Als die Mobilitätsrichtlinie in deutsches Recht umgesetzt wurde, wollte das BMAS en passant auch den Paragrafen 16 für regulierte Pensionskassen rückwirkend entschärfen. Dem ist ein Arbeitsgericht nun nicht gefolgt.
Zunächst zur Erinnerung: In diversen Entscheidungen vom 30. September 2014 (3 AZR 613-620/12) hatte das BAG bei einer Pensionskassenversorgung trotz der Escape-Klausel des Paragrafen 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG eine Anpassungsprüfungspflicht nach Paragraf 16 Abs. 1 BetrAVG bejaht, wenn eine regulierte Pensionskasse einen von Paragraf 65 Abs. 1 Nr. 1a VAG abweichenden höheren Zinssatz verwendet hat. Der Dritte Senat hat sich seinerzeit offenbar eng am Gesetzestext, das heißt an dem in seiner Pathogenese offenbar recht unklaren letzten Halbsatz des besagten Absatzes 3 Nr. 2 orientiert, der da lautet:
„…und zur Berechnung der garantierten Leistung der nach § 65 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a des Versicherungsaufsichtsgesetzes festgesetzte Höchstzinssatz zur Berechnung der Deckungsrückstellung nicht überschritten wird…“
Darüber hinaus hatte das BAG entschieden, dass die Anpassungsprüfung bei allen Pensionskassenzusagen, die vor Inkrafttreten der Deckungsrückstellungsverordnung am 16. Mai 1996 erteilt worden sind, zwingend nach Paragraf 16 Abs. 1 BetrAVG durchzuführen ist.
Schon vor diesen Entscheidungen hatte das BMAS den Handlungsbedarf erkannt. Bereits auf der aba-Herbsttagung am 26. September 2013 in Berlin hatte der damalige Leiter der Abteilung Sozialversicherung und Alterssicherung im BMAS, Christian Luft, erklärt, dass es sich im Zuge der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie anböte, weitere Anpassungen im Betriebsrentengesetz vorzunehmen. Ausdrücklich hatte sich der Ministerialdirektor auf die offene Frage der Betriebsrentenanpassungen bei regulierten Pensionskassen gemäß Paragraf 16 bezogen.
Im März 2015, also rund ein halbes Jahr nach den besagten BAG-Urteilen, kündigte Peter Görgen, Referatsleiter „Zusätzliche Altersversorgung“ im BMAS, gegenüber LEITERbAV an, dass die im Zuge der Umsetzung der Mob-RL anstehende Neuregelung des 16er auch für Altzusagen gelten solle.
Dies ist dann wie angekündigt erfolgt. Bei Verabschiedung des Gesetzes wurde nicht nur der Halbsatz gestrichen, sondern in der Gesetzesbegründung ausdrücklich festgehalten:
„In diesem Fall entfällt somit die Anpassungsprüfungspflicht ausnahmslos für alle bestehenden und künftigen Zusagen, die über eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung durchgeführt werden.“
Erstinstanzlicher Gegenwind aus dem Ruhrgebiet
Nun hat jedoch mit erstinstanzlichem Urteil vom 12. Januar 2016 (Az.: 5 Ca 1061/15) das Arbeitsgericht Gelsenkirchen entschieden, dass besagte Gesetzesänderung nur bei künftigen Anpassungsstichtagen Anwendung findet und keine Auswirkungen auf die in der Vergangenheit unterlassen Prüfungen hat. Eine vergangenheitsbezogene Auslegung der entsprechenden Gesetzesänderung verstoße nach Ansicht des Gerichts gegen das Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen nach Artikel 20 Abs.3 des Grundgesetzes.
Arbeitgeber bleiben in der Haftung
So schreibt das Gericht in seinem Urteil (von der Redaktion gestrafft):
„§ 16 Abs.3 Nr.2 BetrAVG in der Fassung des Art.1 Nr.7 des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie vom 21.12.2015 ist auf die Prüfungstermine bis einschließlich 1.7.2015 nicht anzuwenden. Eine vergangenheitsbezogene Auslegung von Art.4 des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie verstieße gegen das Verbot der echten Rückwirkung von Gesetzen nach Art.20 Abs.3 GG.
Der Wortlaut des Art.4 des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie spricht eindeutig von einem Inkrafttreten zum Zeitpunkt der Verkündung. Eine hinreichend bestimmte zeitlich rückwirkende Anwendung regelt Art.4 nicht.
Grundsätzlich sind Gesetzesänderungen zukunftsgerichtet.
Die Anpassungsprüfungspflicht entfällt erst mit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung ebenso wie eine mit einer erweiterten Anpassungsprüfung verbundene Anspruchserhöhung frühestens mit dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung entsteht. Eine vergangenheitsbezogene Geltung der Gesetzesänderung bedürfte nach dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot einer konkreten Übergangsregelung.
Ein Entfall der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG in der Fassung des Art.1 Nr.7 des Gesetzes zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie vom 21.12.2015 würde zu einer echten Rückwirkung von Gesetzen führen, die dem Vertrauensschutz der Betriebsrentner zuwider liefe.
[…]
Eine echte Rückwirkung ist nur zulässig, wenn mit der Neuregelung für den betroffenen Zeitraum zu rechnen war, die bisherige Rechtslage unklar und verworren war, so dass kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen konnte, die Neuregelung lediglich zu ganz geringfügigen Beeinträchtigungen führt und zwingende Gründe des Gemeinwohls dem Gebot der Rechtssicherheit ausnahmsweise übergeordnet sind.“
Alle Wege führen nach Erfurt
Für Uwe Langohr Plato, Rechtsanwalt in Köln und Associate Partner bei Ries Corporate Solutions kommt das Urteil nicht überraschend. Gegenüber LEITERbAV erklärte er: „Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, wird die Frage der Rückwirkung sicherlich noch die Instanzen beschäftigen. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Rechtsfrage wird eine endgültige Klärung wohl erst durch ein entsprechendes BAG-Urteil erfolgen.“
Bis dahin bleibe das Risiko, dass Arbeitgeber trotz Wahl des Durchführungsweges Pensionskasse für vergangene Anpassungsstichtage in der Haftung für eine inflationsbedingte beziehungsweise an der Nettolohnentwicklung orientierte Rentenanpassung bleiben. Fazit Langohr-Platos: „Die Bombe tickt weiter.“
Auch LbAV hatte bei der Vorlage des seinerzeitigen Referentenentwurfes bereits geunkt: „Ob damit volle Rückwirkung erzielt wird, könnte, falls sich Kläger finden, am Ende wohl der Dritte Senat zu entscheiden haben.“
Michael Ries, Geschäftsführer Ries Corporate Solutions, betont gegenüber LbAV einen weiteren Aspekt der Problematik: „Selbst wenn die Gesetzesänderung Rückwirkung entfalten würde, wäre dieses nur bis zur Einführung des Höchstrechnungszinses, also bis 1994 der Fall. Für Pensionskassenzusagen vor diesem Zeitpunkt gilt ohnehin die Anpassungsprüfungspflicht.“
Der 16er ist immer wieder Gegenstand auch höchstrichterlicher Entscheidungen, mehrfach schon ging es um die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers (siehe hier und hier), aber auch um die Fristen der Zustellung einer Forderung nach Anpassung, die der Arbeitnehmer beachten muss.