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Russische und andere Banken – der Fall VTB:

Pensionsgrüße aus Moskau

Ein Gerücht machte vor einigen Wochen die Runde: Für die deutsche Tochter der russischen VTB Bank soll zur Auslagerung ihrer Versorgungsverpflichtungen die Übernahme und Führung einer Rentnergesellschaft ausgeschrieben worden sein. Verschiedene Quellen, die nicht genannt werden wollen, haben dies zwischenzeitlich bestätigt. Was steckt dahinter? Jedenfalls ist es nicht die erste Rentnergesellschaft im deutschen Bankensektor. Und: Was ist eine Rentnergesellschaft Plus?

Was man weiss – und was nicht

Die direkt ermittelbaren Informationen sind schnell erzählt: Die VTB ist das zweitgrößte russische Kreditinstitut. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 wurde sie von der EU in die Gruppe der sanktionierten Unternehmen aufgenommen und gilt daher nicht mehr als zuverlässig im Sinne des Kreditwesengesetzes. Infolgedessen beschloss die Hauptversammlung der europäischen Tochter VTB Bank (Europe) SE mit Sitz in Frankfurt am Main im März 2023 ihre Liquidation.

Die Bank, nunmehr VTB Bank (Europe) SE i.L. befindet sich somit im Abwicklungsprozess. Als Sonderbeauftragter und CEO hat die BaFin Frank Hellwig bestellt, der bereits aus der Abwicklung der Wirecard Bank AG bekannt ist.

Die letzte öffentlich vorliegende Bilanz der VTB Bank (Europe) zum 31. Dezember 2021 weist Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen (nach HGB) von rund 35 Mio. Euro aus (zuzüglich einem kleinen Betrag, der auf die österreichische Zweigniederlassung entfällt). Bevor die vollständige Liquidation der Bank erfolgen kann, muss also die Erfüllung dieser Versorgungsverpflichtungen gesichert sein.

Dies erklärt die erwähnte Ausschreibung. Weitere Informationen als deren bloße Existenz sind nicht zu ermitteln. Die (möglichen) Beteiligten – Aufsicht, Politik, Anbieter, Sonderbeauftragter – sind jedenfalls bemerkenswert schweigsam. Wer die Ausschreibung gemacht hat, seit wann und wie lange sie noch läuft und ob die Ergebnisse bekannt gegeben werden – ganz zu schweigen von den inhaltlichen Details der Ausschreibung: Das ist der Redaktion (abgesehen von einigen unter 3, d.h. vertraulich, getätigten Aussagen, die auch unter 3 bleiben) nahezu unbekannt.

Ebenso unklar: Ob neben der Rentnergesellschaft weitere Möglichkeiten für die Sicherstellung der Pensionszusagen erwogen werden. Wie dem auch sei: Sofern hier nun eine konstruktive und nachhaltige Rentnergesellschaft aufgesetzt wird, belegt diese nicht nur die grundsätzliche Daseinsberechtigung, sondern stellt auch die Notwendigkeit des Exit-Konstrukts an sich unter Beweis.

Wer gerade steht– und wer es nicht tut

Sollte der Weg der Rentnergesellschaft verfolgt werden, stellt sich jedoch die Frage, wer während des zehnjährigen Nachhaftungszeitraums für die fälligen Rentenzahlungen haftet. Soviel sollte sicher sein: Russland wird dies nicht tun.

Martin Lätsch, PSVaG.

Der PSV aber auch nicht. Dieser tritt, so Martin Lätsch, Aktuar in der Mitgliederabteilung des PSV, nur dann ein, wenn eine Rentnergesellschaft insolvent ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Insolvenz dadurch (mit)ausgelöst wurde, dass der ehemalige Arbeitgeber im Rahmen der Nachhaftung nicht leisten kann (bzw. konnte). Allerdings prüft der PSV, ob es schadenmindernde Ansprüche gegenüber Dritten gibt, wozu auch Ansprüche aus der Nachhaftung gehören. Womit wir wieder bei Russland wären …

Jedoch: Die grundsätzliche Fragestellung ist nicht nur für diesen „russischen Sanktions-Fall“ von Bedeutung.

Ein bewegter Bankensektor und seine Versorgungswerke

Natürlich ist die VTB Bank ein Sonderfall. Doch ist der Vorgang Anlass genug zu fragen: Ist, unabhängig von diesem, die Rentnergesellschaft für den Bankensektor im Allgemeinen interessant? Immerhin reden wir hier über eine durchaus dynamische Branche, deren Unternehmen häufig über eine gute Kapitalausstattung verfügen und quasi immer Versorgungsverpflichtungen haben.

