Auch das betriebliche Pensionswesen bekommt im Niedrigzins viel Gegenwind. Nun erklärten die Verbraucherschützer die bAV über Entgeltumwandlung für ungeeignet. LbAV-Autor Detlef Pohl hat die wichtigsten Thesen aufgespießt und sich bei Branchenkennern umgehört. Sein Ergebnis: Weniger Ideologie wäre mehr gewesen.
Bereits im September war die Studie „Was für Sparer übrigbleibt“ des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) zu dem Ergebnis gekommen, dass Entgeltumwandlung mittels Direktversicherung schlechter als Riester-Rente, Basisrente und private Rentenversicherung abschneide, was Kritik von anderen Branchenkennern heraufbeschwor.
Nun legte der Verbraucherzentrale-Bundesverband (vzbv) in einem Positionspapier mit dem Titel „Reform der kapitalgedeckten Zusatzvorsorge nicht in der bAV verankern“ nach. Erklärung wird im Untertitel versprochen, der da lautet: „Warum die bAV in der Entgeltumwandlung für Verbraucher ungeeignet ist“.
Noch klarer wird die Absicht, wenn man das Fazit des 4-Seiten-Papiers betrachtet. Es lautet etwas verkürzt:
„Die Probleme der bAV … müssen dringend korrigiert werden. Wenn das der Fall ist, bietet sich eine Stärkung der bAV im Rahmen der Reform der kapitalgedeckten Zusatzvorsorge mit der Einführung eines öffentlich-rechtlich organisierten Vorsorgefonds analog oder in Kombination mit 3. Säule der privaten Altersvorsorge an.“
Daher weht also der Wind. Staatsfonds! Ob als Ergänzung zum oder Ersatz des bestehenden Systems bleibt offen. Was davon zu halten ist, hat LbAV vielfach kommentiert und von Fachleuten beleuchten lassen (s.u.a. hier und hier), und dazu weiter unten auch aktuelle, grundsätzliche Kritik der aba.
Sozialabgaben, Portabilität, Versicherer
Die vzbv-Kritik an der Entgeltumwandlung entzündet sich vor allem an drei Punkten: an deren Sozialabgabenfreiheit (weil damit die Beiträge und Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung sinken), der eingeschränkten Portabilität (der Vertrag kann nicht einfach mitgenommen, sondern allenfalls den Rückkaufwert übertragen werden, falls beide Arbeitgeber einverstanden sind) und am Versicherungsmantel (unflexibel, unsicher, renditeschwach).
Die ausführlichen Begründungen rufen Kopfschütteln hervor, wenngleich einige Grundaussagen tatsächlich bei einer ernsthaften Altersvorsorge-Reform berücksichtigt werden sollten (bessere Portabilität, Abschaffung von Garantiezwängen in BZML zur Renditeverbesserung).
Legen Arbeitgeber die Hände in den Schoß?
So stellen sich die Verbraucherschützer auf den Standpunkt, dass man „bei betrieblicher Altersversorgung eigentlich davon ausgehen könnte, dass es sich um eine Zusatzleistung vom Arbeitgeber handelt, die auch von diesem bezahlt wird… Arbeitgeber müssten einen signifikanten Beitrag zur Finanzierung leisten.“ Offenbar ist man beim vzbv nicht auf dem letzten Stand der Dinge. Zwar weiß man, dass der verpflichtende 15% AG-Zuschuss bei der Entgeltumwandlung auch im Bestand ab 1. Januar 2022 vorgeschrieben ist (was übrigens bei Arbeitgebern heftigen Aufwand produziert).
Übersehen wird aber offenbar, dass die rein AG-finanzierte bAV und v.a. Mischformen wie Matching-Modelle kräftige Verbreitung haben. Davon kündet bspw. der „Deutsche bAV-Index 2021“ von WTW. 93% der Firmen (zumindest die ab 250 Mitarbeitern) sagen ihren Mitarbeitern beitragsorientierte Leistungen zu, 79% bieten überdies bei Entgeltumwandlung Zuzahlungen, so dass am Ende eine bAV in Höhe von 4% bis 5% ihres letzten Gehalts + Entgeltumwandlungsleistungen zu Buche stehen.
Wie denn ohne?
