Auch wenn ein Arbeitgeber sich in einer Versorgungsordnung an sich klar ausdrückt, muss er aufpassen, dass Gerichte nicht eine Bezugnahme auf bloße Verfahrensvorschriften erkennen – so wie es gestern das höchste deutsche Arbeitsgericht unternahm. Könnte das Folgen haben?
Wie berichtet hatte der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts gestern zu urteilen, ob im Rahmen einer Versorgungszusage ein Berechtigter Anspruch auf eine Invaliditätsversorgung hat, obwohl die Zukunft seiner Invalidität unklar ist.
In dem Fall 3 AZR 445/20 hat das Gericht nun entschieden, dass die nur befristete Gewährung einer Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rente einem Anspruch auf betriebliche Invaliditätsversorgung nicht entgegen steht, wenn die Versorgungszusage vorsieht, dass „bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ eine monatliche Invalidenrente gezahlt wird.
Nochmal Einzelheiten des Falls in den Worten des Dritten Senats (gerafft):
„Die Beklagte erteilte dem Kläger im Jahr 2000 eine Versorgungszusage, die u.a. Leistungen der betrieblichen Invaliditätsversorgung ‚bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts‘ vorsieht.
Der Kläger bezieht seit Juni 2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rente, befristet bewilligt zunächst auf die Dauer von drei Jahren bis Mai 2020. Die Deutsche Rentenversicherung begründete die Befristung mit den medizinischen Untersuchungsbefunden, nach denen es nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.
Der Kläger hat zuletzt eine betriebliche Invaliditätsversorgung vom Juni 2017 bis April 2020 iHv. Gut 1.400 Euro zzgl. Verzugszinsen geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der Versorgungszusage seien erfüllt. Dass die Rente aus der gesetzlichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nur befristet bewilligt worden sei, sei unschädlich. Er sei gleichwohl seit Juni 2017 voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig im Sinne des Sozialversicherungsrechts.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen der Versorgungszusage lägen nicht vor; der Kläger sei nicht ‚voraussichtlich dauernd‘ erwerbsunfähig, sondern nur für drei Jahre.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat ihr entsprochen.“
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Dritten Senat keinen Erfolg. Die Versorgungszusage verlangt für den Anspruch auf betriebliche Invaliditätsversorgung eine voraussichtlich dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts, führt der Senat aus. Damit bezieht sie sich auf § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der bei der Erteilung der Versorgungszusage geltenden Fassung und nunmehr auf § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, also die Regelungen über die Voraussetzungen einer an die Invalidität anknüpfenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Für die Frage der voraussichtlich dauerhaften völligen Erwerbsunfähigkeit bzw. vollständigen Erwerbsminderung ist die nach §§ 99 ff. SGB VI vorgesehene befristete Gewährung der Invaliditätsrenten aus der gesetzlichen Rente ohne Bedeutung. Denn dabei, so das Gericht abschließend, handelt es sich lediglich um Verfahrensvorschriften, die nicht den Begriff der dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts definieren, auf den die Versorgungszusage Bezug nimmt.
Fazit: In der Ankündigung zu der Entscheidung hatte LEITERbAV noch geschrieben, dass „mit diesem Fall wohl nicht gerade die strategischen Weichen der deutschen bAV neu gestellt werden“ und von einem „eher operativ interessanten Rechtsstreit“ gesprochen. Nach der Erfurter Entscheidung ist fraglich, ob sich diese Einschätzung ungeteilt aufrechterhalten lässt – müssen Arbeitgeber doch künftig damit rechnen, dass in ihren Versorgungsordnungen auch bei Aspekten abseits der Invaliditätsversorgung trotz an sich klarer Formulierung von Gerichten auf falsche Bezugnahmen erkannt werden wird.