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Diskussionspapier zum Ausbau nachhaltiger Infrastruktur:

Von Hemmungen, Skalierungen und dritten Rathäusern

Der Sustainable Finance-Beirat der Bundesregierung hat sich mit dem Thema der nachhaltigen Infrastruktur in Deutschland befasst – genaugenommen mit der Frage, wo das Geld herkommen soll. Ein Weg: mehr Kooperation zwischen öffentlicher Hand einerseits und wem andererseits? Richtig, vor allem mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser. Irritationen bleiben.

Der Sustainable Finance-Beirat (SFB) der Bundesregierung hat vorige Woche sein aktuelles Diskussionspapier zur Finanzierung des Ausbaus nachhaltiger Infrastruktur in Deutschland vorgestellt:

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels betont der Beirat die immer dringendere Notwendigkeit einer zukunftsgerechten Anpassung der öffentlichen Infrastruktur und unterstreicht die Schlüsselrolle von Kommunen und kommunalen Unternehmen in diesem Prozess“, schreibt das Gremium in einer zugehörigen Mitteilung.

Schneller skalieren

Im Diskussionspapier beleuchtet der Beirat die Herausforderungen bei der Umsetzung von Infrastrukturprojekten auf kommunaler Ebene und identifiziert mögliche Handlungsfelder zur beschleunigten Umsetzung nachhaltiger Projekte. Dabei, so mahnt er, müssen sowohl die kommunale Selbstverwaltung gewahrt bleiben als auch Finanzierungskapazitäten skaliert werden. So heißt es in dem Papier:

Wesentlich für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Programme vor Ort sind Kommunen, deren Stadtwerke und kommunale Unternehmen. Ihre Handlungsfähigkeit ist daher langfristig zu sichern und auszubauen. Der kommunale Investitionsbedarf zur Transformation ist so enorm, dass der klassische Weg der kommunalen Finanzierung über Banken, über die Innenfinanzierungskraft kommunaler Betriebe oder über die öffentlichen Haushalte nicht ausreichen wird.“

Private ohne Privatisierung

Zentrales Anliegen des SFB dabei: Diversifizierung der Finanzierungsquellen für die Transformation kommunaler Infrastruktur. Der Beirat unter Vorsitz von Silke Stremlau, weiland Chefin der Hannoverschen Kassen, weist auf eine Angebotslücke im Bereich der Eigenkapitalfinanzierung hin und plädiert für ein stärkeres Engagement privater Investoren. Einerseits.

Sustainable Finance Beirat Mitglieder. Foto: BMF.

Und andererseits? Betont das Gremium, dass dies nicht mit einer Privatisierung öffentlicher Infrastruktur gleichzusetzen sei:

„… geht es bei den in diesem Papier vorgestellten Empfehlungen explizit nicht um eine Privatisierung öffentlicher Infrastruktur, sondern darum, wie private Marktakteure derart eingebunden werden können, dass öffentliche Daseinsvorsorge auch im Zuge der Transformation langfristig bezahlbar sichergestellt werden kann.“

Davon verspricht man sich viel:

Durch privates Kapital kann bei richtiger Ausgestaltung der Vertragsbeziehung, auf Basis von Standardisierung, eine höhere Termin- und Kostentreue erreicht werden. Diese wird durch eine bessere Projektdisziplin, größere Transparenz, eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit durch Risikoteilung und Lebenszyklusorientierung sowie einem Wissenstransfer von der Privaten zur Öffentlichen Hand erzielt.“

Hemmungen auf beiden Seiten

Der Beirat sieht Gründe für die unzufriedenstellende Lage und weiss sowohl bei kommunalen Akteuren als auch bei institutionellen Investoren aktuell von deutlichen Investitionshemmnissen zu berichten:

Kommunale Akteure seien vor allem durch angespannte Haushaltssituation und aufwendige Administration gefordert. Für institutionelle Investoren liege die Ursache der Investitionshemmnisse vor allem in fehlenden standardisierten und skalierbaren Anlageobjekten und einem oft ungünstigen Rendite-Risiko-Profil.

