Hört man sich auf dem Parkett um, gibt es viele Befürworter des BMAS-Vorstoßes zu tariflichen bAV-Einrichtungen, doch dürften die Skeptiker in der satten Mehrheit sein. Joachim Schwind, Chef der Höchster Penka, erläuterte jüngst in Berlin seine Sicht auf die Dinge.
Sollte auf Basis eines neuen Paragrafen 17b die Förderung von tarifvertraglich geregelter Altersversorgung tatsächlich Wirklichkeit werden, dann muss das „keinen Paradigmenwechsel“ für die bAV bedeuten. So sieht es jedenfalls Joachim Schwind, Vorstandsvorsitzender der Pensionskasse der Mitarbeiter der Hoechst-Gruppe VVaG. Im Gegenteil, „das ist meines Erachtens eher eine konsequente Weiterentwicklung der bereits in 2002 eingeleiteten Reform und dem als Ausgleich für das Absinken der gesetzlichen Rente von der Politik angestrebten Ausbaus der kapitalgedeckten Zusatzabsicherung. Und diese sollte vorzugsweise über die effizienten Systeme der bAV erfolgen“, sagte Schwind letzte Woche auf der „16. Handelsblatt Jahrestagung bAV“ in Berlin.
Das neue Konzept sei auch nicht notwendigerweise mit der Einführung eines neuen Durchführungsweges verbunden, sondern sehe eine Verlagerung der Einstandspflichten des Arbeitgebers auf die Einrichtung vor. Dabei zeigte Schwind sich in seinem Vortrag allerdings gespannt, ob das BMAS an den entscheidenden Wegkreuzungen „den Blinker richtig setzen werde“. Sehe das neue Modell zwingend die Gründung von tarifvertraglichen Einrichtungen vor, oder können die Tarifvertragsparteien bereits bestehende Einrichtungen zur Umsetzung nutzen? Konsequenter sei es, wenn die neue Regelung für alle bAV-Durchführungswege geöffnet würde, soweit diese auf Grundlage von tarifvertraglichen Regelungen erbracht werde. „Sonst droht sowohl eine Beschädigung der bestehenden EbAV als auch der bereits bestehenden erfolgreichen tarifvertraglichen bAV-Modelle“, so Schwind zu dem Parkett. Solche möglichen negativen Auswirkungen gelte es auf jeden Fall durch eine entsprechende Weiterentwicklung des vom BMAS vorgestellten Modells zu verhindern.
Zudem müssten laut Schwind weitere wichtige operative Fragen im Vorfeld eines Gesetzgebungsverfahrens abgeklärt werden, zum Beispiel, ob eine Insolvenzsicherung für eine Einrichtung tatsächlich über den PSV organisiert werden könne. Sollte sich dies, aus welchen Gründen auch immer, nicht realisieren lassen, entfalle einer der wichtigsten Bausteine für das neue Konzept, und man müsste über neue Konzepte in Richtung Einlagensicherung nachdenken.
Doppelverbeitragung und Grundsicherung
Wie viele andere Fachleute fordert auch Schwind eine parallele Verbesserung der bAV-Rahmenbedingungen. Dazu gehören insbesondere die leidige Frage der Doppelverbeitragung der Betriebsrenten und die Anrechnung auf die Grundsicherung, die seitens des Gesetzgebers aufgegriffen werden müsste. Auch sollte der Dotierungsrahmen des Paragrafen 3 Nr. 63 EStG im Hinblick auf den gestiegenen Finanzierungsbedarf deutlich erhöht und dadurch insbesondere der Arbeitgeberfinanzierung mehr Raum gegeben werden. Die Notwendigkeit hierfür sei unter Fachleuten genauso wenig umstritten wie deren positive Auswirkung auf die politisch gewünschte Stärkung der bAV. Insofern sei noch einiges zu tun, was sowohl der Verbreitung in der Fläche als auch der Versorgungshöhe der bAV helfen könne.
