesellschaft), nachvollziehbare Vorlage des Zahlenwerkes laut BAG nötig +++ BAG Az.: 3 AZR 05/16 v. 12. Dezember 2017: nachvollziehbare Darlegung der Berechnungsfaktoren und Angaben zur Ermittlung des Zahlenwerkes +++

Granetzny: Die Ähnlichkeiten zwischen befristet und rein

Mit der möglichen Befristung von Versorgungszusagen ohne Umgehung des BRSG beschäftigt sich Thomas Granetzny, Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer:

+++ typische Zusage-Konstellation bei arbeitgeberfinanzierter boLZ: Befristung nur biometrischer Risiken Tod und Invalidität (Rückdeckungsversicherung als reine Risikoversicherung ohne Sparanteil) +++

+++ befristete Versorgungszusage ähnelt in ihren Wirkungen denen reiner Beitragszusage (rBZ) +++ Befristung in Jahresscheiben möglich, aber nach einigen Jahren kann Risiko der Unverfallbarkeit auftreten infolge Rechtsprechung zur Kettenbefristung +++ vieles spricht rechtlich für Zulässigkeit der Befristung durch AG, da Dotierungsfreiheit (Dotierungshöhe frei + Befristung = Dotierungsrahmen), Dispositionsbefugnis und BAG-Entscheidung zu Ablösung einer Zusage durch Versorgungszusage mit auf 7 Jahre befristeter Beitragszahlung (BAG Az.: 3 AZR 11/10) +++

Thomas Granetzny, Freshfields. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ richtige Gestaltung der Befristung: muss Kontrolle einzelner Arbeitsbedingungen standhalten (§§ 305 ff. BGB); Maßstab: benachteiligt Befristung AN entgegen Treu und Glauben unangemessen? +++ wichtig: Versorgungszusage einerseits mit Entgeltcharakter, andererseits sichert befristete Zusage unvorhersehbare biometrische Risiken ab und macht Versorgungszusage flexibel und finanziell planbar +++ zudem ermöglicht Gleichlauf von Versorgungszusage und Rückdeckungsversicherung Absicherung für alle Mitarbeiter ohne individuelle Gesundheitsprüfung +++

+++ Unverfallbarkeit dem Grunde nach setzt u.a. dreijährigen Bestand der Versorgungszusage voraus; Addition der einjährigen Laufzeiten (vgl. § 1b Abs. 1 S. 3 BetrAVG) strittig +++ Anerkennung von Folgezusage als Änderung der Erstzusage setzt sachlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus, also wenn die Zweit- oder Folgezusage die Erstzusage ganz oder teilweise ersetzt oder ablöst, das mit ihr gegebene Versorgungsversprechen umgestaltet oder es – etwa durch Aufstocken von Leistungen – ergänzt; BVerwG-Urteil Az.: 10 C 19/14 vom 2. Dezember 2015 +++ nach dieser Einheitstheorie sind Fälle, in denen nacheinander mehrere Versorgungszusagen erteilt werden, genauso zu beurteilen wie Anpassung ursprünglicher Versorgungszusage (Voraussetzungen für Einheitszusage liegen aber bei ordnungsgemäßer Gestaltung nicht vor) +++

+++ Verklammerung der einzelnen befristeten Zusagen nur zu Biometrie +++ begrenzt AG die Erteilung der Versorgungszusage von Anfang klar und hinreichend transparent auf bestimmen Zeitraum, können Versorgungsberechtigte kein Vertrauen bilden, dass auch über zeitliche Begrenzung hinaus erneute Versorgungszusage erteilt wird +++ arbeitsrechtliches Problem bei unsachgemäßer Befristung: Future-Service wird AN genommen (Drei-Stufen Theorie ist gleichwohl nicht einschlägig) +++

+++ Regel bleibt unbefristete Zusage als Standard +++ Gesamtzusage ist als einzelvertraglicher Anspruch auf zugesagte Leistung ausgestaltet +++

Coßmann und Sommer: Mit Lebenszyklusmodell zu effizienterer Betriebsrente

Detlef Coßmann, Head of Pensions Siltronic AG, und Michaela Sommer, Direktor Corporate Pensions Solutions bei Allianz Global Investors, sprechen über die bAV dem Zulieferer für Halbleiterhersteller:

