Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Heute in Bonn:

Zuversicht ohne Selbstgefälligkeit

Der Chef der deutschen Versicherungsaufsicht ergreift heute morgen das Wort. Frank Grund analysiert Lage und Perspektive von Assekuranz und bAV im Querschnitt. Er tut dies auch und vor allem unter dem Gesichtspunkt der Technologie, spricht die Treiber der Zukunft an, mahnt offen bestimmte Akteure, die Spielräume der prinzipienorientierten Aufsicht nicht überzustrapazieren – und: Es ist auch ein kleiner Abschied.

Frank Grund, BaFin. Foto: Frank Beer.

In diesen Stunden findet in Bonn die diesjährige Jahreskonferenz der deutschen Versicherungsaufsicht statt. Die bAV hier nur ein Thema unter vielen. Vor allem aber markiert die Konferenz einen Einschnitt: Es ist die letzte Jahreskonferenz Versicherungsaufsicht unter Leitung von Frank Grund, dem Exekutivdirektor der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht der BaFin, der nach acht Jahren im Amt Ende September in den Ruhestand geht.

BaFin-Präsident Mark Branson würdigt in seiner heutigen Eröffnungsrede die Arbeit Grunds und nennt ihn einen Glücksfall für die BaFin, der die Behörde geprägt und deren Transformation vorangetrieben“ habe. Die Aufsicht wandele sich, sie werde „schneller, mutiger und risikoorientierter“. Dass die Versicherungswirtschaft bspw. so glimpflich durch die Niedrigzinsphase gekommen ist, wertet Branson als Verdienst einer vorausschauenden Aufsicht. Grund habe sehr früh erkannt, wie schwierig die Niedrigzinsphase insb. für Pensionskassen werden könnte. „Es ist unter anderem seiner Weitsicht zu verdanken, dass es nur vereinzelt zu Leistungskürzungen kam.“

Hier die heutige Rede „Zukünftige Herausforderungen der Versicherungswirtschaft“ Frank Grunds, die LEITERbAV wegen der Inhaltsdichte und der zahlreichen Querschnittsthemen, welche auch die bAV betreffen, im Wortlaut seines Manuskripts abdruckt (Zwischenüberschriften von der Red. eingefügt):

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch von mir ein herzliches Willkommen. Ich freue mich, dass Sie in so großer Zahl gekommen sind, um sich mit uns über künftige Herausforderungen der Versicherungsaufsicht auszutauschen.

Doch zunächst zu Dir, lieber Mark. Ich freue mich sehr, dass Du heute bei uns bist, gerade bei meiner letzten BaFin-Veranstaltung. Ich werte das als ein deutliches Zeichen Deiner Verbundenheit mit der Versicherungsaufsicht.

Über Deine freundlichen Worte freue ich mich natürlich sehr. Und in der Tat, Versicherungen waren immer mein Thema, und ich habe deshalb die Zeit an der Spitze der Versicherungsaufsicht immer als Krönung meines Berufslebens gesehen.

Stellvertretend für alle möchte ich auch Petra Hielkema begrüßen. Du bist als Chairperson von EIOPA bereits zum wiederholten Male bei uns. Das gehört gewissermaßen zu Deiner Stellenbeschreibung. Liebe Petra, die BaFin arbeitet sehr eng mit EIOPA zusammen und ich verstehe Dein Kommen als Ausdruck dieser guten Zusammenarbeit.

Die Frage, wie es weitergeht

Meine Damen und Herren,

Ich habe in den vergangenen acht Jahren die Versicherungsbranche intensiv begleitet und könnte Ihnen jetzt erzählen, dass die Versicherungswirtschaft und der Großteil der Pensionskassen und -fonds robust dasteht, die Niedrigzinsphase überwunden scheint und die Risiken aus dem Zinsanstieg und der Inflation zwar spürbar, aber auch beherrschbar erscheinen. Das stimmt alles. Und ich könnte Ihnen dazu alles Mögliche erzählen. Das möchte ich aber nicht.

Die BaFin in Frankfurt am Main. Foto: Kai Hartmann.