Hierzu gibt es unterschiedliche Stimmen. Gunnar Hasselmann beobachtet im Bankensektor durchaus eine gewisse Konsolidierung und Deal-Aktivitäten. Zudem kennt der für Pensions in Deals verantwortliche Partner bei PWC zahlreiche Banken, die sich operativ verkleinert haben und deren Bilanzen heute vergleichsweise hohe Pensionsverpflichtungen ausweisen oder die im Wesentlichen nur noch ihre bAV-Verpflichtungen bedienen.

Klar ist: Praktisch überall, wo größere M&A-Transaktionen stattfinden, stellt sich die Frage des Umgangs mit dem Pensionswesen: mit Zusagen, Verpflichtungen, Rückstellungen und Planvermögen. Das gilt namentlich für den Bankensektor.

Schließlich haben die meisten Banken (neben Zusagen über die Pensionskasse oder die Unterstützungskasse des BVV) auch Direktzusagen in der Bilanz, zumindest gegenüber ehemaligen Mitarbeitern. Diesbezüglich werden in der Regel die üblichen Alternativen Pensionsfonds, CTA und Rentnergesellschaft diskutiert. „Allerdings“, betont Hasselmann, „geht die Rentnergesellschaft – zumindest in der derzeitigen Zinssituation – regelmäßig zu Lasten des Eigenkapitals“. Daher herrsche gegenüber der Rentnergesellschaft im Bankenbereich eine gewisse Skepsis. Denn: Das Eigenkapital bildet den Ausgangspunkt für die Ermittlung des regulatorischen Eigenkapitals. Gleichwohl wächst nach seiner Beobachtung das Interesse an der Rentnergesellschaft auch bei den Banken, ist dies doch der einzige Weg, sich von Pensionslasten endgültig zu befreien.

Lars Hinrichs, Deloitte.

Lars Hinrichs bestätigt die bisherigen Zurückhaltung gegenüber der Rentnergesellschaft in dem Bankensektor. Gleichzeitig sieht der Deloitte Legal-Partner in einzelnen Sonderfällen von Privatbanken hier wiederum ein konkretes Interesse.

Thomas Bloch, Geschäftsführer der Deutsche Betriebsrenten Holding, sieht allgemein einen größeren Fokus auf die Rentnergesellschaft und den Bankensektor als einen der Sektoren, aus denen das Thema Pension De-Risking im Wege der Rentnergesellschaft regelmäßig angefragt wird. Neben Sondersituationen spielt dabei die Steuerung der aufsichtsrechtlichen Eigenmittel eine entscheidende Rolle. Magnus Schmagold, Geschäftsführer von Funding Solutions Deutschland (FSD) betont: „Das Transaktionsvolumen in Richtung Rentnergesellschaft hat deutlich angezogen, auch im Bankenbereich.“ Einen Grund sieht er in der immer weiter zunehmenden Regulatorik. „Aber auch bilanzielle Aspekte spielen hier eine Rolle – insbesondere bei einer Fortführung des Geschäftes.“

Berliner Blick zum ersten: Wenig Bewegung

Thomas Bloch, DBR.

Den besten Überblick sollte doch aber der BVV haben. Mirko Buchwald, Leiter Firmenkunden beim BVV und Geschäftsführer der betavo GmbH, bestätigt eher die zurückhaltenden Stimmen. Er kann derzeit jedenfalls keine verstärkten Umstrukturierungs- oder Transaktionsaktivitäten im Bankensektor erkennen. „Rund um die Finanzkrise gab es deutlich größere Bewegungen im Markt – man denke nur an Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank oder die Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank. Verglichen damit herrscht heute hier eher Ruhe,“ Buchwald weiter. Auch spielt aus seiner Sicht die Rentnergesellschaft für Banken derzeit keine große Rolle. „Eine Bank lebt – auch – von Vertrauen und Reputation. Insbesondere die Rentnergesellschaft einer Bank muss also absolut seriös und nachhaltig gestaltet sein – und hier sind meines Erachtens noch einige Schritte zu gehen.“ Buchwald weiß von Banken – die hier nicht genannt werden sollen – zu berichten, welche die Einrichtung einer Rentnergesellschaft detailliert erwogen, diesen Plan aber letztendlich wegen Haftungs- und Reputationsrisiken nicht umgesetzt haben.

Ist die Rentnergesellschaft abseits des Falles VTB also keinerlei Thema?

Der Fall der Net-m Privatbank

Doch, die Rentnergesellschaft ist ein Thema – vielleicht nicht gerade für die großen Bankhäuser, so aber doch für kleinere Privatbanken. Über einen Fall können wir hier berichten: Die Net-m Privatbank.

