Es gibt Regulierungsfragen, gerade in Brüssel, von denen man meinte, dass sie die bAV nie betreffen könnten – von wegen. Wald und Bäume schützen und schonen ist ein Thema, das jedem Gesunden ein Anliegen ist. Jetzt kümmert sich der Brüsseler Regulierer darum. Ob das Ergebnis auch „gesund“ sein wird, bleibt allerdings abzuwarten. Wie so oft scheint zu gelten: Gutes Anliegen kaputt reguliert. LbAV fragt nach, inwieweit hier die bAV erfasst werden könnte.
Unverhofft kommt oft, und das aus völlig unerwarteten Richtungen. Das gilt offenbar besonders für die Regulierung der Finanzdienstleistung im Allgemeinen und der bAV im Besonderen. Manchmal treibt der deutsche Gesetzgeber hier wilde Stilblüten (jüngst z.B. das Nachweisgesetz), jetzt ist aber erneut die Reihe an der Europäischen Union. Jedenfalls gibt es derzeit mal wieder Anlass genug für LEITERbAV, eine Fachfrau für die europäische Regulierung des Pensionswesens zu befragen:
Cornelia Schmid, gestern ist im Plenum des Europäischen Parlaments über die Parlamentsposition zur Entwaldungsverordnung diskutiert worden, am heutigen Dienstag soll abgestimmt werden. Der federführende Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, auch ENVI gerufen, hat für diese Verordnung den Bericht vorgelegt. Entwaldung? Gut, wichtiges Thema, aber betrifft die bAV nicht. Oder doch?
Vor drei Monaten hätte ich Ihnen dazu als Antwort ein klares Nein gegeben. Der Bericht des ENVI-Ausschusses hat aber – gegenüber dem Vorschlag der EU-Kommission im November 2021 – den Anwendungsbereich der Verordnung um den (nicht definierten) Finanzsektor ohne quantitative Grenzen (!) erweitert.
Wie bitte? Was genau soll das heißen?
Nach den ENVI-Änderungen dürften Finanzinstitute nur dann Finanzdienstleistungen erbringen, wenn festgestellt wurde, dass kein oder nur ein vernachlässigbares Risiko besteht, dass „durch die betreffenden Dienstleistungen direkt oder indirekt Tätigkeiten unterstützt werden, die zu Entwaldung, Waldschädigung oder Waldumwandlung führen“.
„Unternehmens- und Brancheneinrichtungen können sich das sicher nicht einmal vorstellen!“
Jetzt bin ich etwas perplex. Nehmen wir an, das Plenum stimmt heute zu: Was würde dies für die bAV also bedeuten? Beträfe das jedes einzelne Investment, das man tätigt? Und wie wäre der Nachweis der Unschädlichkeit zu erbringen? Wahrscheinlich kann man bisher nur mutmaßen, was das in der Praxis hieße.
Sie haben ja viele Fragen! Wir auch, vor allem würde uns interessieren:
EbAV organisieren die bAV für ihre Träger-/Mitgliedunternehmen. Müssten die EbAV bei der geforderten Sorgfaltsprüfung gar ihre Trägerunternehmen untersuchen und prüfen, ob sie ihnen diese „Dienstleistung“ anbieten dürften? Unternehmens- und Brancheneinrichtungen können sich das sicher nicht einmal vorstellen!
Und wäre die Kapitalanlagetätigkeit einer EbAV als einschlägige Dienstleistung im Sinne der Entwaldungsverordnung zu verstehen? Falls ja, müssten dann Altersversorgungseinrichtungen für Hunderte oder Tausende von Unternehmen im Portfolio nachweisen, dass es keine Verbindung zur Entwaldung hat? Eine kostengünstige benchmarkorientierte Kapitalanlage, bei der Unternehmen automatisch in die Benchmarks aufgenommen werden, dürfte nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich sein.
„Bei der vorgeschlagenen Erweiterung haben die ENVI-Mitglieder vermutlich gar nicht an die bAV gedacht.“
Und wer kann da wann wo wie Antworten geben?
Für den Fall, dass das Plenum der vorgeschlagenen Erweiterung des Anwendungsbereichs zustimmt, folgen ja noch die Trilogverhandlungen zwischen Rat, EP und EU-Kommission. Spätestens dann müssen aber solche Fragen diskutiert werden. Das Ziel muss eine Regulierung sein, die mit einem angemessenen Kosten-Nutzen-Verhältnis umzusetzen ist. Bei der vorgeschlagenen Erweiterung haben die ENVI-Mitglieder vermutlich gar nicht an die bAV gedacht.