Mir geht es heute nämlich um etwas Anderes: um die Frage, wie es weitergeht: Wie wird sich die Branche entwickeln? Vor welchen Risiken steht sie? Und was bedeutet das für die Aufsicht?

Die Risiken im Fokus – auch bei EbAV

In den vergangenen Jahren erreichten mich oft Fragen aus der Branche und der BaFin nach dem richtigen Umgang mit den zahlreichen Neuerungen und jüngeren Entwicklungen: dem Dauerzinstief, dem abrupten Zinsanstieg, der hohen Inflation, dem Klimawandel und hier insb. dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit, Dora, RIS etc.

Meine Antwort lautete immer: „Richten wir unseren Blick auf die Risiken! Solvency II wird uns hierbei helfen. Weil es ein risikoorientiertes Aufsichtsregime ist.“

Das gilt im Übrigen auch für auch die Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge, denn die EbAV-II-Richtlinie hat das Risikomanagement in der zweiten Säule gestärkt.

Versicherungsunternehmen wie Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge und Aufsicht müssen sich auf die wichtigen, aktuellen und – wenn möglich – künftigen Risiken einstellen. Sie müssen Prioritäten setzen und immer wieder zügig adjustieren, wenn es erforderlich ist.

Was immer bleiben wird

Denn ich verspreche Ihnen: Eines wird immer bleiben: die Veränderung. Das politische, soziale, ökonomische und vor allem das technische Umfeld wird sich auch weiterhin wandeln. Und zwar ständig.

Das hat Auswirkungen auf die Versicherungsbranche und vice versa. Idealerweise hilft sie, große gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Das ist ihre Rolle. Und deshalb ist sie unverzichtbarer Bestandteil der Wertschöpfung unseres Landes.

Relevante Themen wie die Zukunft der Altersversorgung und die Bedeutung des Verbraucherschutzes haben wir heute auf der Agenda und werden sie in den Paneldiskussionen vertiefen.

Ich möchte vier andere Punkte ansprechen, bei denen Sie, aber auch die Aufsicht in Zukunft besonders gefragt sein werden.

Da ist zum einen die Digitalisierung der Branche. Hier gibt es zwei Facetten: erstens die direkten Auswirkungen der technischen Entwicklungen auf die Unternehmen. Und zweitens die Veränderung der Geschäftsmodelle und der damit verbundenen Risiken durch verändertes Konsumentenverhalten. Worauf ich auch eingehen möchte: die erstaunliche Kreativität mancher Unternehmen bei der Nutzung aufsichtlicher Spielräume. Und last but not least will ich einige Takte zum Klimawandel sagen.

KI, Open Finance, Clouds, Tokenisierung, Chatbots: nicht abhängen lassen …

Die technischen Entwicklungen bieten Ihren Unternehmen bekanntlich vielfältige Chancen. Zum Beispiel bei der Prozessoptimierung und bei der Weiterentwicklung von Produkten. Die damit einhergehenden Risiken zu bewältigen, ist zweifellos eine große Herausforderung, auch für Regulierung und Aufsicht. Künstliche Intelligenz, Open Finance, Cloud Computing, Tokenisierung von Assets und Chatbots – all das entwickelt sich rasend schnell.

Alle Marktteilnehmer, nicht nur die Versicherungsbranche, müssen sich anstrengen, um nicht abgehängt zu werden und Chancen der Digitalisierung sinnvoll für sich nutzbar zu machen. Auch Regulierung und Aufsicht müssen mithalten. Wir müssen vor allem dafür sorgen, dass diese Technologien und ihre Anwendungen sicher und handhabbar sind.

und anstrengen

Unsere VAIT sind gewissermaßen Vorreiter von DORA, und wir haben in den vergangenen Monaten den Zustand der IT in den Unternehmen bekanntlich sorgfältig untersucht. Die Ergebnisse sind zum Teil bereits bekannt – auch unsere Reaktion in Form eines Kapitalaufschlags. Die Ergebnisse unserer Prüfungen waren branchenweit sehr ernüchternd. Da sind deutliche Anstrengungen erforderlich, um die Mängel schnell zu beseitigen. Die Branche muss sich sehr viel besser gegen die Bedrohung der IT-Sicherheit wappnen. Und ich rede hier von der Bedrohung von innen und von außen.