Die bereits 1877 gegründete Net-m Privatbank 1891 AG war zuletzt eine Tochtergesellschaft der Docomo Digital Germany GmbH, die wiederum mehrheitlich dem japanischen Mobilfunkanbieter NTT Docomo gehört. Aus verschiedenen Gründen, die hier keine Rolle spielen, wurde 2019 beschlossen, die Bank abzuwickeln und die Banklizenz zurückzugeben.

Nun hatte jedoch auch die Net-m Privatbank Verpflichtungen aus betrieblichen Versorgungszusagen, und zwar sowohl via Pensionskasse als auch Direktzusagen. Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Bank, Edgar Schnorpfeil, gegenüber der Redaktion: „Die Liquidationsversicherungen waren uns aufgrund des niedrigen Rechnungszinses jedoch zu teuer, und so waren wir dankbar, als der Kontakt mit einem Anbieter für die Übernahme und Fortführung von Rentnergesellschaften hergestellt werden konnte.“

Diesen Weg hat das Institut dann auch beschritten: Die nach der Rückzahlung der Einlagen an die Kunden verbliebene Gesellschaft wurde mit einem Betrag ausgestattet und sodann in Form eines Share Deals 2022 an FSD veräußert. Schmagold erläutert: „Bei der Bestimmung dieses Betrages war der Zins nur einer von vielen Parametern. Auch eingerechnet wurde hier bspw., dass bei der bestehenden BVV-Versorgung die inflationsbasierte Anpassung der Renten nicht durch den verwendeten BVV-Tarif abgedeckt ist, dass künftig PSV-Beiträge sowohl für die Direkt- also auch die Pensionskassenzusagen zu leisten sind und dass durchaus ein gewisses Risiko besteht, dass die BVV-Pensionskasse in der Zukunft Leistungen kürzt. Auch war zu berücksichtigen, dass wir die Gesellschaft voll umfänglich verwalten, inklusive einiger bankspezifischer Besonderheiten, sodass auch die Kosten hierfür in den Ausstattungsbetrag einzurechnen waren.“

Damit leistet diese Rentnergesellschaft offenkundig deutlich mehr als nur die Abwicklung der Versorgungsverpflichtungen. Wir reden hier also über eine Art „Rentnergesellschaft Plus“. Wird ein solches Plus künftig auch in anderen Fällen eine Rolle spielen?

Berliner Blick zum zweiten: Warten auf den Rahmen …

Stellt sich abschießend die Frage, wie der BVV als maßgeblicher Träger der Altersversorgung der Banken auf die Rentnergesellschaft grundsätzlich blickt.

Der BVV steht dem Werkzeug durchaus offen gegenüber, sieht hier aber noch erheblichen Klärungsbedarf. Buchwald bekräftigt im Gespräch mit der Redaktion: „Banken stehen per se für Vertrauen, Nachhaltigkeit und Seriosität. Die Rentnergesellschaft einer Bank müsste also ebenfalls diesen Kriterien entsprechen. Und bis es soweit ist, sind noch einige Aspekte zu bedenken. So ist die heutige Auslegung des BAG-Urteils aus dem Jahr 2008 zu klären, und es sind klare Strukturen zu schaffen, sowohl für die Kapitalanlage als auch für die Verwaltung.“

und die Regulierung?

Die Integration eines Pensionsfonds in die Rentnergesellschaft bringe eine gewisse Regulierung mit sich und sei daher überlegenswert, so Buchwald weiter – betont jedoch auch hier offene Kernfragen: „Aber was ist, wenn der Pensionsfonds wegen einer entsprechenden Deckungslücke, welche aus der Rentnergesellschaft nicht ausgeglichen werden kann, in einen versicherungsförmigen Pensionsfonds umzuwandeln ist? Und stellt eine Gesellschaft, die lediglich Vermögen und Pensionsverpflichtungen verwaltet, nicht letztendlich ein zu regulierendes Finanzinstitut dar?“

Mirko Buchwald, BVV und betavo.

Und der BVV als Akteur im Bereich Rentnergesellschaft? Wie ist hier die Perspektive? „Der BVV wird sich nie an Spielarten beteiligen, die nicht ein hohes Maß an Seriosität ausweisen. Wenn es aber eine nachhaltige Lösung gibt, ein verbindlich vorgegebener rechtlicher Rahmen gesteckt ist und bei den Banken ein Bedarf existiert, wird sich der BVV über die Rentnergesellschaft durchaus Gedanken machen. Ich könnte mir auch vorstellen, bei Bedarf eines Mitgliedsunternehmens die in eine Rentnergesellschaft übertragenen Pensionsverpflichtungen mit dem Pensionsfonds des BVV auszufinanzieren. Bis es aber so weit ist, setzen wir eher auf die etablierten und rechtssicheren Lösungen unseres Pensionsfonds und unserer (Liquidations-)Pensionskasse.“

Mehr zum zur heutigen Headline anregenden Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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