Jeden Freitag bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: „So doof ist Jan Böhmermann wirklich.“
RP (13. April): „Ausgaben für Grundsicherung steigen – Altersarmut kostet 35 Prozent mehr.“
Die Rheinische Post leitet aus der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes ab, dass die Regierung höchstselbst mit zunehmender Altersarmut rechnet. Die Ausgaben des Bundes für die Grundsicherung im Alter sollen von 6,5 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf gut 8,8 Milliarden Euro im Jahr 2020 steigen.
Kassandra hat schon des öfteren die politische und strukturelle Fehlaufstellung der an sich starken deutschen Volkswirtschaft kritisiert, die selbst über Jahrzehnte hinweg als eine der exportstärksten Industrienationen nur eingeschränkt in der Lage ist, weite Teile der Bevölkerung an diesem Erfolg teilhaben zu lassen, sei es über relevante Wohlstandeffekte oder gar standesgemäßen Altersvorsorgevermögen.
Es sei nochmals daran erinnert, in welcher Phase Goldi-Locks-Deutschland sich derzeit am Vorabend des Renteneintritts der Babyboomer befindet: mehr oder weniger Rekordboom mit Rekordsteueraufkommen und Rekordbeschäftigung, Rekordsozialabgabenaufkommen und Rekordhaushalten, gleichzeitig (zumindest subjektiv gefühlt) mit einem Rekordverfall der öffentlichen Infrastruktur, seien es Universitäten, Schwimmbäder, Kindergärten oder die Bundeswehr und ebenso (gefühlt oder belegbar) mit einer Rekordwahrscheinlichkeit an Altersarmut vor der Haustür des Kommenden…
Dies zeigt sich objektiv in den Planungen der Bundesregierung, welche die RP in dem verlinkten Beitrag aufgegriffen hat, aber auch in den Statistiken zu den Privatvermögen im europäischen Vergleich, und subjektiv kennt das Phänomen jeder, der in Europa einigermaßen viel herum kommt. Der hohe Export sichert in Deutschland – so er denn überhaupt noch hier manufakturiert wird – im wesentlichen Arbeitsplätze und Technologie. Das ist nicht wenig, aber zu wenig.
Focus.de (12. April): „Altersvorsorge – Nahles kündigt umfassendes Rentenkonzept an.“
Nochmal drohende Altersarmut: Der Focus verweist auf einen Bericht des WDR, demzufolge fast jeder zweite Bundesbürger, der ab 2030 in Rente geht, eine Altersversorgung aus der gesetzlichen Rente unterhalb der Armutsgrenze erhalten werde. Beinahe die Hälfte der Rentner wären laut WDR dann möglicherweise abhängig von staatlichen Grundsicherungsleistungen, rezitiert der Focus.
Und die Politik? Gut, immerhin sollen BMF und BMAS am heutigen Freitag endlich die beiden Gutachten zur bAV vorlegen. Politisch Zählbares bedeutet das aber noch lange nicht. Und aus Hessen kommt der Vorschlag einer Deutschland-Rente. Horst Seehofer fordert derweil eine Stärkung der gesetzlichen Rente und erklärt Riester für gescheitert. Und laut verlinktem Beitrag werkelt auch Andrea Nahles zwischenzeitlich an einem Rentenkonzept und verweist auf den Herbst. Sowas nennt man im Berliner Politbetrieb normalerweise Kakophonie.
