Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Ja mehr denn gantz verheeret!

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Über Drittwirkung beim Zins, die Kosten des Bombens, den Unterschied zwischen implizit und explizit, über Wohnraum für Millionen, fehlenden Spirit – und die schon weltweit legendäre Klugheit deutscher Industriepolitik im frühen 21. Jahrhundert.

BMF (30. März): „Der Zinssatz für Nachzahlungen und Erstattungen wird auf 0,15 % pro Monat gesenkt.“

Erst vor einer Woche hatte LbAV anlässlich eines AfD-Antrags im Deutschen Bundestag aufgegriffen, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen mit jährlich 6% gem. § 233 AO ab dem Jahr 2014 verfassungswidrig ist – und bekanntlich kann die Sache Drittwirkung auf die ebenfalls in Karlsruhe liegende 6a-Problematik für Pensionsrückstellungen haben.

Kassandra hatte kritisiert, dass es die FDP höchstselbst war, welche noch in der Opposition das Thema neben der AfD getrieben und der seinerzeitigen Bundesregierung vorgeworfen hatte, auf ein Urteil aus Karlsruhe zu warten, anstatt im Sinne einer anständigen Governance als Exekutive zu handeln.

Nun hat das BMF unter FDP-Führung vorgestern gehandelt, immerhin. Zumindest hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzesentwurf beschlossen. Demnach werde dieser Zinssatz nach § 233a AO rückwirkend ab dem 1. Januar 2019 auf 0,15% pro Monat (= 1,8% p.a.) gesenkt. Ob das reicht, um dem Karlsruher Urteil gerecht zu werden, bleibt abzuwarten, denn dort war die Rede von 2014.

Wie gesagt, immerhin gehandelt. Andererseits: Vom bAV-Intensivtäter 6a ist keine Rede. Hält es die FDP am Ende doch wie die von ihr kritisierte Vorgängerregierung und wartet ab, bis Karlsruhe befiehlt?

 

Die Welt (24. März): „Was Putin zerbombt, muss der Westen zahlen.“

Kassandra hatte jüngst dargelegt (s. hier und hier), warum sie den Beteuerungen der EZB nach einem Tapering keinen Glauben schenken kann – in den Zeiten des Krieges weniger als je zuvor.“

 

In dem Gesamtkomplex der Begründungen (s. auch unten zur impliziten deutschen Staatsschuld) hierfür spielt auch die stellenweise sicher schon jetzt „mehr denn gantze“ Verheerung der Ukraine eine Rolle, dennwer wird den Wiederaufbau bezahlen?

 

Die Russen? Kaum. Die Ukraine selbst? Unmöglich. Der deutsche Steuerzahler? Das ist selbst für ihn zuviel. Auch hier bleibt am Ende nur ein Finanzier: die Notenpresse in Frankfurt-Ostend,“ schrieb Kassandra.


Diese Erkenntnis scheint sich langsam, aber sicher in der breiten Öffentlichkeit durchzusetzen. Wenn dann beizeiten alle begriffen haben, dass es auch deswegen kein Ende der exponentiellen Geldpolitik geben kann, wird dies vermutlich irgendwann auch in der EZB ankommen.

 

Die Welt (31. März): „2.319.800.000.000 Euro – das ist die deutsche Schuldenbilanz nach Corona.“

Wenn eben ein Grund für ein „Weiter-so“ mit der Notenpresse genannt wurde, dann hier noch einer:

Es glaubt ja wohl hoffentlich niemand auf diesem Parkett daran, dass die deutsche Staatsschuld mit läppischen 2,3 Bio. Euro erledigt ist. Dann wären unsere Probleme eher klein. Die offenen Salden der ungefundeteten Pay-as-you-go-Systeme der deutschen Sozialversicherung, insb. der Beamten, erreichen ein mehrfaches dieser Größenordnung.

Diese impliziten Schulden Deutschlands sollen Ex-BP Horst Köhler, immerhin gelernter Banker, zufolge bereits 2005 für die gesamte Bundesrepublik 5,7 Bio. Euro ausgemacht haben (mit einer dementsprechenden damalige Gesamtstaatsverschuldung von 7,1 Bio Euro). Seitdem dürfte das ein oder andere Billiönchen implizit hinzugekommen sein, v.a. wenn man die ab 2007 eingegangenen Garantien für andere Euro-Staaten einbezieht.