Laut Beirat bemängeln beide Seiten zu lange Genehmigungszeiträume für neue Projekte.

Um wieviel gehts?

Auch mit Größenordnungen wartet das Papier auf: Den kommunalen Investitionsrückstand für die Aufgaben der Daseinsvorsorge in der Kernverwaltung der Landkreise, Städte und Gemeinden mit mehr als 2.000 Einwohnern taxiert man Stand 2022 auf rd. 166 Mrd. Euro. Je nach Schätzung sollen sich die zusätzlichen jährlichen Investitionsbedarfe der Kommunen für Klimaschutz und -anpassung auf rund 6 bis 26 Mrd. Euro belaufen, so der SFB.

Wünsch dir was

Erleichterte Rahmenbedingungen für mehr nachhaltige Infrastrukturprojekte könnten laut Diskussionspapier vor allem durch Verbesserungen in den folgenden drei Bereichen geschaffen werden:

1. Rechtliche und prozessuale Rahmenbedingungen.

2. Ausstattung und Förderung von Kommunen.

3. Investitionsbedingungen für privates Kapital.

Konkret hier in Stichpunkten, was der SFB u.a. fordert: Verbesserung der Personalkapazitäten bei Behörden und Dienstleistern, rechtsverbindliche, klare sowie praktikable Vorgaben für Antragstellung und Prüfung, Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren durch Standardisierung und begrenzte Entscheidungsspielräume, mehr Digitalisierung, Reduzierung von Einspruchsmöglichkeiten und Klagerisiken, Ausrichtung der Infrastrukturbeschaffung am Lebenszyklusansatz, einheitliche und einfache Nachhaltigkeitsstandards, Verringerung des Bürokratieaufwands, Weiterentwicklung des Einsatzes von Förder- und Garantieinstrumenten …

Zu rundem Tisch

Der SFB lädt nun dazu ein, „die Debatte über nachhaltige Infrastrukturentwicklung zu intensivieren und alle betroffenen Akteure an einen Tisch zu bringen, um mögliche Lösungsansätze gemeinsam zu entwickeln.“

Matthias Kopp, Leiter der Arbeitsgruppe im Beirat, kommentiert: „Wir müssen dringend das Tempo beim Umbau der kommunalen Infrastruktur in Richtung Klimaneutralität erhöhen. Wir sollten daher auch offen sein, private Partner mit Expertise und personellen Ressourcen einzubeziehen.“ Alle Projekte müssten sich am Erfolg über ihren gesamten Lebenszyklus messen lassen, und ein hohes Maß an Transparenz durch strikte Standardisierung von Vertragsbeziehungen sei zwingend notwendig, so der Director Sustainable Finance des WWF in Deutschland weiter. Für die dringend benötigte Beschleunigung im Ausbau nachhaltiger Infrastruktur brauche es eine ergebnisfokussierte politische Koordination in der und durch die Bundesregierung, mit den Ländern und Kommunen.

Claus Stickler, Mitwirkender in der Arbeitsgruppe, ergänzt: „Es wird viel über die Notwendigkeit gesprochen, öffentliche und private Kapitalgeber zusammenzubringen, um Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren. Der Schlüssel dafür ist eine effiziente Zusammenarbeit: Öffentliche Hand, Real- und Finanzwirtschaft müssen zügig gemeinsam konkrete Projektansätze erarbeiten.“ Nach der erfolgreichen Umsetzung erster Projekte stehe dann die Skalierung an, so der Managing Director und Co Lead der Allianz Investment Management.

Fazit von LEITERbAV

Bei einigen Punkten und Forderungen wird der SFB recht konkret, bei anderen bleibt er eher vage und sehr allgemein (auf 12 Seiten ist vielleicht auch nicht viel mehr möglich). Man spürt beim Lesen regelrecht die Prämisse der Harmonie, der der vielfältig und breit besetzte Beirat offenbar unterliegt.

Zunächst: Technisch wird sich die mindestens „spannende“ Frage stellen, wie man privates Kapital beteiligt, ohne zu privatisieren. Das klingt jedenfalls eher nach Private Debt (ohnehin der Shooting Star 2023, mehr dazu morgen auf LbAV) als nach Private Equity – auch wenn sich das mit dem Terminus „Eigenkapitalfinanzierung“ nicht verträgt, den der SFB in seiner Pressemitteilung zu dem Papier ausdrücklich nennt.