Weitere Regulierung wie FIDA für Open Finance und die KI-Verordnung wird hinzutreten. Die KI-Verordnung reguliert den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Sie soll die Rechte und Sicherheit der Bürger schützen und zugleich Innovation und wirtschaftliches Wachstum fördern.

Daran habe ich nie geglaubt

In der Versicherungswirtschaft spielen Methoden des maschinellen Lernens und KI noch keine große Rolle. Und mein Versuch mit ChatGPT für diese Rede war auch nur bedingt hilfreich. Was immerhin zur Folge hat, dass Sie heute noch einmal in den „Genuss“ eines Original-Grunds kommen.

Ich habe ChatGPT gefragt, wie sich die Versicherungsbranche verändern werde. ChatGPT erwartet eine Disruption durch Insurtechs, die traditionelle Versicherungsmodelle störten, indem sie agile Lösungen anböten. Daran habe ich nie geglaubt.

An einer anderen Stelle gebe ich ChatGPT recht: Auf meine Frage, ob die Versicherungsbranche eine Zukunft habe, antwortete ChatGPT mir, dass Versicherer grundlegender Bestandteil moderner Gesellschaften und Wirtschaftssysteme seien. Könnte von mir sein. Aber Scherz und urheberrechtliche Fragen beiseite: Die Technik kann Denkanstöße geben und Informationen zusammenführen. Die Bewertung dürfen wir ihr aber nicht überlassen.

Versicherer können künstliche Intelligenz in vielfältiger Weise nutzen, was die Branche grundlegend verändern dürfte. Daher beschäftigt uns dieses Thema schon heute. KI kann Versicherern helfen, ihre Geschäftsprozesse zu optimieren und bessere Entscheidungen zu treffen. Beispielsweise bei der Risikobewertung, der Schadensregulierung, der Betrugserkennung oder bei der Kundenbetreuung. Hier werden Sprachmodelle eingesetzt, um Kundenanfragen schneller zu beantworten. Die Programme erkennen sofort, worum es geht, und ordnen die Anfragen dem passenden Bearbeitungsprozess zu. Auch wenn jeder aus eigener Erfahrung weiß, dass hier oft noch Luft nach oben ist.

Ethik und KI

Aber es gibt, wie bei allen neuen Technologien, auch einige Herausforderungen, die Versicherer bei der Nutzung von KI bewältigen müssen. Qualität und Verfügbarkeit von Daten sind entscheidend. KI-Methoden sind sehr komplex. Die Unternehmen brauchen daher eine sorgfältige Governance. Sie müssen regelmäßig prüfen, wie leistungsfähig ihre KI-Tools sind. Nutzen Unternehmen KI auch in Entscheidungsprozessen, müssen diese nachvollziehbar sein. Menschen müssen Entscheidungsprozesse weiterhin kontrollieren und eingreifen können.

Zudem wirft der Einsatz von KI ethische Fragen auf: Werden sensible Daten ausreichend geschützt? Werden bestimmte Kundengruppen diskriminiert? Diese Fragen haben wir bei der BaFin schon sehr früh gestellt, und sie stehen auch im Fokus der europäischen KI-Verordnung. Für die Aufsicht geht es jetzt darum, ihre Erwartungen zu formulieren. Eines scheint schon jetzt klar zu sein:

Es ist wichtig, dass Versicherer neue Technologien verantwortungsvoll einsetzen. Gerade zu Beginn muss man die Weichen richtig stellen. Das hilft, die negativen Auswirkungen und Kontakte zur Aufsicht zu begrenzen. Oder, anders gesagt: Erfahrungen wie mit unseren aktuellen IT-Prüfungen kann und sollte sich die Branche ersparen.