Kassandra betont in diesem Zusammenhang seit zig Jahren, dass diese Schuldenlast nicht nur die Spielräume des Gesetzgebers bspw. in der bAV massiv einschränkt (Stichwort KV-Pflicht in der Rentenphase oder 6a EStG), sondern auch einer der Belege für die alte kassandrische These ist, dass auch die scheinbar gesunde und dynamische Bundesrepublik Deutschland (das „Super-PIG“) unter einem fatalen Mix aus geostrategischen, sozialen, demographischen, sicherheitspolitischen und eben auch haushälterischen Zwängen steht, der sie auf viele Jahrzehnte von billigem Geld und der Notenpresse politisch genauso abhängig macht wie die südeuropäischen Krisenstaaten es sind – mit allen klar absehbaren Folgen für das künftige Zinsumfeld. Der für alle Europäer fatale Krieg im Osten bestärkt diese Problemlage weiter.

 

ZDF.de (21. März): „Krieg in der Ukraine – Baerbock erwartet acht Millionen Flüchtlinge.“

Süddeutsche Zeitung (15. März): „Immobilien: Bis zu 500 000 Wohnungen für geflüchtete Ukrainer nötig.“

Berliner Zeitung (30. März): „So teuer sind Wohnungen in den Berliner Bezirken – In Mitte wird es absurd.“

Vor zwei Wochen erwartete Kassandra nur für Deutschland zwischen 1 und 3 Mio. Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Außenministerin spricht nun von 8 bis 10 Mio. ingesamt auf der Flucht. Diese Größenordnungen passen einigermassen gut zusammen. Sollte Russland weiter auf Eskalation setzen, gleichzeitig aber weiter bei einer wie auch immer gearteten „Eroberung“ der Ukraine nicht vorankommen (neben der atomaren Karte also nur die primitiv-brachiale Totalzerstörung bzw. Verheerung des Landes als Option behalten), dann könnte dieser Krieg sehr lange dauern, irgendwann die Familienzusammenführung stattfinden – und damit die kassandrischen wie die Baerbockschen Zahlen sogar bald als zurückhaltend gelten.

Für die gebeutelte Ukraine macht dieser gewaltige Aderlass zusätzlich zu dem Krieg die nationale Katastrophe komplett. Umgekehrt kommen auf die europäischen Staaten, namentlich auf Deutschland, nicht nur große Chancen, sondern auch große Herausforderungen zu, im Gesundheitswesen und der Krankenversicherung, im Bildungs- und Hochschulwesen, in der inneren Sicherheit, auf den Arbeitsmärkten etc. pp…

Doch im Zentrum aller Aufgaben dürfte, das sei wiederholt, der Immobilienmarkt in Deutschland stehen, besonders in den Städten, wohin es die Menschen vornehmlich zieht. Wir reden hier sicher von den enormsten Herausforderungen seit der Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges. Fehlender Wohnraum, schnelle Neubauprogramme mit massiver Verdichtung der letzten freien Flächen deutscher Metropolen, der Staat als Bauherr mit Crowding out der Privaten bei Material und Personal, gepaart mit anhaltenden Störungen der Lieferkette und weiter hohen Geldmengen (s.u.) – da fragt sich Kassandra schon, inwiefern man in der Berliner Zeitung den derzeitigen Mietzins in Berlin-Mitte absurd finden kann. In der Zeitung „Die Welt“ konnte man noch vor kurzem sogar über die Gefahr der Blase an den Immobilienmärkten lesen.

Man sollte mal den Chart der Euro-M0-Entwicklung und den der Berliner Mieten seit 2012 übereinanderlegen. Dann bekommt das Prädikat „absurd“ sehr schnell eine sehr dehnbare Semantik, und dann sieht man, was wirklich absurd ist. Bei allen ungesunden Entwicklungen bei Real Estate sollte man schon bald an den Märkten zu der Einschätzung kommen, dass Immobilien preislich in Relation wohl noch zurückgeblieben sind.

Daher seien Sie gewiss: Das, was manche heute absurd hoch finden, werden sie schon in Kürze als lächerlich günstig sehen. Und das Pärchen aus Inflation/Stagflation einerseits und dem Problemkomplex Wohnraum/Mieten/Immobilienpreise andererseits wird die deutsche Politik schon sehr bald unter einen Druck setzen, wie man ihn selten erlebt hat.

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN:


Die Zeit (29. März): „Mehrheit sieht Merz nach Saarland-Wahl geschwächt.“

Im Oktober hatte Kassandra gefragt, „ob man in der CDU vergessen hat, dass im Frühling drei Landtagswahlen in Ländern anstehen, die derzeit noch von der Union regiert werden? Zunächst im Saarland und in Schleswig-Holstein, dann im Mai aber v.a. in NRW? Dass man als Titelverteidiger hier also 3x sichtlich mehr zu verlieren als zu gewinnen hat? Vorneweg im wichtigsten deutschen Bundesland Wahlen, die zu gewinnen für die CDU nie einfach war? Wo man mit gerade einer einzigen Stimme Mehrheit regiert?“