„Ohne quantitative Grenzen“ heißt: Jede noch so kleine EbAV wäre betroffen? Falls ja, also mal wieder für Große im Zweifel stemmbar, für kleine nicht? Insofern auch wieder eine EU-Regulierung, die bestens zur Marktbereinigung geeignet ist?
Ja, alle EbAV wären betroffen, wenn man die EbAV tatsächlich so in den Anwendungsbereich aufnimmt. Und es handelt sich ja um keine Richtlinie, wo man bei der Umsetzung noch etwas Spielraum hätte. Es ist eine Verordnung, die für ein Höchstmaß an Harmonisierung in den einzelnen Mitgliedstaaten sorgen soll. Mit einer Verordnung werden regelmäßig direkte Anforderungen an alle Marktteilnehmer festgelegt.
Verordnung! Käme es zum Worst Case, schlüge diese also schnell, unantastbar und unanpassbar von deutschen Parlamenten und Aufsichten unmittelbar durch?
Ja, grundsätzlich stimmt diese Aussage für Verordnungen, aber ENVI hat für die Finanzinstitute vorgesehen: „Die zuständigen Behörden überwachen die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Anforderungen durch Finanzinstitute.“
Ich könnte mir daher eher vorstellen, dass es dann bei den EU-Aufsichtsbehörden eine gemeine Arbeitsgruppe gibt, die dann die konkreten Anforderungen definiert. Dass in dieser Gruppe – meist dominiert durch die Wertpapieraufsicht ESMA – einer an die EbAV denkt, halte ich eher für unwahrscheinlich. Aber dies ist reine Spekulation …
„So, auch wenn’s vielleicht sogar ungewollt ist, sollten die EbAV nicht unter die Räder kommen.“
Aber: Sind EbAV nicht nach der EbAV-II-Richtlinie Sozialeinrichtungen und eben keine Finanzinstitute?
Ja, dies ist die zentrale Frage, und in „unserer“ Richtlinie steht, dass die EbAV nicht wie reine Finanzdienstleister behandelt werden sollen. Dass dies den EU-Gesetzgeber aber nicht immer interessiert, zeigen die OffenlegungsVO und DORA. Grundsätzlich denken wir ohnehin, dass die Frage, ob EbAV Finanzdienstleister sind – ggf. ergänzt um das Trostpflaster Proportionalität – oder nicht, endlich übergeordnet und generell geklärt gehört.
Der aktuelle Trend, EbAV bei der Schaffung von Regulierung undifferenziert dem Finanzsektor zugeordnet, führt bei den EbAV regelmäßig zu einer Regulierung, die mit keinem vertretbaren Kosten-Nutzen-Verhältnis umgesetzt werden kann. So, auch wenn’s vielleicht sogar ungewollt ist, sollten die EbAV nicht unter die Räder kommen.
Die aba ist bereits aktiv, nehme ich an?
Wir haben uns an bereits an die deutschen Abgeordneten von EVP, S&D und Renew Europe gewandt. Markus Ferber, MdEP (CSU, EVP), hat uns geantwortet, dass die zuständige Arbeitsgruppe der EVP-Fraktion beschlossen habe, „mit Blick auf die Plenarsitzung getrennte Abstimmungen für die Anträge zur Einbeziehung von Finanzinstituten zu beantragen, um die strittigen Punkte aus dem Text herauszustimmen.“Wir hoffen, dass dies tatsächlich auch gelingt. Falls nicht, können wir nur noch auf besagte Trilogverhandlungen hoffen. Parallel hat sich PensionsEurope an einem Schreiben verschiedener EU-Verbände im Finanzdienstleistungsbereich (EBF, EFAMA, InsuranceEurope etc.) beteiligt.
Nehmen wir einmal an, das EP-Plenum stimmt gegen die von ENVI-vorgeschlagene Erweiterung, ist damit das Thema für den Finanzbereich dann vom Tisch?
Im Rahmen der Entwaldungsverordnung wahrscheinlich schon. Man könnte sich aber auch darauf einigen, dieses Thema mit in die Diskussion zur Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen (CSDD) zu nehmen, zu dem die EU-Kommission im Februar 2022 einen Vorschlag gemacht hat.
Also gilt für die europäische Regulierung: „Immer wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Kataströphchen her“?
Nein, ich bin Optimist. Eine Katastrophe ist es für mich erst, wenn derartige Anforderungen im Amtsblatt stehen.
Anm. d.Red.: LEITERbAV wird auf LbAV–Dynamics über neue Entwicklungen berichten.