Der schnelle Konsument – zwischen Unberechenbarkeit und Fake News

Ich komme zu meinem zweiten Punkt:

De technischen Entwicklungen führen zu einem veränderten Konsumentenverhalten. Durch Social-Media Plattformen, aber auch durch Vergleichsplattformen treffen Konsumenten ihre Entscheidungen schneller und unberechenbarer.

Gerade im Privatgeschäft bieten sich den Verbrauchern bequeme Möglichkeiten, verschiedene Versicherungsangebote zu vergleichen und Verträge auch online abzuschließen und zu kündigen. Vom Sofa aus, ganz bequem. Was auf der einen Seite den Wettbewerb zwischen den Versicherungsunternehmen stärkt und die Chancen für innovative Versicherer erhöht.

Aber ich sehe hier auch Gefahren. Soziale Medien bieten in Echtzeit Informationen in Hülle und Fülle. Nachrichten verbreiten sich rasend schnell. Auch schlechte und falsche. Das Problem: Verbraucherinnen und Verbraucher können durch negative oder gar falsche Schlagzeilen verunsichert werden. Und zwar so sehr, dass sie überhastet kündigen und zu einem anderen Anbieter wechseln, einen Vertrag kurzentschlossen doch nicht abschließen oder sogar zu einem für sie nachteiligen Vertragsabschluss fehlgeleitet werden.

Wir haben vor einigen Monaten schon auf dem amerikanischen Bankensektor gesehen, welches Gefahrenpotenzial es hier gibt. Und als die italienische Versicherungsgesellschaft Eurovita in Schwierigkeiten geriet und diese Nachricht in den Sozialen Medien die Runde machte, kündigten viele Kunden ihre Policen vorzeitig – was zur fatalen Situation eines Liquiditätsengpasses führte.

Vertrauen

In Deutschland sehe ich diese Gefahr derzeit nicht. Das Vertrauen in den Versicherungsmarkt ist groß – und zwar zu Recht. Im Übrigen sorgen die Unternehmen hier auch für einen erhöhten Liquiditätsbedarf vor, was wir im Übrigen auch überprüfen.

Die Versicherer müssen aber auf diese Veränderungen reagieren, die Risiken im Risikomanagement berücksichtigen und ihre Strategien, aber auch Produktangebote anpassen.

Sie müssen sich in Zukunft flexibler und schneller auf die sich wandelnden Bedürfnisse ihrer Kundschaft einstellen. Die neuen Technologien bieten hier eine Chance, die Produktlandschaft individueller und passgenauer auszugestalten und die Kundenbedürfnisse besser zu bedienen. Wer wettbewerbsfähig bleiben will, sollte diese Chance nutzen.

Gerade bei den digitalen Geschäftsmodellen ist aber wichtig, dass die die Unternehmen ihren Produktentwicklungsprozess ordentlich durchführen. Die BaFin möchte sichergehen, dass die Verbraucherinteressen auch beim Einsatz neuer Technologien angemessen geschützt sind.

Erstaunlich viel Kreativität bei Solvency II …

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der dritte Punkt, den ich heute gern ansprechen möchte liegt nahe, wenn es um Regulierung geht: Die BaFin hat dafür zu sorgen, dass sich die Versicherungsunternehmen an die gesetzlichen und aufsichtlichen Vorgaben halten.

Das gilt auch da, wo regulatorische Anforderungen Spielräume lassen: Das prinzipienbasierte und risikoorientierte Aufsichtsregime Solvency II bietet bekanntlich große Freiheitsgrade in der Bewertung und in der Modellierung der Risiken. Das bedeutet für Versicherer erst einmal ein hohes Maß an Entscheidungsspielraum und Verantwortung. Für die Aufsicht und sicher auch für die Wirtschaftsprüfer ergibt sich die Herausforderung zu beurteilen, ob die Annahmen und Methoden der Versicherer angemessen sind. Hier gibt es kein Schwarz-Weiß-Denken, hier gibt es Ermessensspielräume.