Die Prophezeiung der Kröte war, dass „es der über 20 Jahre selbtsverzwergten CDU gelinge, ihren derzeitigen, wählerschreckenden Status quo des völlig kopf- und hirnlosen Herumlavierens bis in den Frühling weiterzutragen und damit auch die NRW-Wahl zu vergeigen (und vielleicht sogar die beiden anderen LTW auch).“

So, für die Saar hat das schonmal geklappt. Und nach Besserung sieht es für die Union nicht aus. Erstens sammelt sich in Kriegs- und Krisenzeiten das Wahlvolk stets gern hinter den Regierenden, und zweitens ist es Friedrich Merz nicht im Ansatz gelungen, der Union neuen Spirit einzuhauchen, mit dem sie Wähler von links und rechts zurückgewinnen könnte – und es sieht nicht danach aus, dass ihm das in den nächsten Monaten gelingen werde. Nach Merkel, Kramp-Karrenbauer und Laschet hat sich mit Merz nichts geändert in der Union, gar nichts.

Kommt es so, kann die SPD sich jedenfalls freuen – nicht nur über massiven Machtzuwachs im industriellen Herz Deutschlands, sondern auch über völlig neue Spielräume im Bundesrat.

 

Handelsblatt (7. März): „Söder will Atomkraftwerke drei bis fünf Jahre länger laufen lassen.“

Süddeutsche Zeitung (3. März): „Atomkraft hat in Deutschland keine Zukunft mehr.“

Klugheit deutscher Industriepolitik im frühen 21. Jahrhundert zum ersten: Angesichts der sich abzeichnenden Energiekrise, deren Saat in Deutschland über viele Jahre lang gelegt worden ist, fordern manche Politiker eine Laufzeitverlängerung der AKW.

Sollten die diesbezüglichen Söderschen Träume (und er ist nicht der einzige) Realität werden, so kann man das (angesichts der fortgeschrittenen und gründlichen Abwicklung der nötigen Nuklear-Strukturen in Deutschland, v.a. technologisch, bürokratisch, aber auch personell-fachlich und akademisch; s. den Beitrag in der SZ) als einen faktischen (und natürlich vorübergehenden) Wiedereinstieg in die Atomkraft bezeichnen. Das aber hieße rückblickend:Deutschland steigt in rund 20 Jahren seit 2003 aus der Atomkraft

aus

wieder ein

wieder aus

wieder ein.


Wenn Ukraine- und-Energiekrise sich beizeiten hoffentlich beruhigt haben und die Erneuerbaren weiterentwickelt sind, heißt es dann in fünf Jahren vermutlich:

Deutschland steigt in rund 25 Jahren seit 2003 aus der Atomkraft

aus

wieder ein

wieder aus

wieder ein

wieder aus.


Ob man in dieser Welt von heute ein Land, das ein modernes Industrieland sein will, tatsächlich aber an wirklich allen Ecken und Enden krankt (demographisch, geldpolitisch, militärisch, bildungsseitig, infrastrukturell, partiell auch technologisch …) in dem wichtigen Feld der Energieversorgung auf diese Weise adäquat steuert, das sei jedem in der Leserschaft selbst überlassen.

 

Bild.de (27.3.): „‘Eiserne Kuppel’ soll uns vor Putins Raketen schützen.“

Klugheit deutscher Industriepolitik im frühen 21. Jahrhundert zum zweiten: Olaf Scholz und weitere deutsche Politiker denken laut über einen Raketenabwehrschild über Berlin und Deutschland nach.

Es muss betont werden, dass wir hier von einer Technologie reden, die – und das wäre weltweit bisher wohl einmalig – geeignet sein soll, nicht wie über Israel einfachste und meist völlig veraltete, manchmal gar händisch gebastelte Raketen abzufangen, sondern die modernsten Hyperschallraketen der Welt; Systeme die mit bis zu 10facher Schallgeschwindigkeit marschieren, daher schwer zu treffen und außerdem kaum Vorwarnzeit zulassen.

Nicht nur finanziell, sondern auch technisch aussergewöhnlich ambitioniert ist es also, was einigen Politikern, darunter dem Bundeskanzler dieses Landes so vorschwebt. Dem Bundeskanzler des Landes von BER und Stuttgart21. Des Landes, das sich mit FAX-Geräten verwaltet. Des Landes, das mit dem drittgrößten Verteidigungsetat der NATO zuweilen kein einziges UBoot einsatzbereit zu halten vermag. Das jetzt aber von einer Raketenabwehr gegen Hyperschallwaffen träumt.

Kassandra wäre jedenfalls schon zufrieden, wenn es diesem Land beizeiten gelänge, die Leverkusener Brücke zu sanieren.

 

Mehr zu dem zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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