Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Heute in Bonn:

„Harmonisierung statt Gleichmacherei“

Derzeit geht die Jahreskonferenz der Versicherungsaufsicht 2019, veranstaltet von der BaFin und mit 450 Teilnehmern, zu Ende. LEITERbAV ist dabei und dokumentiert unmittelbar die wichtigsten Aussagen betreffend die bAV – angesichts der Schnelle und Dichte der Informationen im Stakkato-Stil. PS: Nicht das wichtigste, aber das griffigste Zitat des Tages betrifft gar nicht das Pensionswesen, sondern die Versicherungstechnik.

 

Alle Aussagen im Indikativ der Referenten und zur besseren Lesbarkeit gerafft, besonders prägnante Aussagen wörtlich zitiert:

 

BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund – Eröffnungsrede zur Jahreskonferenz 2019 der Versicherungsaufsicht: „„Wir werden uns jede EIOPA-Stellungnahme genau ansehen, bevor wir entscheiden, ob wir sie in Aufsichtspraxis übernehmen“

 

+++ Situation der Lebensversicherer und Pensionskassen erfordert verstärkte Kontrolle +++ „Wir sind dem Schutz der Versicherungsnehmer und Versorgungsberechtigten verpflichtet“ +++ Das Mandat ist der Auftrag, auf dauerhafte Leistungsfähigkeit der Unternehmen zu achten +++ Niedrigzinsphase fordert Versicherer besonders heraus, jüngste Zinssenkung hat diese Herausforderung noch vergrößert +++ Unternehmen sollen „nicht lamentieren, sondern die Realität zu akzeptieren und sich auf die aktuelle Zinssituation bestmöglich einstellen … und das haben Sie auch gemacht … Weiter so“ +++

 

+++ Punkt erreicht, an dem Marktteilnehmer sehr deutlich machen sollten, wie stark Niedrigzins mittlerweile ihr Geschäftsmodell und damit ihren Beitrag zur kapitalgedeckten Altersversorgung gefährdet +++ Intensivierte Aufsicht für Unternehmen, bei denen bereits ergriffene Maßnahmen möglicherweise nicht ausreichen, um Verpflichtungen dauerhaft erfüllen zu können +++ Niedrigzins trifft auch Schaden- und Unfallversicherer, in der Konsequenz erhalten Versicherungsgeschäft und Reservestellung noch mehr Bedeutung: „Die Kohle muss jetzt aus der Technik kommen“ +++

 

Frank Grund in seiner Eröffnungsrede…

+++ MaGo-EbAV-Rundschreiben wird selbstverständlich Besonderheiten von Pensionskassen und Pensionsfonds berücksichtigen, z.B. Erläuterungen zu zusätzlichen Proportionalitätskriterien für EbAV +++ Zweites Rundschreiben handelt von ORA, das bestehendes Risikomanagement der EbAV ergänzt +++ ORA mindestens alle drei Jahre durchzuführen – wobei Aufsicht diesen Zyklus auch verkürzen kann +++ Mit EbAV-II wird europaweite Mindestharmonisierung angestrebt, keine Gleichmacherei +++ „Wir werden uns jede EIOPA-Stellungnahme genau ansehen, bevor wir entscheiden, ob wir sie in Aufsichtspraxis übernehmen“ +++

 

Kay-Uwe Schaumlöffel, BaFin-Abteilungsleiter Lebensversicherungen, Sterbekassen und Kapitalanlage – Intensivierte Aufsicht über Lebensversicherungen und Einrichtungen der bAV im aktuellen Kapitalmarktumfeld – „…erzwingt sehr unerfreuliche Gespräche mit uns“

 

+++ ZZR: Nach neuer Korridormethode sind hier aus Sicht der BaFin keine weiteren Änderungen sinnvoll +++

 

+++ Passivseite ist bestimmt durch nominale Garantien, idR keine Möglichkeit zur Prämienanpassung +++ Pensionskassen: Praktisch nur Rentenversicherungen mit Garantien +++ Durchschnittliches Garantieniveau bei LVU knapp unter und bei PK häufig noch über 3% +++ Duration auf Passivseite meist länger als auf Aktivseite +++ Hohe Zinssensitivität: Neugeschäft hilft nur sehr langfristig +++

 

+++ Intensivierte Aufsicht heißt in der Praxis für betroffene LVU und EbAV: Mehr an Informationsbeschaffung, intensivierter Dialog der BaFin mit Vorstand, dabei immer Einbindung von AR und WP, Analyse der Lage und der Haltung der Träger bzw. Aktionäre bei Pensionskassen und deren Interessenlage +++

