Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: eine Million Arbeitsjahre dahin…
Focus Money (28. Februar): „Run auf die Rente mit 63: Studie zeigt, dass schon in wenigen Jahren Desaster droht.“
Das Magazin berichtet über die (un-)absehbaren Folgen des Projektes „Rente mit 63“. Das Angebot scheint einer Studie zufolge auch künftig von erheblicher Attraktivität zu sein, die Entwicklung ist also noch lange nicht abgeschlossen.
Doch während die Politik, die diesen Schildbürgerstreich zu verantworten hat, tagaus, tagein vom (vorgeblichen oder tatsächlichen) Fachkräftemangel fabuliert, muss wohl schon der Status quo der Rente mit 63 als katastrophal bezeichnet werden – und das betrifft nicht nur die in der Öffentlichkeit meist im Vordergrund stehenden Kosten dieser Politik, sondern auch ihre industriepolitischen Effekte. Eine einfache Rechnung:
Laut Artikel sind allein in den Jahren 2017 und 2018 zusammen über 500.000 neue Anträge gestellt worden.
Wenn all diese Anträge bewilligt werden (und warum sollten sie nicht?), heißt das, dass 500.000 Beschäftigte aus der beruflich erfahrensten Alterskohorte circa zwei Jahre früher als turnusgemäß in den Ruhestand gehen. Damit verliert die deutsche Volkswirtschaft also nur durch die Anträge der vergangenen zwei Jahre rund eine Million Arbeitsjahre ihrer erfahrensten Beschäftigten.
Nachhaltige Renten- und Wirtschaftspolitik für eine Industrienation am Vorabend ihres demographischen Zusammenbruchs sieht anders aus.
Focus Money (26. Februar): „Rentenexperte nennt zehn Gründe, warum Heils ‚Respektrente‘ scheitern wird.“
Die Heilsche Grundrente beherrscht die Diskussion, und sie wird es wohl noch eine Weile tun. Kommt sie, wird sie vermutlich auch Wirkung auf die bAV haben – sei es auf die Notwendigkeit von Sozialpartnermodellen, sei es auf die Problematik der Doppelverbeitragung.
Hier ein Beitrag im Focus, der die Kritikpunkte an der Heilrente zusammenfasst. Je nach eigenem politischen Standpunkt wird man diese Punkte teilen oder nicht. Bemerkenswert ist aber gleich der erste, Zitat:
„Für Heils Respektrente muss man 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben. Aber nur ein Prozent derjenigen, die so viele Jahre gesammelt hätten, bezögen Sozialhilfe, schreibt Ruland. 99 Prozent brauchten die Respektrente also gar nicht.“
Sollte diese Zahlen stimmen, dann stellt sich in der Tat mit voller Schärfe die Sinnfrage des ganze Heilschen.
Die Zeit (21. Februar): „Grüne fordern Bürgerfonds zur Altersvorsorge.“
Wenn SPD, Union, FDP und AfD mit eigenen Vorschlägen zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Rente in den Ring steigen, können die Grünen kaum abseits bleiben.
Es sei daher wiederholt, dass sich niemand wundern muss, wenn Sozialpartner zögern, in diesem instabilen und nicht verlässlichen politischen Umfeld neue EbAV für Jahrzehnte aufzustellen. Denn dass solche Umbauten auch die bAV tangieren, ist sonnenklar – und wird sogar in dem Artikel über den grünen Vorstoß explizit erwähnt:
„Der Fonds sei auch eine ‚einfache Alternative für die betriebliche Altersvorsorge‘. Denn die vielen Produkte in diesem Bereich seien oft zu komplex für kleine und mittlere Unternehmen.“
Nach solchen Sätzen kann sich jeder Skeptiker von Sozialpartnermodellen bequem zurücklehnen.
Abgesehen davon gilt für den Vorschlag der Grünen das, was für alle Vorschläge gilt, die zusätzliche Systeme der Altersvorsorge staatlich gestalten wollen: dass die Qualität der politischen Governance der Bundesrepublik Deutschland im frühen 21. Jahrhundert ernsthaft daran zweifeln lassen muss, ob man neben der gesetzlichen Rente seine zusätzliche Altersvorsorge ebenfalls in staatliche Obhut geben sollte. Das zeigt sich auch daran, dass schon jetzt, bevor der Vorschlag überhaupt an Relevanz gewonnen hat, die staatliche Einflussnahme bereits manifestiert wird, Zitat:
„Die Grünen-Politiker wollen außerdem eine Ethikkommission einrichten, die Kriterien festlegt, nach denen der Fonds nur in ethisch, sozial oder ökologisch unbedenkliche Projekte investiert.“
Besonders der Begriff „ethisch“ deutet darauf hin, dass ein solcher Fonds, ähnlich wie die sogenannte Deutschland-Rente, wohl der jeweils dominierenden Politik dazu dienen könnte, als Investment-Tool eigene politische Vorstellungen zu unterstützen – welche immer das auch in der Zukunft der kommenden Jahrzehnte sein werden.
Im Übrigen muss der grüne Vorschlag gar nicht weiter diskutiert werden, findet sich die fachliche Selbstdisqualifikation der Ideengeber doch ultimativ in dem Teilsatz, dass:
„auch Menschen mit wenig Geld ‚ohne großes Risiko‘ von Anlagen mit hoher Rendite profitieren“.