Worauf ich hinaus will: Wir beobachten in der Praxis erstaunlich kreative Ansätze bei der Berechnung der Solvenzquote. Da werden zum Beispiel sehr optimistische Annahmen bei der Ermittlung der versicherungstechnischen Rückstellungen getroffen, um eine möglichst hohe Solvenzquote zu erreichen.

Ein anderes Beispiel sind Rückversicherungslösungen. Klar, sie sind ein Mittel zum Risikotransfer. Aber bei einigen Konstruktionen haben wir Zweifel, ob es wirklich um Risikotransfer geht. Wichtig ist, dass die Auswirkungen auf die Solvenzkennzahlen in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Risikotransfer stehen.

Ich habe noch ein Beispiel: den Ansatz von steuerlichen Verlustvorträgen in der SCR1-Berechnung, genauer gesagt: der Prognose künftiger steuerpflichtiger Gewinne nach Eintritt eines adversen Extrem-Szenarios. Wie Sie wissen sehen wir das sehr skeptisch, und unsere Stichproben bestätigen uns in dieser Einschätzung.

und Usancen, die wir noch nicht kannten

Ich will mich hier nicht in die Reihe der Kritiker von Private Equity-Investoren in der Assekuranz einreihen. Klar ist jedoch, dass eine vor allem renditeorientierte Aktionärsstruktur die Gefahr erhöht, dass regulatorische Spielräume unangemessen ausgenutzt werden. Das verträgt sich nicht mit unserem Mandat, die Belange der Versicherten zu schützen.

Ich meine damit u.a. die auf externe Run-offs spezialisierten Unternehmen. Mit ihnen kamen hierzulande Usancen auf, die wir so noch nicht kannten.

Auch bei anderen Unternehmen spielen Aktionärsinteressen eine Rolle: etwa bei börsennotierten Gruppen. Diese verfügen aber in der Regel über interne Modelle, die ohnehin einer engeren aufsichtlichen Begleitung unterliegen als die Standardformelanwender.

Werden die Spielräume über Gebühr ausgereizt, und sind die Ergebnisse nicht mehr angemessen, verstößt dies gegen rechtliche Vorgaben. Alle Unternehmen, egal, ob sie Interne Modelle anwenden oder die Standardformel, müssen dies im Blick haben.

Wenn die BaFin hier Missstände sieht, wird sie weiterhin konsequent dagegen vorgehen.

Der Solvency-II-Review wird möglicherweise zu Kapitalerleichterungen für die Unternehmen führen. Das macht das Versicherungsgeschäft riskanter. Ist stelle daher folgende These für die Zukunft auf: Wenn das Solvenzregime die Risiken quantitativ nicht mehr vollständig abbildet, muss man sich künftig im Risikomanagement noch intensiver mit diesen Risiken auseinandersetzen.

Protection Gap

Meine sehr geehrten Damen und Herren, kommen wir nun zu meinem vierten Punkt: Nachhaltigkeit. Ein weites Feld. Im Mittelpunkt steht derzeit der Klimawandel. Spätestens seit der Flutkatastrophe im Ahrtal ist es jedem klar: Das Thema betrifft die Versicherungswirtschaft unmittelbar und ganz konkret. Die Diskussion über die Versicherung von Elementarschäden ist durch die Ereignisse wieder in Gang gesetzt worden.

Der Versicherungsschutz für den Fall von Naturkatastrophen ist in Europa immer noch niedrig. Nur etwa ein Viertel aller Schäden ist heute gedeckt, in Deutschland besteht immerhin für mehr als die Hälfte der Risiken ein Versicherungsvertrag mit entsprechender Deckung. Aber es bleibt auch bei uns immer noch eine recht große Lücke – der berühmte Protection Gap.

Wie immer nach Katastrophen wie an Ahr und Erft wird auf vielen Ebenen über verschiedene Lösungen diskutiert. Als Aufsicht nehmen wir an der politischen Diskussion nicht teil. Zwei Punkte sind der BaFin aber wichtig:

Intensive Verbraucheraufklärung durch die Branche und auch durch die BaFin kann dazu beitragen, dass mehr Versicherungen für Elementarschäden abgeschlossen werden.