Die Generalkritik am Versicherungsmantel ist nicht neu und wird durch Wiederholung nicht origineller. Sie ist aber der einzige Punkt, den die Anbieter selbst beeinflussen können – und es z.T. auch tun: durch mehr Entgeltumwandlung über nicht-versicherungsförmige Pensionsfonds. Eine Alternative beim Durchführungsweg lässt der gesetzliche Förderkatalog nach § 3.63 EStG gar nicht zu.
Dass die Garantieversprechen immer weniger haltbar sind, ist am wenigsten den im Kollektivgeschäft eher moderaten Vertriebskosten geschuldet, sondern den politisch motivierten Niedrigzinsen der EZB, die alle sicheren Anlageformen treffen.
Als ob das die Lösung wäre
Und wenn die Verbraucherschützer am Ende für den Staatsfonds trommeln, dann seien auch die diesen inhärenten Defizite hier grundsätzlich dargelegt. So haben aba-Chef Georg Thurnes und aba-GF Klaus Stiefermann kürzlich erneut Position wider die Staatsfonds bezogen haben:
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Staatsfondsmodelle sind momentan en vogue, weisen aber viele Schwächen auf und sind der reinen Beitragszusage (rBZ) in der bAV weit unterlegen.
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Zumeist konzentrieren sich die Vorschläge zu Staatsfonds allein auf die Kapitalanlage, beziehen nur Arbeitnehmer ein (aber keine Selbständigen, Beamten und Abgeordneten) und vernachlässigen überdies die Leistungsphase. Altersversorgung ist aber mehr als das bloße Einsammeln und Anlegen von Geld.
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Zudem ist es wettbewerbsrechtlich und ordnungspolitisch problematisch, einen „Überkonkurrenten“ zu schaffen, der über den Arbeitgeber als „Vertriebskanal“ und ein Obligatorium Wettbewerbsvorteile genießt.
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Die Verwaltungskosten werden schöngerechnet, der Kontrollaufwand bleibt unberücksichtigt, und ein großer Teil des administrativen Aufwandes wiürde den Arbeitgebern aufgebürdet.
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Bei den meisten Modellen sollen die Arbeitnehmer über ihren Arbeitgeber automatisch in einen Staatsfonds einzahlen. Sie könnten aus dem Fonds rausoptieren und den Betrag, der eingezahlt wird, zumeist jederzeit ändern. Solche Systeme sind nicht verwaltungsarm und erzeugten auch hohen Kontrollaufwand bei der Aufsicht.
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Staatsfonds kennen weder Selbstverwaltung noch Durchführung und Steuerung mithilfe der Sozialpartner. Außerdem wird nicht ausreichend sichergestellt, dass die Staatsfonds – vor allem in Krisenzeiten – keiner politischen Einflussnahme oder gar Zweckentfremdung unterliegen. Kein Wort wird zudem über den aufsichtsrechtlichen Rahmen verloren.
„Die neue Bundesregierung sollte solche Modelle meiden und stattdessen endlich, wie schon so oft versprochen, Verbreitungshemmnisse bei der bAV beheben. Sie darf nicht totreguliert werden und muss flexibler auf sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren dürfen“, fordert Stiefermann. „Alles, was man sich von einem Staatsfonds erhofft, könnte man durch die rBZ besser erreichen“, fasst Thurnes zusammen. Die bAV sei ein erprobtes Fördermodell, auch eine aktienbasierte Altersvorsorge lasse sich beispielsweise in der rBZ umsetzen. Zudem biete die bAV eine kollektive Abfederung von Risiken auch in der Rentenbezugsphase. Bei einem Staatsfonds müsste der Steuerzahler einspringen.
Alles über einen Kamm?
Gut, dass Experten schnell auf die vzbv-Warnungen vor der Entgeltumwandlung reagiert haben, ehe die neue Bundesregierung womöglich falsche Schlüsse zieht. An vorderster Front der Berater und Dienstleister Aon mit klarer Kante:
„Die Pauschalkritik der Verbraucherschützer an der Entgeltumwandlung ist unberechtigt und führt Arbeitnehmer in die Irre”, kritisiert Gundula Dietrich. Obwohl es sich nur auf einen Durchführungsweg beziehe, stelle es die bAV unter Generalverdacht.