Reiches Deutschland – wenig Rente
Schwind ging sodann kritisch auf die künftige Situation der Altersversicherung ein. So werde Deutschland als reiches Land wahrgenommen, was im Vergleich zu den europäischen Nachbarn nicht so allgemein zutreffe. Besonders in der Altersversorgung gebe es noch vieles zu tun. Er belegte seine Aussage mit nachvollziehbaren Rechenbeispielen. Je nach dem angestrebten Ziel-Versorgungsniveau müssten die bAV-Anwartschaften durchschnittlich erheblich höhere Werte als heute erreichen, um die sich auftuenden Versorgungslücken in der gesetzlichen Rentenversicherung ausgleichen zu können. Andere Länder verfügten dagegen bereits heute über einen besseren Mix in Sachen der Alterssicherung. Beispielsweise mache die staatliche Rente in den Niederlanden ungefähr die Hälfte der Altersbezüge aus. Die Betriebsrenten hätten einen Anteil von 40 Prozent, die private Vorsorge von 10 Prozent – Werte, von denen Deutschland meilenweit entfernt ist. Zur Erreichung des von der Politik angestrebten Ziels der Vermeidung von Altersarmut seien daher noch erhebliche zusätzliche Anstrengungen erforderlich. Die Politik müsse hierfür dringend die notwendigen Signale setzen.
Zins macht allen Durchführungswegen zu schaffen
Schwind machte auch deutlich, dass die Niedrigzinsphase nicht nur die versicherungsförmigen Durchführungswege betreffe. Auch die innenfinanzierten Durchführungswege, wie die Direktzusagen, geraten unter Druck. Durch die Absenkung des Diskontierungszinssatzes hätten sich die Finanzierungslasten der Arbeitgeber spürbar verteuert. Auf Grund der Niedrigzinsphase habe sich daher in allen Durchführungswegen der Finanzierungsbedarf deutlich erhöht, wenn ein vergleichbares Versorgungsniveau wie in der Vergangenheit erzielt werden soll. Die Politik habe hierauf bislang überhaupt noch nicht reagiert, werde aber auf Grund der sich abzeichnenden tatsächlichen Entwicklungen Antworten finden müssen. Anders als viele Experten am Tag zuvor, ist Schwind aber der Meinung, dass die Zukunft der bAV nicht in einer vollkommenen Verlagerung aller Risiken auf die Arbeitnehmer liegen könne. Richtig sei vielmehr eine Diskussion über eine sachgerechte Ausgestaltung einer angemessenen Risikoverteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Regulierung ante portas
Auf der Tagung gab Schwind auch einen Überblick über die schiere Quantität der gegenwärtigen europäischen und internationalen europäischen Regulierungsvorhaben, die aus Sicht der bAV im Auge zu behalten sind (beziehungsweise frisch in Kraft getreten sind), als da wären:
– Richtlinienentwurf IORP-II-RL zur Geschäftstätigkeiten von EbAV in der EU.
– Studie Track and Trace your Pensions in Europe (TTYPE), Vorschlag eines europaweiten Renten/Pensions-Informationssystem.
– Praxisstudie Transferability of supplementary pension rights zur Übertragbarkeit von Pensionsansprüchen innerhalb der EU.
– Studie Personal Pension Products (PPPs), Vorschläge für einen gemeinsamen europäischen Markt für Pensionsprodukte.
– Richtlinienentwurf Finanztransaktionssteuer (FTT) in 11 Mitgliedstaaten.
– Credit Rating Agency Regulation (CRA) III, Überarbeitung der EU-Ratingverordnung für Versicherungsunternehmen (bereits in Kraft).
– Portabilitätsrichtlinie (bereits in Kraft, steht vor der nationalen Umsetzung).
– Guidelines on the use of the Legal Entity Identifier (LEI), Identifizierung der an globalen Finanzmärkten teilnehmenden Unternehmen (bereits in Kraft).
– SEPA-Verordnung (EU-Verordnung 260/2012) zur Umstellung des Zahlungsverkehr (bereits in Kraft).