 

+++ Erwarten schon jetzt aus unseren Untersuchungen, dass Anzahl der unter intensivierter Aufsicht stehenden Unternehmen sich stark erhöhen wird; angesichts der Zinserwartungen und unserer Vorgaben eine absehbare Entwicklung +++

Quelle: BaFin. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

 

+++ Fordert Unternehmen zur Abgabe verlässlicher Prognosen auf (d.h. risikoangemessene Angaben und nicht – wie man es häufig sieht – Annahmen, dass sich die Zinssituation in fünf Jahren schon wieder erholen werde, „denn so etwas erzwingt sehr unerfreuliche Gespräche mit uns“), außerdem klare Identifikation der relevanten Einflussgrößen (was bringt ein bestimmtes Neugeschäft, was eine bestimmte Rückversicherung?), Sensitivitätsanalysen (was bedeuten 10, 20, 30 BP Veränderung beim Zins für das Unternehmen?), Stresstest zur Ermittlung der neuralgischen Punkte sowie eine breite Analyse der Handlungsmöglichkeiten (was ist beim Geschäftsmodell möglich, was geht bei der Kapitalanlage, was bei Rückversicherung, was bei der Eigenmittelbasis?) +++ Bei größeren Unternehmen ggf. auch Sanierungsplan nach Paragraph 26 VAG +++ Bei Pensionskassen v.a. Gespräche mit Arbeitgebern, Trägern und Aktionären +++

 

+++ Fordert auch zum Dialog mit der Anstalt auf: „Jedes Gespräch mehr mit uns kann bei Ihnen viele Dutzend oder gar hunderte Stunden an Berechnungen ersetzen, wenn Ihnen von vornherein klar ist, welche Informationen uns überhaupt interessieren“ +++

 

+++ Auf Frage aus dem Publikum (Frank Paschen, PK der Hamburger Hochbahnen) zur Anlageverordnung: Sehen keinen akuten Anpassungsbedarf bei Anlageverordnung, da diese viele Investmentstile zulässt +++ „In unserer Aufsicht begegnen uns keine Einrichtungen, die Probleme beispielsweise mit Aktien- oder Immobilienquote haben“ +++ Im Übrigen Stärkung der Eigenmittelbasis stets sinnvoll, denn wer eine höhere Eigenmittelausstattung hat, der hat auch mehr Flexibilität in der Anlage, das gilt für LVU wie für PK +++

 

+++ Auf Frage aus dem Publikum zur Öffentlichkeitsarbeit: BaFin wird auch weiterhin keine Namen von Unternehmen unter intensivierter Aufsicht nennen; dies würde zum einen den Unternehmen zusätzlich schaden, zum anderen die Aufsicht stören +++

 

+++ Auf Frage aus dem Publikum zu Kosten: Blick nur auf Verwaltungskosten ist zu eng. Abschlusskosten sind für zwei Drittel der Kostenproblematik verantwortlich +++ Sehen im übrigen nicht selten bei Unternehmen, die im Neugeschäft schwach sind, besonders schlechte Abschlusskosten-Quoten +++

 

Die gesamten zugehörigen Vortragsunterlagen Schaumlöffels mit zahlreichen technnischen Details finden sich hier.

 

 

BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund vor Journalisten am Rande der Tagung: „Mit denen beschäftigen wird uns dann als nächstes“

 

+++ Wie zum Zeitpunkt der aba-Jahrestagung auch Stand heute weiterhin 31 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht, davon 23 in der ersten Stufe, acht in der zweiten Stufe +++ Von den 31 PK nur eine niedrige einstellige Zahl als Aktiengesellschaft bzw. Wettbewerbspensionskassen geführt +++ Konkretisierung der o.a. zu erwartenden Zunahme derzeit nicht möglich, jüngste Daten vom 30. September müssen erst ausgewertet werden +++ Aber offenkundig wird die Bedrohung größer +++

 

+++ ESG-Merkblatt ist keine neue Regulierung ist; soll in gewisser Weise auch Notwendigkeit zusätzlicher Regulierung vorbauen +++ Lehnt zu weit gehende ESG-Regulierung ab, bspw. einzelne Assets betreffend +++ Aber Unternehmen sollen sich der Risiken bewusst werden, die sie eingehen +++

 