Und was auch immer aus der politischen Diskussion resultieren mag: Sollte die private Versicherungswirtschaft an einer Lösung beteiligt sein, dann sollte es auch bei dem Grundsatz der risikogerechten Prämienkalkulation bleiben.

Die verheerenden Überschwemmungen im Ahrtal sollen aber nur als ein Beispiel dafür dienen, dass der Klimawandel die Versicherungsbranche und die Aufsicht weiter herausfordern wird. Auch hier gibt es auf europäischer und deutscher Ebene eine hohe Regulierungsdichte mit hoher Veränderungsdynamik.

Die BaFin verfolgt keine eigenen umwelt-, sozial- oder wirtschaftspolitischen Ziele. Sie hat die Risiken im Blick, die sich aus dem Themenkomplex Nachhaltigkeit ergeben: für die Unternehmen, die sie beaufsichtigt, und für Verbraucherinnen und Verbraucher. Ihre Expertise auf diesem Gebiet bringt sie in gesetzgeberische Vorhaben ein.

Tempo mit Weile

Aus meiner Sicht brauchen wir gerade auf diesem Gebiet in der Regulierung ein Tempo, das der Dringlichkeit des Themas Rechnung trägt und zugleich den Versicherungsunternehmen die erforderliche Zeit bietet, sich selbst und ihre Geschäftsmodelle zu reformieren

Aber eines ist klar: Wir stehen hier vor einer Transformation, die unsere Gesellschaft tiefgreifend verändern wird. Meine eindringliche Mahnung an die Branche, an Sie, Ihre Geschäftsmodelle zu aktualisieren, kommt bestimmt nicht zu früh.

Früher war anders als heute

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der Vielzahl an neuen Themen, von denen ich heute nur eine Auswahl beleuchtet habe, stellt sich die Frage, ob Versicherer und Aufsicht überhaupt noch in der Lage sind, diese effektiv anzugehen. Zumal Veränderungen in der Technik, auf den Märkten und in der Politik zu immer neuen Herausforderungen führen.

Lassen sich auch angemessene Antworten auf all diese neuen Herausforderungen finden? Das wäre dringend erforderlich. Eine Volkswirtschaft kann bekanntlich nur mit einer leistungsstarken Versicherungswirtschaft funktionieren.

Meine These lautet: Ja, diese Antworten lassen sich finden! Die Versicherungswirtschaft hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie mit Neuerungen umgehen kann. Neuerungen sind für die Branche etwas Alltägliches.

In meinem Berufsleben – in der Versicherungswirtschaft und in der Aufsicht – gab es eine Konstante: ständig neue Themen und Trends. Die Branche hat sich in Deutschland bislang als resilient erwiesen.

Damit das so bleibt, wird sie künftig noch flexibler sein und noch schneller auf neue Entwicklungen reagieren müssen. Die Branche wird sich in permanenter Selbstreflektion üben und ihre Geschäftsmodelle immer wieder hinterfragen müssen. Entscheidend ist, immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Was früher gut funktioniert hat, ist nicht unbedingt ein Rezept für die Zukunft. Selbstgefälligkeit stünde der Branche nicht gut zu Gesicht, meine Damen und Herren.

Sie wissen, was sie tun

Die BaFin hat Sie als vorausschauende Aufsicht bei allen bisherigen Veränderungsprozessen begleitet und gefordert – und sich auch selbst weiterentwickelt. Ich scheide in den nächsten Wochen nach acht Jahren an der Spitze der Versicherungsaufsicht aus. Aber eins ist klar: Meine Kolleginnen und Kollegen hier in der BaFin verstehen ihr Geschäft. Sie sind sich ihrer hohen Verantwortung für einen funktionierenden Versicherungsmarkt und die bAV sehr bewusst. Beide spielen eine wesentliche Rolle für den gesamten Finanzmarkt und die Gesellschaft. Und sie setzen sich mit großem Engagement und Erfolg für das Wohl der Versicherungsnehmer ein.

Auch deshalb mir ist um die Zukunft der Branche nicht bange.

Ich danke Ihnen.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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