Im Herbst 2017 ist Bundestagswahl. Kassandra unkt weiter: Am Ende könnte durchaus genau das passieren, von dem Andrea Nahles im Mai 2014 gesagt hat, dass es keinesfalls passieren dürfe:
„Nicht, dass wir am Ende blank dastehen.“

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
HB (11. April): „Schäuble schreibt AfD-Erfolg zur Hälfte der EZB zu.“
Hier irrt Wolfgang Schäuble, möglicherweise will er auch nur vom eigenen Versagen ablenken. Die AFD (heute maßgeblich auf die Flüchtlingsfrage fokussiert) ist seinerzeit entstanden infolge einer Unzufriedenheit von Teilen der Bevölkerung mit dem Umgang mit der Banken-, Staatsschulden- und besonders der Griechenlandkrise ab dem Jahr 2008, spätestens ab dem Mai 2010, als die Regierung Merkel federführend die ersten Rettungspakete für Griechenland aufsetze. Schäuble war in dieser Zeit erst Innen-, dann Finanzminister und ist seitdem – ganz im Gegensatz zu dem gern verbreiteten Bild – an vorderster Stelle maßgeblich an der ständigen Insolvenzverschleppung Griechenlands mit immer neuem Steuerzahlergeld beteiligt.
Die EZB ist heute zwar ein exzessiver Player in dem Spiel, doch war dies nicht immer so. Unter Jean-Claude Trichet hat die EZB sich durchaus verantwortungsbewusst verhalten, soweit die Sachzwänge der Zeit das zuließen (Trichet hat einmal sogar versucht, die Zinsen zu erhöhen). Erst mit dem Amtsantritt des Mario Draghi ist das Institut zur Gelddruckmaschine geworden, die keinerlei Grenzen kennt und ganz Europa in die exitfreie Sackgasse führt. Und Draghi ist Ende 2011 schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern von den EU-Regierungen in dieses Amt gebracht worden, auch von der deutschen.
Gleichwohl gibt es auch Positives von Schäuble zu berichten. Im Oktober noch war er an dieser Stelle ob seines mangelhaften volkswirtschaftlichen Verständnisses kritisiert worden, weil er eine drogenartige Abhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften von dem billigen Geld nicht wahrhaben wollte. Und was sagt er nun, laut verlinktem Artikel? Das man „bei Drogenabhängigen behutsam rausgehen müsse“.
Schimmert da etwa Lernfähigkeit durch?
Berliner Morgenpost (10. April): „Maaßen räumt Fehleinschätzung zu Islamischen Staat ein.“
Das muss wirklich erstaunen – und Sorgen bereiten. Landauf landab erklärten deutsche Politiker und Spitzenbeamte nach den zweiten Pariser Anschlägen im November 2015, dass mit den damals völlig unregistriert und unkontrolliert zuströmenden Flüchtlingen keinesfalls Terroristen ins Land kämen. Ein Landesinnenminister meinte seinerzeit gar, dass diese sich einen solche mühsamen Weg nicht zumuten und daher den Jet nehmen würden. Woher man diese Erkenntnis habe, wurde gegenüber dem zweifelnden Michel nicht kundgetan.
Mittlerweile ist klar: Bei den beiden Anschlägen in Paris und Brüssel waren Terroristen beteiligt, die als Flüchtlinge getarnt eingereist sind.
Warnende Stimmen gab es schon zuvor genug. Selbst Kassandra schrieb bereits im Oktober 2014, also bereits über ein Jahr vor den zweiten Pariser Anschlägen und anderthalb Jahre vor der jetzigen Erkenntnis des Verfassungsschutzpräsidenten, unter Bezug auf einen FAZ-Artikel zu der Gefahr, dass der IS die Flüchtlingsströme zum Einsickern nutzen könnte:
Dass Herrn Maaßen als Präsident des deutschen Verfassungsschutzes diese Erkenntnis nun mit reichlich Verspätung kommt, nämlich mehrere Terroranschläge und fast 200 Tote später, belegt den zweiten Teil der damaligen Aussage, nämlich dass die deutschen Behörden denkbar schlecht auf die Terrorgefahr vorbereitet sind.
