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Zwei Studien zur Altersvorsorge der Deutschen:

Zwischen Einmalzahlung und impliziter Katastrophe

Die Quintessenzen zweier Studien erreichen die LbAV-Redaktion heute morgen: Zum einen untersuchte ein Consultant, welche Auszahlungsoptionen die Arbeitnehmer in der bAV bevorzugen und wie weit verbreitet das Outside Funding durch die Arbeitgeber ist. Die andere beschäftigte sich mit der gesetzlichen Rente. Und dort tun sich die üblichen Abgründe auf.

 

Risiken und Liquidität einer bAV für die Arbeitgeber lassen sich auch durch flexible Auszahlungsformen steuern – das ist bekannt. Allerdings werden offenbar diese Möglichkeiten von Unternehmen bisher meist nicht voll genutzt. Jedenfalls seien in den Versorgungsplänen vieler Unternehmen lebenslange Rentenzahlungen für Arbeitnehmer immer noch die Standardlösung. Das hat eine aktuelle Studie der Aon ergeben.

 

Dabei sind Mitarbeiter auch offen für andere Auszahlungsformen, hat der Consultant ermittelt. Sofern sie die Wahl zwischen Einmalkapitalzahlung und lebenslanger Rente haben, werden beide Alternativen etwa gleich oft gewählt – mit leichter Präferenz für die Zahlung eines Einmalkapitals (52 zu 48%). Wird neben der Rente eine Ratenzahlung angeboten, bevorzugen sie die Raten (56 zu 44%).

 

Aber: Die einmalige Kapitalauszahlung (43%) ist auch der Favorit, wenn daneben Rente (29%) und Raten (28%) zur Wahl stehen. Übrigens habe Covid-19 bislang nicht dazu geführt, dass von den Mitarbeitern andere Auszahlungsformen bevorzugt werden oder die Unternehmen ihre bAV-Angebote hinsichtlich der Auszahlung ändern, so Aon:

Quelle: Aon. Grafik zur Volldarstellung anklicken.

 

Allerdings nutzen Unternehmen laut Aon die Auszahlungsformen der bAV primär dafür, um den Mitarbeitern eine flexible und marktgerechte Versorgung anzubieten und offenbar weniger, um Gestaltungsoptionen zu nutzen, die für Unternehmen gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten interessant wären.

 

Stephanie Zelosko, Aon.

Unternehmen können die verschiedenen Auszahlungsformen der bAV als konkrete Steuerungselemente nutzen”, erläutert Stephanie Zelosko, Senior Consultant bei Aon, „nicht nur in Bezug auf eine nachhaltige HR-Strategie, sondern auch im Hinblick auf ein optimiertes Kosten- und Risikomanagement.“ Die einmalige Kapitalzahlung sei für Unternehmen beispielsweise deutlich weniger aufwendig als die lebenslange Rentenzahlung, während unterschiedliche Auszahlungsoptionen Versorgungspläne komplexer und schwerer planbar machen. „Hier kommt es auf einen gesunden Mix an”, so Zelosko.

 

Interessant auch eine Größenordnung zum Outside Funding, welche die Studie (für die 46 Unternehmen unterschiedlicher Größe befragt wurden), zu Tage förderte – nämlich dass die Mehrheit der Unternehmen in der Direktzusage auf Innenfinanzierung und künftigen Cash-Flow setzt statt auf Plan Assets, um Betriebsrenten zu finanzieren. Nur 38% der befragten Unternehmen legen gesondertes Kapital für ihre Versorgungspläne an.

 

Kassandrisches aus Freiburg

 

In der gesetzlichen Rente stellt sich die Frage nach der Auszahlungsoption bekanntlich nicht. Dafür sind die Herausforderungen andere – und keine kleinen:

 

So werden die mit der Corona-Pandemie verbundenen Kosten der Eindämmungsmaßnahmen die bereits heute absehbaren Probleme der gRV deutlich verschärfen. Das ist das Fazit einer Analyse von Prof. Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, im Auftrag von Union Investment.

