… allerdings nicht das Verfassungsgericht, sondern der BGH. Das letzte Wort ist in dem konkreten Fall, aber auch grundsätzlich vermutlich noch nicht gesprochen, denn die Sache dürfte in die nächste Runde gehen. Betroffen sind auch Teile der bAV.
Der unter anderm für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe hat gestern entschieden, dass die Neuregelung zur Beteiligung des Versicherungsnehmers an Bewertungsreserven (sogenannte stille Reserven) in der Lebensversicherung gemäß § 153 Absatz 3 Satz 3 des Versicherungsvertragsgesetzes nicht verfassungswidrig ist.
Der Fall …
Der BGH erläutert Sachverhalt IV ZR 201/17 (gerafft):
„Der Kläger, ein gemeinnütziger Verbraucherschutzverein (Bund der Versicherten e.V., Anm. d. Red), begehrt von dem beklagten Lebensversicherer die Auszahlung von Bewertungsreserven aus abgetretenem Recht des VN nach Ablauf einer kapitalbildenden LV. Dieser unterhielt bei der Beklagten seit 1999 eine 2014 planmäßig beendete kapitalbildende LV. Am 1. Juli 2014 kündigte die Beklagte dem VN zum Vertragsablauf eine Versicherungsleistung in Höhe von 50.274,17 Euro an, wovon auf die Beteiligung an den Bewertungsreserven 2.821,35 Euro entfielen.
Hinsichtlich der Beteiligung an den Bewertungsreserven wies die Beklagte darauf hin, dass diese endgültig erst zum Fälligkeitstermin feststünden und ggf. auch niedriger ausfallen könnten. Am 22. August 2014 teilte die Beklagte dem VN die endgültige Leistung in Höhe von 47.601,77 Euro mit und erläuterte dies später unter Berufung auf ihren Sicherungsbedarf gem. § 153 Absatz 3 Satz 3 VVG dahin, dass auf die Bewertungsreserve ein Betrag von 148,95 Euro entfalle.
Der VN trat in der Folge seine Rechte und Ansprüche an den Kläger ab. Mit seinem Hauptantrag begehrt der Kläger Zahlung von 2.672,40 €, nämlich den Differenzbetrag zwischen der angegebenen sowie der tatsächlich zur Auszahlung gelangten Bewertungsreserve. Hilfsweise begehrt er Auskunft über die mathematische Berechnung des Anteils der auf den VN entfallenden Beteiligungen an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven einschließlich ihrer Berechnungsgrundlagen sowie anschließend Auszahlung der ihm zustehenden Überschussbeteiligung.“
Die Klage war schon in den Vorinstanzen (LG Düsseldorf – Urteil vom 13. Juli 2017 – 9 S 46/16 und AG Düsseldorf – Urteil vom 11. August 2016 – 50 C 35/16) erfolglos geblieben. Hiergegen richtete sich die Revision des Klägers. Hintergrund des Verfahrens ist, dass der BdV 2016 aus abgetretenem Recht eines VN Klage gegen die zum ERGO-Konzern gehörende Victoria Lebensversicherung erhoben hat.
… die Entscheidung …
Nun hat der BGH gestern das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hatte keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden. Dies ist allerdings eher nebensächlich.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist dagegen, dass nach Auffassung des Senats die Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG nicht verfassungswidrig ist. Denn, wie der BGH schreibt (gerafft),
„…führt sie im Ergebnis dazu, dass ein Versicherer Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der VN an Bewertungsreserven nur insoweit berücksichtigen darf, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten.
Grund für diese Neuregelung war, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten LVU bedrohen würde, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen (BT-Drucks. 18/1772 S. 1).
Die gesetzliche Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG enthält zunächst eine unter dem Gesichtspunkt der Normenbestimmtheit und -klarheit präzisere Regelung gegenüber der Vorgängervorschrift des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG a.F., die lediglich bestimmte, dass aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt bleiben. Sie stellt auch keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar.
Inhaltlich hat der Gesetzgeber ferner verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden VN als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner berücksichtigen. Unter anderem hat er Änderungen der Mindestzuführungsverordnung vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der VN an den Risikoüberschüssen führen. Ferner hat er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, um Vertriebskosten zu senken. Schließlich darf ein Bilanzgewinn an Anteileigner nur ausgeschüttet werden, wenn er einen etwaigen Sicherungsbedarf übersteigt.
Verfassungsrechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der gesetzlichen Neuregelung bestehen nach alledem auch unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht. Im Einzelfall auftretende Härten führen nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt.“
… und die bAV
Unmittelbar betrifft die Regelung des LVRG die bAV in den Durchführungswegen der Direktversicherung und der deregulierten Pensionskasse. Aon Hewitts Chefaktuar Georg Thurnes kommentiert gegenüber LEITERbAV die Entscheidung aus grundsätzlicher Sicht: „Das BGH-Urteil und das darin beurteilte Gesetz sorgen bei Lebensversicherungen und deregulierten Pensionskassen sicherlich für ein Stück mehr Generationengerechtigkeit.“
Nicht betroffen sind regulierte Pensionskassen, denn diese können abweichende Verfahren zur Beteiligung an den Bewertungsreserven vorsehen. „Machen sie davon Gebrauch, sollten sie dies mittels eines von der Deutschen Aktuarvereinigung entwickelten Verfahrens umsetzen. Darin finden ähnliche Grundprinzipien ihre Anwendung wie die jetzt aktuell beurteilten“, erläutert Thurnes. Die Einzelheiten des DAV-Verfahrens finden sich hier.
Von Karlsruhe nach Karlsruhe?
Nicht überrascht gab sich der gestern vor dem BGH unterlegene BdV. „Wie wir erwartet haben, bestätigt der BGH, dass das LVRG richtig angewendet wurde, ohne die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes selbst zu prüfen“, sagte BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein, und kündigte die nächste Runde schon an, denn eine solche Prüfung „obliegt dem Bundesverfassungsgericht, an das wir uns hierzu auch noch wenden wollen.“
Die vom LVRG gedeckte Kürzung der Bewertungsreserven sei ein nicht zu tolerierender Eingriff in das grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht aller Versicherungsnehmer. Man habe einen langen Atem und werde daher „bis zur letzten Instanz gegen das „Pfuschgesetz kämpfen“, so Kleinlein weiter, „und wir prüfen, ob uns dieses BGH-Urteil schon jetzt einen direkten Weg zum höchsten Gericht ermöglicht.“