Seit über zwei Jahrzehnten wird vor deutschen Gerichten gestritten, ob die 2002 erfolgte Umstellung der Zusatzversorgung für Angestellte und Arbeiter im Öffentlichen Dienst korrekt war. Mehrfach musste nachgebessert werden, doch noch immer wird geklagt – wie bisher unter Bezug auf das Grundgesetz.
Am 20. September wird der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Sache IV ZR 120/22 „Zusatzversorgung der Angestellten und Arbeiter im öffentlichen Dienst: Startgutschriftenregelung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder für rentenferne Versicherte erneut auf dem Prüfstand)“ verhandeln. Konkret geht es ernuet um die Wirksamkeit der im März 2018 erneut geänderten Startgutschriftenregelung für rentenferne Versicherte der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL).
Wie war das nochmal …
Zum Hintergrund in der ganz eigenen Welt der ZVK: Die VBL, die bekanntlich für Angestellte und Arbeiter der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes auf privatrechtlicher Basis eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewährt, hatte mit Neufassung ihrer Satzung (VBLS) vom 22. November 2002 rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) von einem an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgungssystem auf ein auf dem Punktemodell beruhendes, DC-System umgestellt (ausgiebig: s. Tactical Advantage Vol 12. , „INSIDE IORP: DURCHDRINGEND ÖFFENTLICH.“).
… mit den Startgutschriften …
Aber: Die neugefasste Satzung enthält – auf Grundlage tarifvertraglicher Vereinbarungen – Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Anwartschaften. Diese werden als sog. Startgutschriften den Versorgungskonten der Versicherten gutgeschrieben. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall zum Umstellungsstichtag noch nicht eingetreten war, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Grundsätzlich ist rentenfern, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Das betraf zum Umstellungsstichtag ca. 1,7 Mio. Versicherte. Seitdem gibt es Streit:
… und den Urteilen?
Rentenfernen Versicherten wurden als Startgutschrift zunächst – vereinfacht dargestellt – für jedes Jahr ihrer Pflichtversicherung in der ÖD-Zusatzversorgung 2,25% (sog. Anteilssatz) einer fiktiven, maximal bei der VBL erzielbaren Versorgungsrente gutgeschrieben.
Doch diese Übergangsregelung erklärte der IV. Zivilsenat des BGH am 14. November 2007 (IV ZR 74/06) wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für unverbindlich und beanstandete insb. eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten mit langen Ausbildungszeiten.
Daraufhin ergänzten die Tarifvertragsparteien und ihnen folgend die VBL die Startgutschriftenregelung um eine Vergleichsberechnung, die unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Erhöhung der bisherigen Startgutschriften rentenferner Versicherte führen konnte. Vergeblich.
Mit Änderungstarifvertrag von Juni 2017 einigten sich die Tarifvertragsparteien darauf, im Rahmen der Ermittlung der Startgutschrift den bisherigen Anteilssatz von 2,25 Prozentpunkten durch einen variablen Anteilssatz zu ersetzen. Dieser beträgt, in Abhängigkeit von den Pflichtversicherungszeiten, die der jeweilige Versicherte bis zum Eintritt des 65. Lebensjahrs erreichen kann, zwischen 2,25 und 2,5 Prozentpunkten. Die VBL übernahm diese Neuregelung im März 2018 in § 79 Abs. 1 Satz 3 bis 8 ihrer Satzung.
Beigelegt war und ist der Streit damit nicht. Diese nochmal geänderte Übergangsregelung ist weiter umstritten und Gegenstand zahlreicher gegen die VBL erhobener Klagen.
Dritte Runde in Karlsruhe
Zu dem Fall, der im September verhandelt wird und wie ihn der BGH erläutert:
Die Klägerin ist rentenferne Versicherte bei der beklagten VBL und bezieht von dieser seit August 2014 eine Versorgungsrente. Sie hält auch die nochmals geänderte Übergangsregelung für unwirksam und erstrebt eine nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrecht ermittelte Rente, hilfsweise eine abweichende Berechnung ihrer Startgutschrift unter Berücksichtigung verschiedener ihr günstiger Berechnungsgrundlagen und äußerst hilfsweise die Feststellung der Unverbindlichkeit der ermittelten Startgutschrift.
Ihre Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben, zunächst vor dem LG Karlsruhe mit Urteil vom 29. Mai 2020 – 6 O 184/19. Auch das Berufungsgericht, das OLG Karlsruhe hat mit Urteil vom 17. März 2022 – 12 U 106/20 – die nunmehrige Übergangsregelung für wirksam gehalten und insb. einen Verstoß der Startgutschriftenregelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie eine Diskriminierung rentenferner Versicherter wegen ihres Lebensalters und ihres Geschlechts verneint.