Laut Beitrag hat Maaßen nun eingeräumt:
„Was den IS angeht, müssen wir eben auch dazulernen. Obwohl er es nicht nötig hätte, seine Leute unter die Flüchtlinge zu mischen, hat er es getan. Ich nenne das eine ’show of force‘.“
Dass Maaßen hier auch noch mit pseudo-militärischem Neusprech punkten will („Show of Force“), macht die Sache nicht besser (abgesehen davon, dass der Begriff im militärischen Sinne etwas anderes meint). Und dass der Präsident des deutschen Inlandsgeheimdienstes ernsthaft glaubt, es sei für den IS eine Machtdemonstration, wenn dieser, der in- und außerhalb seines Herrschaftsgebietes permanent schwerste und verbrecherischste Terrorakte begeht (Flugzeugabsturz über dem Sinai, Bombenanschläge in Riad und Istanbul etc.), ein paar seiner Leute über eine Balkanroute schickt, die zuvor schon Hunderttausende Menschen bewältigt haben, macht wohl endgültig klar, dass Deutschland für die kommenden Herausforderungen falsch aufgestellt ist.
FAZ (1. April): „Böhmermann schmäht Erdogan – Dümmer als das Presserecht erlaubt.“
Über die geostrategische Sackgasse, in welche die Erdogan-Administration die Türkei führt, ist an dieser Stelle schon vielfach geunkt worden.
Dem Selbstvertrauen des Staatspräsidenten kann dies offenbar nichts anhaben – oder gerade doch? Wie dem auch sei, in Deutschland jedenfalls gilt Jan Böhmermann vielen bereits als aufrechter Kämpfer für die Meinungsfreiheit. Andere – und dazu zählt Kassandra – halten ihn eher für einen schlank an den Mainstream angepassten Komiker, der im Staatsfunk die Grenzen der Political Correctness regelmäßig gerade soweit überschreitet, wies es ungefährlich ist, und der sich nun, als er versucht hat, sich an die Spitze Trends der (an sich berechtigten) Kritik an der Türkei zu setzen, sich schlicht völlig vergaloppiert hat. Die zutiefst obszöne Primitivität seines Vorgehens muss dabei gar nicht mehr kommentiert werden.
Für wes Geistes Kind die Frankfurter Allgemeine Böhmermann hält, hat sie schon am Tag unmittelbar nach dem verunglückten Auftritt im ZDF unmissverständlich klargestellt; und das in einer Sprache, die diese Zeitung nur in Härtefällen wählt – Zitat aus dem verlinkten Beitrag:
„So doof muss man erst einmal sein. Und so doof ist Jan Böhmermann wirklich.“
Wie geht es nun weiter? Böhmermann wird von der deutschen Justiz ein Verfahren erhalten, er wird zu einer Geldstrafe verurteilt werden, und anschließend darf er sich in Kreisen der deutschen Medien- und Polit-Schickeria für immer im Ruhm des vorgeblich Aufrechten sonnen. Doch Obacht: Ob der Arm der türkischen Justiz lang ist, ist zwar unklar. Ihr Gedächtnis dürfte es aber sein. Insofern sei dem ulkigen Herrn Böhmermann geraten, in den nächsten Jahren bei seinen Reiseplanungen mit Bedacht vorzugehen. Und gegebenenfalls zu prüfen, welche Staaten Auslieferungsabkommen mit der Türkei haben.
Abseits dessen stellt sich eine viel wichtigere Frage, die offenbar in keinem deutschen Medium gestellt wird: Nach den umjubelten Auftritten Erdogans in der türkischen Community in Deutschland in den letzten Jahren, nach dem unklugen Türkei-Deal von Angela Merkel, der diese türkische Community in Deutschland weiter vergrößern dürfte, und jetzt nach der Causa Böhmermann: Wird die Erdogan-Administration nun zunehmend Geschmack daran finden, Einfluss auf die deutsche Innenpolitik zu nehmen? Und wird sie zu diesem Zweck beizeiten eine Deutschland-Sektion ihrer national-islamistischen AKP gründen, die zweifelsohne umgehend in fast alle deutschen Parlamente einziehen dürfte (die 5-%-Hürde gilt für Minderheiten ohnehin nicht)?
Das einzige Rätsel ist, warum sie es nicht schon längst getan hat.