+++ Nachrangdarlehen: Nachrang sollte auch Nachrang sein und muss vor dem Berechtigten haften +++ Eben dies aber heute nicht immer der Fall, sondern Insolvenz nötig, bevor Nachrangholder in Anspruch genommen wird +++ Vermeidung der Insolvenz aber gerade ein Bestreben der Aufsicht +++ Unerwünschte Folge: Berechtigter erhält gekürzte Rente, doch Bondholder wird mit vollem Kupon bedient +++ Damit ist aber das auf Nachrangdarlehen entfallende Solvenzkapital in der Realität gar keines – wie jüngst gesehen +++ Und damit erhalten Nachrangholder ungerechtfertigt hohen Zins +++ Neue Nachrangdarlehen also nur noch nach neuen Regeln +++ Bestehende Darlehen sollen, wenn möglich, geändert werden, darauf wirkt Bafin bei den EbAV hin; hat auch teilweise bereits Wirkung gezeigt +++ Antwort auf Frage von LEITERbAV, ob im Falle der Weigerung der Bondholder, Bedingungen bestehender Nachrangdarlehen anzupassen, diese nicht mehr als Solvenzkapital anerkannt werden: „Mit denen beschäftigen wird uns dann als nächstes.“ +++

 

Podiumsdiskussion mit Susanna Adelhardt, Richard Nicka, Stefan Häusele und Marius Wenning,moderiert von Joachim Kobischke (BaFin): „Nichts vor, was deutsche EbAV oder die deutsche bAV schädigen könnte“

 

Stefan Häusele, Zusatzversorgungskasse des Gerüstbaugewerbes VVaG: Wir wollen unsere unternehmerische Freiheit behalten“

 

+++ EbAV-II-Richtlinie ist für uns operational umsetzbar +++ Wünschen uns gleichwohl Konkretisierung im Sinne von Leitplanken +++ Wir wollen unsere unternehmerische Freiheit behalten“ +++ VVG-InfoV berücksichtigt zu wenig spezielle Anforderungen kleiner Pensionskassen, beispielsweise betreffend hohe Fluktuation in der Baubranche +++

 

Susanna Adelhardt, Head of Benefits der Evonik Industries AG; Pensionskasse Degussa VVaG: Im Langstreckenlauf alle paar Meter die Mindestgeschwindigkeit prüfen?“

 

+++ In der Kapitalanlage war ESG eine Grundsatzentscheidung für uns, mit besonderem Schwerpunkt auf Governance +++ „Pensions sind ein Langstreckenlauf, aber muss man dort alle paar Meter die Mindestgeschwindigkeit prüfen?“ +++ Alle Regulatorik derzeit durchaus nachvollziehbar, doch muss jede Regulierung gemäß Proportionalität auf Anforderungen der einzelnen EbAV runtergebrochen werden können +++ Neue Schlüsselfunktionen könnten neue Bürokratie bringen, obwohl die Funktionen im Prinzip regelmäßig schon bestehen und funktionieren +++

 

Richard Nicka, Vice President Benefits der BASF SE und Chef der konzerneigenen Pensionskasse sowie stellv. aba-Vorstandsvorsitzender: „Niedrigzinswelt, nicht Niedrigzinsphase!“

 

+++ Hauptsorge, dass EIOPA-Opinions eins zu eins umgesetzt werden +++ Insofern Aussagen Grunds heute ermutigend +++ „Wir haben uns auch früher schon intensiv und kontinuierlich mit Risiken beschäftigt, das ist ja nun nichts Neues“ +++ „Wäre es wirklich nötig gewesen, im Risikocontrolling und in der VMA neue Schlüsselfunktionen zu schaffen?“

 

…und die Podiumsdiskussion zur bAV auf der BaFin-Jahreskonferenz heute in Bonn.

+++ Solange ORA ein proportionales ORA bleibt: unproblematisch +++ Doch wenn Common Framework für alle EbAV verpflichtend würde, wäre diese Überregulierung zum Schaden der deutschen bAV +++ Antwort von Marius Wenning, Fachreferent im Referat für Grundsatzfragen der BaFin: werden hier kein zu enges Korsett vorgeben, sondern uns an Instrumenten orientieren, die es bereits gibt. „Wir haben nichts vor, was deutsche EbAV oder die deutsche bAV schädigen könnte“ +++

 

+++ Nicka weiter: Brauchen angesichts der Niedrigzinswelt (-welt, nicht phase!) dringend eigenes Aufsichtsrecht für EbAV +++ „Das Wort Arbeitgeber kommt im ganzen VAG in gerade einmal vier Paragraphen vor“ +++

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.