+++ bAV bei Siltronic bislang über Pensionskasse (Einkommen bis BBG) und Direktzusage (Einkommen über BBG) +++ für Neueinsteiger seit 1. Januar nun Direktzusage „bAV Siltronic 2023“ in Form wertpapiergebundener Direktzusage +++ Motivation: Niedrigzinsumfeld und regulatorisches Umfeld brachte immer geringeres Leistungsversprechen; bisheriges System nicht fair bzgl. Beitragsverzinsung unterschiedlicher Produktgenerationen +++ aufgrund erwarteter Rentenabgänge aktuell auch guter Zeitpunkt, durch natürliche Fluktuation Bestand in neuer Zusage aufzubauen; zudem Abbau an Volatilität in den Rückstellungen +++ Ziel neuer Wertpapierzusage: modern und attraktiv, nahezu komplett digital, unmittelbare Beteiligung AN am Anlageerfolg, Förderung Entgeltumwandlung, nahezu bilanzneutral +++ in Anwartschaft fließen AG-Grundbeitrag und AN-Grundbeitrag sowie Beiträge gemäß Chemie-TV und zusätzliche freiwillige Entgeltumwandlung genauso wie bei Chemie-SPM +++

Michaela Sommer, AGI, und Detlef Coßmann, Siltronic AG. Freshfields. Foto: Dietmar Gust, Handelsblatt.

+++ Leistung mit flexibler Auszahlung: grundsätzlich lebenslange Rente, wahlweise Einmalkapital bzw. 5 Raten oder als Kombi von Einmalkapital und Restverrentung +++ Höhe: aus Beiträgen und Zins angespartes Versorgungsvermögen, mindestens aber Summe eingezahlter Beiträge (Garantie); bei Erwerbsminderung oder Tod vor 57 AG-finanzierte Aufstockung im Rahmen der Grundabsicherung +++

+++ Kapitalanlage: Vermögen entsprechend jeweiligem Alter des Mitarbeiters als LifeCycle-Modell am Kapitalmarkt investiert und in Treuhandverein insolvenzfest verwaltet +++ Umsetzung über AGI +++ zu Rentenbeginn wird neben Siltronic-Rente individuelles Bonus-Potenzial bestimmt: jährlicher Abgleich von vorhandenem Vermögen für Rentner und versicherungsmathematisch notwendigem Vermögen der Rentner (Überschuss bestimmt auszuzahlenden Anteil des Bonus-Potenzials) +++

+++ zwei Portfolio-Bausteine: Kapitalisierungsprodukt („bessere“ Zinsanlage) und chancenreicher Multi-Asset Fonds mit Risikomanagement zur Abfederung von Marktkorrekturen +++ Mitarbeiter (Eintritt in Plan mit 30) mit 100 Euro Monatsbeitrag kommt nach konservativer Simulation auf 140.000 Euro (5,5% Rendite p.a.) mit 67 (Eintritt in Plan mit 55 bringt bei 150 Euro Monatsbeitrag 28.400 Euro, umgerechnet 4,4% Rendite p.a.) +++ beides besser als klassisches Lebenszyklusmodell, weil beide Portfoliobausteine in Krisenzeiten abfedern und so bessere Rendite bei weniger Risiko ermöglichen +++ Siltronic-Rente speist sich nicht nur aus Beitrag, sondern auch aus jährlicher, nicht garantierter Bonuszahlung (generell: 1% Anpassung p.a.) +++ Ziel: kollektive Verrentung innerhalb der Direktzusage, Garantierente + Bonuszahlungen +++

+++ von Projektstart bis zu finaler Umsetzung im September 2023 nur ein Jahr +++ freiwilliger Wechsel für Bestandsmitarbeiter in Lebenszyklusmodell möglich +++ Pensionsportal beinhaltet alle Infos +++ zusätzlich wöchentliche Jours fixes mit Anbieter der Pensionsadministration (Lurse) +++ zudem Präsentationen bei Betriebsversammlungen, Hotline und Einzelberatungen +++ schnelle Umsetzung nur möglich, weil gute Vorbereitung vor Projektstart, professionale Partner an Bord, (aktuariell von Aon und juristisch von WTW unterstützt), Komplexität weitestgehend vermieden und Unterstützung durch alle Stakeholder jederzeit gegeben +++

Fazit von LEITERbAV: Komplexität nimmt weiter zu

+++ Forum B auf HB-Tagung skizziert jüngste Ausläufer der Regulierung, die Aufwand für AG weiter erhöhen dürften – aber auch vielversprechende neue Möglichkeiten bieten +++ UmRUG ermöglicht nun grenzüberschreitende Spaltungen für Kapitalgesellschaften, aber zahlreiche Sonderregelungen für Pensionsverpflichtungen +++ vielfältige Auswirkungen auf Pensionszusagen bei grenzüberschreitender Übertragung +++ ob bisherige bAV-Ansprüche (BetrAVG bleibt rechtlich der Maßstab) nicht doch gefährdet sind, muss Zukunft zeigen +++

+++ ähnliche Zweifel bei Befristung von Versorgungszusagen (Maßstab ist hier BRSG), da Befristung in vielen Konstellationen AN nach Treu und Glauben benachteiligen könnte +++ Regel bleibt in Deutschland unbefristete Versorgungszusage +++ bei Befristung dürfte rechtlicher Aufwand steigen +++

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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