 

Ursächlich dafür sei zum einen die stark steigende Nachhaltigkeitslücke der gRV, die zu einer massiven Unterdeckung führen werde; zum anderen die implizite Staatsverschuldung Deutschlands, die aufgrund der Krisenbekämpfung auf rund 357 Prozent des BIP angewachsen ist und durch die der Staat die Steuerzuschüsse zur gRV zurückfahren muss. Aus Sicht Raffelhüschens werde der Politik daher nichts anderes übrig bleiben als die Rentenbeiträge auf 20 Prozent des Bruttogehaltes zu deckeln und das Rentenniveau auf unter 40 Prozent des letzten Einkommens absinken zu lassen.

 

Die Corona-Pandemie verschärfe dabei deutlich die bestehenden Probleme des deutschen Rentensystems, die sich zuvor schon aufgrund politischer Entscheidungen der vergangenen Jahre zugespitzt hätten. So bestand bei der GRV schon vor der Corona-Pandemie eine Nachhaltigkeitslücke von 2,6 Billionen Euro. In Folge der Corona-Lockdowns werde sie sich schätzungsweise auf rund 3 Billionen Euro vergrößern, so Raffelhüschen. Dieser drastische Anstieg resultiere daraus, dass die Durchschnittseinkommen aufgrund des Wirtschaftsrückgangs und in Folge auch die staatlichen Renteneinnahmen aller Wahrscheinlichkeit nach sinken werden, die Höhe der Rentenzahlungen aufgrund der gesetzlichen Vorgaben jedoch gleich bleiben muss. „Zahlen muss dies die zukünftige Generation“, warnt Raffelhüschen.

 

Schuldenstand bei 357 Prozent des BIP

 

Parallel dazu werde der Bund in den kommenden Jahren keinen großen Handlungsspielraum mehr haben, um die zusätzlichen Belastungen der gRV durch weitere Steuerzuschüsse aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren – vor allem durch einen extrem gestiegenen impliziten Anteil an Verpflichtungen:

 

Unmittelbar vor der Corona-Pandemie lag die durch Schuldverschreibungen verbriefte Staatsschuld bei 59,8 Prozent des BIP. Durch die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen werde diese im Jahr 2020 auf rund 80 Prozent ansteigen, rechnet Raffelhüschen vor, und in den Folgejahren seien weitere Defizite zu erwarten. Spätestens, wenn die massiv steigenden Beamtenversorgungslasten wirksam werden, dürften sich die im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen auf mehr als 100 Prozent des BIP addieren, so der Wissenschaftler.

 

Dazu komme jedoch noch die implizite Staatsverschuldung, verursacht durch die absehbaren Finanzierungslücken in der Kranken-, Pflege, Arbeitslosenversicherung, der Gebietskörperschaften sowie der Beamtenversorgung. Die gesamte Nachhaltigkeitslücke für das Jahr 2020 liege dadurch nicht mehr bei 236 Prozent des BIP, sondern summiere sich durch die staatlichen Corona-Maßnahmen auf mittlerweile 357 Prozent.

 

Somit werde aktuell weniger als ein Fünftel der tatsächlichen Verschuldung offiziell ausgewiesen – über vier Fünftel, 285 Prozent des BIP, schlummerten als fehlende Rückstellungen des Sozialstaats im Verborgenen. „Kommt es zu keiner Revision der Leistungshöhen von Beamtenpensionen, Kranken- und Pflegeversorgungen oder Rentenzahlungen, werden Stück für Stück die unsichtbaren Staatsschulden sichtbar und belasten die öffentlichen Haushalte massiv“, betont Raffelhüschen.

 

Vorsorgelücke von 20 bis 40 Prozent ante protas

 

Bernd Raffelhüeschen, Universität Freiburg.