Und wer sind die betroffenen Akteure, von denen der Beirat schreibt? Nun, es kann wohl (auch wenn sie im Papier ungenannt bleiben) kein Zweifel daran bestehen, dass hier deutsche Pensionsinvestoren – wegen ihres langfristigen Investmentansatzes und ihrer ständigen Suche nach Duration, wegen ihrer industriepolitischen Bedeutung, wegen ihrer Funktion als Sozialeinrichtung und wegen ihrer schieren Größe eine zentrale Rolle spielen können, sollen und – wenn sich denn etwas bewegt – vermutlich auch werden.

Wie dem auch sei, das allermeiste, was der Beirat in dem Papier verfasst, würde wohl jeder unterstreichen, teils muss man auch von den üblichen Selbstverständlichkeiten reden („weniger Bürokratie“). Gleichwohl: Manches kann man auch irritierend finden, v.a. die Forderung nach einer besseren Personalausstattung der Kommunen, auf Deutsch: mehr Beamte und mehr ÖD-Angestellte. Ob mehr Beamte wirklich Teil einer Lösung sind, da kann man geteilter Meinung sein. Warum mehr Beamte mehr Effizienz bedeuten sollen, erschließt sich eben nicht ohne weiteres, zumindest dem Herausgeber nicht (er kennt auch in der modernen Geschichte kein Beispiel, dass ein Mehr an Beamten jemals irgendetwas besser gemacht hätte).

Das gilt umso mehr, wenn man sich den Aufwuchs an öffentlichen Stellen in den letzten 15 Jahren in Deutschland anguckt, noch mal massiv dynamisiert durch die gegenwärtige Ampel-Regierung. Allein die neue Behörde für die neue Kindergrundsicherung, Lieblingsprojekt der grünen Familienministerin Paus, soll satt 5.000 neue Beamten- und ÖD-Stellen schaffen.

Und jeder, der über Kontakte (und der Herausgeber hat diese) etwas Einblick in die Arbeitsabläufe deutscher Verwaltung und Bürokratie (Achtung: in den meisten anderen Ländern ist das kein bisschen besser) hat, der weiß, dass hier ein angeblicher Personalmangel zwar oft besungen, aber wenig mit der Realität zu tun hat – im Gegenteil. Klappern gehört eben auch zum Beamten-Handwerk.

Bonjour Tristesse

Zur Untermalung hier ein ganz konkretes Beispiel aus der Stadt Euskirchen, Heimat des Herausgebers: kleine Stadt, westlich von Köln am Tor zur Eifel gelegen, nicht sonderlich attraktiv, ökonomisch nie sonderlich dynamisch gewesen, tendenziell strukturschwach und außerdem nun schnell vergreisend – wer will, kann das Städtchen durchaus trostlos finden. Aber: Immerhin leistet sich die Stadt mit ihren gut 50.000 Einwohnern seit jeher nicht ein, sondern gar zwei Rathäuser. Ein „altes“ Rathaus und ein „neues“ Rathaus; beide in Betrieb, Zukunft dem Herausgeber zumindest unklar..

Dann wurde auch Euskirchen von der Flut im Juli 2021 arg gebeutelt, von der es sich bis heute nicht völlig erholt hat. Die Innenstadt ist teils weiter Baustelle, man erreicht nichtmal den schwachen Stand von vor der Flut, einige Geschäfte eröffneten nicht wieder, in den Parkhäusern wird immer noch aus primitiven Holzkabüffchen manuell kassiert, und die Rekonstruktion zerstörter, aber essenzieller Infrastruktur, nämlich der Steinbachtalsperre, steht auch über zwei Jahre nach der Flut „in den Sternen“ (Kölner Stadt-Anzeiger). Am Rande: In den besagten zwei Rathäusern geht seit zig Wochen so einiges gar nicht mehr. Cyber-Attacke. Perspektive ungewiss.

