… unter europäischen Vorzeichen. Nicht nur in Sachen Pensionskassen-Insolvenzschutz, sondern auch in der Frage der Betriebsrenten bei Verkauf eines Unternehmens während des Insolvenzverfahren hatte das Bundesarbeitsgericht die nationale Rechtssprechung am EU-Recht prüfen lassen – und will das Ergebnis nun heute in insgesamt 23 Verfahren umsetzen. Droht eine neue gesetzgeberische Baustelle?
Das Spannungsverhältnis bAV / Insolvenz ist bekanntlich ohnehin ein kompliziertes, und darüber hinaus wird es nun erneut unter europäischem Einfluss weiterentwickelt: Heute streiten zwei Parteien in Erfurt über Betriebsrentenansprüche nach einem Betriebsübergang während der Insolvenz des Arbeitgebers. Nicht ganz alltäglich: Vor dem BAG sind beide Parteien in Revision. Doch der Reihe nach.
Zunächst die technischen Einzelheiten des Falles 3 AZR 139/17, wie der Dritte Senat sie schildert:

„Der Kläger war zunächst bei der T. GmbH beschäftigt. Dort galt eine Versorgungsordnung in Form einer Gesamtbetriebsvereinbarung, in der den Arbeitnehmern u.a. eine betriebliche Altersrente zugesagt wurde.
Diese errechnet sich nach jährlichen Steigerungsbeträgen einerseits und dem Endgehalt vor Eintritt in den Ruhestand andererseits. In der Folgezeit ging das Arbeitsverhältnis auf die spätere Insolvenzschuldnerin über. Über deren Vermögen wurde am 1. März 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Im April 2009 veräußerte der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb an die Beklagte.“
Volle Berechnung – volle Haftung?
Der Kläger vertritt nun die Auffassung, die Beklagte habe ihm eine Betriebsrente zu gewähren, bei deren Berechnung auch die vor der Insolvenz zurückgelegten Beschäftigungsjahre voll wertsteigernd anzusetzen seien – abzüglich der Beträge, die wegen der Insolvenz der Insolvenzschuldnerin der PSV trage. Die Beklagte hält dem entgegengehalten, sie hafte nur zeitratierlich für die Zeiten seit Insolvenzeröffnung.
Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, das LAG Düsseldorf ihr mit Urteil vom 20. Januar 2017 – 6 Sa 582/16 – teilweise stattgegeben. Hiergegen richten sich die von beiden Parteien im Umfang ihres jeweiligen Unterliegens eingelegten Revisionen.
Doch mit dem Gang nach Erfurt erhielt der Fall europäische Dimension.
Von Erfurt nach Luxemburg …
Der Dritte Senat hatte in dem Fall schon im Oktober 2018 den EuGH um Auslegung von Unionsrecht angerufen.
Denn: Nach bisheriger nationaler Rechtsprechung sei § 613a Abs. 1 BGB für die Haftung des Betriebserwerbers bei einem Betriebsübergang während eines Insolvenzverfahrens hinsichtlich der VOR der Insolvenzeröffnung entstandenen bAV-Anwartschaften einzuschränken. Damit wäre der Fall nach deutscher Rechtsprechung wohl klar gewesen – und die Kläger chancenlos.

Aber das BAG fasste einen anderen Beschluss: Streitentscheidend sei, ob diese Auslegung des nationalen Rechts mit Art. 3 Abs. 4 bzw. Art. 5 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2001/23/EG und ggf. mit Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vereinbar sei (letztere ist die Klausel, um die es auch auch schon in der Frage des ausreichenden Insolvenzschutzes bei PK-Versorgungen ging), erkannte der Dritte Senat, und gab die Sache nach Luxemburg. Dort wurde im vergangenen Herbst Recht gesprochen.
… und zurück
Mit Urteil vom 9. September 2020 (verbundene Rechtssachen – C-674/18 – und – C-675/18) hatte der EuGH entschieden, dass § 613a BGB in seiner Auslegung durch deutsche Rechtsprechung der Richtlinie 2001/23/EG nicht entgegensteht, sofern hinsichtlich des Teils des Betrags, für den der Erwerber nicht haftet, der Arbeitnehmer ein Schutzniveau hat, das dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG geforderten Schutzniveau zumindest gleichwertig ist.
Soll heißen: Der in Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG vorgesehene Mindestschutz darf den Arbeitnehmern durch § 613a BGB nicht verwehrt werden (wie schon analog bei der seinerzeitigen PK-Frage). Ob dies der Fall ist, haben – so der EuGH – die nationalen Gerichte selbst zu prüfen. Weiter erkannte der EuGH, dass Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG unter bestimmten, ebenfalls vom vorlegenden Gericht zu prüfenden Voraussetzungen unmittelbare Wirkung entfalten kann, erläutert das BAG.
Der Dritte Senat wird heute nun über die Revisionen der Parteien entscheiden – und verhandelt am gleichen Tag 22 weitere, im Wesentlichen gleichgelagerte Fälle.
Was gilt bei Verfallbarkeit?
Bei einigen Verfahren – insb. dem Verfahren 3 AZR 878/16, das Gegenstand des Vorlageverfahrens C-674/18 war – besteht die Besonderheit, dass die Kläger vor dem Betriebsübergang noch keine unverfallbaren Anwartschaften erworben hatten, die wegen der Insolvenz vom PSV zu tragen wären.

Die komplizierte Großbaustelle Insolvenzschutz von Pensionskassenzusagen hatte die Bundesregierung seinerzeit bekanntlich schon zeitig vor der diesbezüglichen EuGH-Entscheidung aufgemacht und konnte daher damals schnell handeln. Doch je nachdem, wie Erfurt nun die Auffassung des EuGH umsetzt, könnte dem Gesetzgeber nun drohen, den gesamten Themenkomplex Insolvenzschutz von Betriebsrenten schon nach kurzer Atempause erneut anfassen zu müssen.