Aufgrund der wachsenden Nachhaltigkeitslücke in der gRV und den sinkenden staatlichen Steuerzuschüssen werden die Rentenbeiträge über kurz oder lang auf ein Fünftel des Bruttogehaltes gedeckelt werden müssen“, so die Einschätzung des Freiburger Rentenexperten. Dadurch sinke das Rentenniveau auf unter 40 Prozent. Um den Lebensstandard zu sichern, sei jedoch eine Ersatzquote von 60 bis 80 Prozent des letzten Bruttolohnes notwendig. Künftige Rentner würden somit eine Vorsorgelücke von 20 bis 40 Prozent erwarten. Im Klartext bedeute das: Die gRV könne die auf der Grundlage der Rentenreform 2001 getroffenen Versorgungsanforderungen nicht mehr erfüllen. Als Folge werde sie den Lebensstandard künftiger Rentner in dieser Form noch weniger sichern als bisher und die notwendigen Altersvorsorgeanstrengungen zur Lebensstandardsicherung steigen dadurch weiter an – und das in Zeiten niedriger Zinsen.

 

Der (erneute) Verweis Raffelhüschens auf die implizite Staatsverschuldung Deutschlands passt gut ins Bild, ist aber unter Fachleuten keine Neuigkeit, wenn auch viel zu selten thematisiert. Und dabei rechnet der Freiburger offenbar noch zurückhaltend. Schon Horst Köhler, gelernter Banker und weiland sicher aus guten Gründen zurückgetretener Bundespräsident, sagte bereits 2005, also Jahre vor dem Beginn der damaligen Finanzkrise, auf einer Veranstaltung der BDA:

 

Der aktuelle Schuldenstand (1,4 Billionen Euro) und die Anwartschaften in den Sozialversicherungen (5,7 Billionen Euro) belaufen sich auf insgesamt 7,1 Billionen Euro.“

 

Seit 2005 dürfte das ein oder andere Billiönchen dazugekommen sein.

 

Parallel dazu erklimmen die deutschen Sozialausgaben schon seit Jahren ungeahnte Höhen. Daher sei erneut daran erinnert, das dies die guten Zeiten für Deutschland sind: Rekordbeschäftigung, Rekordsteueraufkommen, rekordgünstige Refinanzierungsbedingungen, Rekordexportüberschüsse, Babyboomer noch in Arbeit et cetera. Wie soll es dann erst in den schlechten werden?

 

Was tun also? Strategisch ist für Deutschland wahrscheinlich gar nichts mehr möglich. Und symptomatisch? Laut Raffelhüschen werde es vor diesem Hintergrund immer dringlicher, die private Vorsorge in einem vernünftigen Rahmen weiterzuentwickeln. Stattdessen erschwere aber der Staat gerade die Bildung privaten Vorsorgevermögens bei breiten Bevölkerungsschichten durch die strengen Vorschriften bei der Allokation der Anlage- und Refinanzierungsstrukturen des Finanzsektors. In der Folge könnten viele Finanz- und Versicherungsunternehmen ihren Anlegern nur scheinbar sichere Anlagen anbieten, mit denen die Sparer jedoch kaum noch Rendite erzielen. In Kombination mit dem sinkenden Rentenniveau sei dies aber genau das falsche Signal.

 

Die Politik muss daher dringend handeln. Statt des Zwangs zur nicht verzinsten Staatsanleihe muss der Gesetzgeber die private Altersvorsorge reformieren und der Finanzindustrie die Freiheit zur Diversifikation eröffnen“, betont Raffelhüschen. Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment, ergänzt: „Wir werden bei den Zinsen in den nächsten Jahren keine Entspannung sehen. Daher ist es umso wichtiger und für unsere Volkswirtschaft zielführender, den Aufbau von Vorsorgevermögen für breite Bevölkerungsschichten über den Zugang zu den Kapitalmärkten zu erleichtern.“

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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