Die Innenstadt von Euskirchen am Tag nach der Flut 2021. Bild zur Volldarstellung anklicken.

Wie dem auch sei: Man sollte davon ausgehen können, dass Trends wie Home Office, Digitalisierung und KI den Platzbedarf der Verwaltung eher mindern statt erhöhen sollten. Falsch gedacht! Zumindest in Euskirchen.

Denn was macht die Stadt nun angesichts der Multi-Herausforderungen, vor der in ähnlicher Form fast alle kleineren deutschen Kommunen stehen, Euskirchen aber in besonders scharfer Form? Wohin lenkt man die beschränkten finanziellen Mittel und seine ganze öffentliche Energie? Richtig: Die Stadt Euskirchen baut ihr drittes Rathaus. „Endlich, das ist der Aufbruch“, mag man als Bürger ausrufen vor Freude. Kostenpunkt des gesichtslosen Kleinstadt-Klotzes, der da geplant ist, Stand heute: 58 Mio. Euro.

 

BER ist überall!

 

Weichen muss dafür übrigens die direkt am Bahnhof gelegene, von den arbeitenden Bürgern viel genutzte Park&Ride-Fläche. Wie und ob hier für Ersatz gesorgt werden soll – unklar.

Mehr? Noch mehr?

So viel zum Thema Ressourcen und Kapazitäten und ihr Einsatz in der deutschen Verwaltung. Alle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Hand in Hand mit deutschen Kommunen in der Infrastruktur nachhaltig weiterzukommen, sollten sich stets vor Augen halten, mit wem man es hier zu tun hat. BER ist überall! Und man kann nur mahnen, hier nicht nach noch mehr Beamten und ÖD-Angestellten zu rufen. Das erledigt die deutsche Verwaltung schon von allein.

Der Herausgeber ist alles andere als Apologet der totalen Privatisierung – Wasser, Energie, Verkehr… – so etwas darf und soll an sich in (teil-) öffentlicher Hand sein. Tendenzen, wie man sie aus den USA kennt bis hin zu privaten Gefängnissen, privaten Kopfgeldjägern oder privaten Söldnertruppen, die von Staatsgeld üppig gefüttert hoheitliche Aufgaben (teils selbst im Ausland) übernehmen, kann man als Europäer durchaus als albtraumhaft empfinden.

 

Miss Management oder Missmanagement?

 

Andererseits kann man angesichts des Zustandes der deutschen Governance – vom BER über die Bundeswehr1), Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und die Bahnachse Rotterdam-Genua bis in die Euskirchener Provinz – skeptisch sein, wie man komplexe Projekte im Deutschland des 21. Jahrhundert in Kooperation mit dieser öffentlichen Hand und ohne Privatisierung überhaupt zum Erfolg führen will. Denn:

Wenn es deutschen Bundes- und Landesregierungen während der satten Dekade der Mini- und Nullzinsphase, also der langen Phase der kommodesten Finanzierungsbedingungen, nicht gelungen ist, die Infrastruktur des Landes auf Vordermann zu bringen, warum soll es dann jetzt, wo die Zeiten härter werden, gelingen? Viel Glück sei jedenfalls gewünscht.

Übrigens: Dass die o.a. angeführten Projekte wegen einem Zuwenig an zuständigen Beamten so performed haben, wie sie nun mal performed haben bzw. weiter performen, ist nicht überliefert.

Das vollständige SFB-Diskussionspapier (leider ohne jedes Datum, aber das nur am Rande) findet sich hier.

 

1) Falls jemand hier bspw. anhand des Stichwortes „Bundeswehr“ das übliche Lied vom angeblichen „Kaputtsparen“ anstimmen will – zur Erinnerung: Die deutsche Bundeswehr verfügt (2020) über nicht weniger als den siebtgrößten Vereidigungsetat der Welt und den drittgrößten der NATO, Tendenz stark steigend. Damit sollte man schon das ein oder andere U-Boot unter Wasser und den ein oder anderen Transporter in die Luft bringen. In Deutschland regiert nicht der Geldmangel und auch nicht eine Miss Management, sondern ein Missmanagement.

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