„Durch Stellungnahmen dieser Art werden Arbeitnehmer davon abgehalten, sich überhaupt mit dem Thema bAV auseinanderzusetzen“, verweist die Aon-Geschäftsführerin auf die möglichen fatalen Wirkungen. Arbeitnehmern entginge somit eine ganze Reihe von Vorteilen der bAV gegenüber anderen Formen der Altersvorsorge. „Insbesondere in größeren Unternehmen wird die Eigenvorsorge der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber über die gesetzlichen Anforderungen hinaus unterstützt”, erläutert Dietrich.
Aber selbst, wenn der Arbeitgeber dies nicht über den Pflichtzuschuss hinaus unternimmt, habe der Arbeitnehmer Vorteile gegenüber privaten Geldanlagen. „In vielen Fällen werden für die Belegschaft Konditionen ausgehandelt, die für den einzelnen Arbeitnehmer nicht erreichbar sind,” weiß die Aktuarin. An diesem Prozess ist in der Regel auch der Betriebsrat beteiligt, was zusätzliche Sicherheit gäbe.
„Wie bei allen finanziellen Fragen hilft Pauschalkritik nicht weiter,” so Dietrich weiter. „Das führt nur dazu, dass die bAV in ein schlechtes Licht gerückt wird.“ Es könne kaum im Sinne der Verbraucherzentrale sein, dass Arbeitnehmer selbst dann ihre Unterschrift verweigern, wenn sie gar keine eigenen Beiträge für eine bAV leisten müssten. „Genau das ist leider in der Praxis aber immer wieder zu beobachten”, berichtet Dietrich aus Erfahrung. Sie empfiehlt dem vzbv, lieber daran mitzuarbeiten, das System der bAV einfacher, transparenter und flexibler zu machen. Es sei jedoch kontraproduktiv, eine Form der bAV pauschal als ungeeignet darzustellen. „Die Alternative ist gerade für Geringverdiener in den meisten Fällen schlichtes Nichtstun, das sich aber niemand leisten kann“ so Dietrich.
Besser kleine Schritte als keine Schritte
Aon hatte kürzlich eine Yougov-Umfrage beauftragt, die unter 2.000 Personen ermittelte, dass weit über die Hälfte der Befragten (57%) entweder keine eigenen Handlungsmöglichkeiten zu mehr Eigenvorsorge sieht oder sich zu dieser Frage der Stimme enthielt. Dagegen halten sich nur 17,5% für ausreichend vorgesorgt.
Die private Vorsorge wollen 16,9% verstärken und 8,6% bAV-Angebote intensiver nutzen. Diejenigen 34,4%, die keine Möglichkeit sehen, selber etwas zu tun, geben zum überwiegenden Teil an, dass ihr Einkommen nicht ausreiche (52,8%). Aber auch Unsicherheit (16,5%) und mangelnde Information (8,9%) halten viele ab.
„Viele wissen offensichtlich nicht, dass es auch mit geringem Einkommen möglich ist, wirksam vorzusorgen“, ermuntert Aon-Partnerin Angelika Brandl zu mehr Information und Umsetzung. Insbesondere die bAV biete gute Möglichkeiten, mit kleinen Eigenbeiträgen die Absicherung im Alter zu verbessern. „Diese werden durch gesetzlich geregelte Zuschüsse sowie oftmals durch freiwillige Arbeitgeberzuschüsse erhöht”, kommentiert Brandl.
Conclusio: Das vzbv-Papier – das mit seinem Staatsfonds-Fazit bei dem Autor mehr nach von Ideologie als von Sachkunde getrieben wirkt – leistet gerade Geringverdienern, die über die 100er-Förderung in der Breite stärker profitieren sollen, einen Bärendienst. Man kann nur hoffen, dass sich die neue Bundesregierung keine Projekte einflüstern lässt, die unterm Strich eher verbraucherfeindlich sind. Der Koalitionsvertrag ist da zwar noch schwammig, fordert aber immerhin, die bAV stärken zu wollen, unter anderem durch die „Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen“.
Hoffentlich sind damit das Ende der Garantiepflicht bei der BZML und rBZ-Vereinfachungen gemeint – und nicht die Anlage von Staatsfonds in der zweiten und/oder dritten Schicht.
Das vollständige vzbv-Positionspapier gibt es hier.