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Handelsblatt Jahrestagung bAV (III):

Keine klare Kontur einer Reform in Sicht

 

Noch bis heute Nachmittag diskutieren Fachleute auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV in Berlin aktuelle Entwicklungen im betrieblichen Pensionswesen, und eben dies kommt trotz zahlreicher Ankündigungen für Verbesserungen nicht vom Fleck. Die Diskussion entzündete sich zu Beginn der Tagung weiter an der „Tarifparteienrente“. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei.

 

 

Zur Erinnerung: LEITERbAV hatte vielfach berichtet zu den Ideen eines neuen Paragrafen 17b, der vom BMAS bereits vor über einem Jahr überarbeitet worden war und bis heute nicht über den Status eines Diskussionsvorschlages für das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ hinausgekommen ist.

 

Die neue BMAS-Staatssekretärin Yasmin Fahimi (SPD) machte nach dem MCC-Kongress im Februar nun zum zweiten Mal vor bAV-Fachpublikum deutlich, wie aus Sicht des Nahles-Ministeriums die Richtung der bAV-Entwicklung aussieht.

 

Ihr Haus wolle die bAV als Sozialpartnermodell „nach vorn bringen“. Das bedeute nicht, vorhandene Sozialpartner-Lösungen (wie Metallrente und Chemie-Pensionsfonds) sowie vorhandene bAV-Einrichtungen (wie Direktversicherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds) in Frage zu stellen. Vielmehr sei das Ziel, auch für nicht-tarifgebundene KMU Zugang zu einer „Haftungsgemeinschaft“ zu ermöglichen. Unterm Strich gehe es laut Fahimi „um das Vereinfachen und Ausbauen der bAV über ein Sozialpartnermodell“. Allerdings lüftete sie nicht den Schleier, der noch immer über dem vom BMAS in Auftrag gegebenen und von Professor Peter Hanau und Marco Arteaga längst fertiggestellten Gutachten zum Sozialpartnermodell liegt, das Vorschläge enthält, wie der von Arbeitgebern und Gewerkschaften gleichermaßen abgelehnte 17b-Entwurf weiterentwickelt werden soll. Insofern gab es von Fahimi nur schwammige Argumente statt Fakten. Nur Gutachter Arteaga nannte auf der Tagung ein paar Eckpunkte aus dem Gutachten, das Vorschläge zur „entscheidenden Erweiterung“ des bisherigen 17b-Entwurfs enthalten soll.

 

 

Wenig Informationen, aber nicht keine

 

Weiter im Verborgenen blühen auch die Ideen des BMF, denn das längst fertiggestellte Gutachten „Optimierung der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen in der bAV“ von Professor Dirk Kiesewetter bleibt unter Verschluss. Auf der Handelsblatt-Tagung ließ Kiesewetter, Inhaber des Lehrstuhls für betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Würzburg, nun zwangsläufig lediglich einige Nebensächlichkeiten verlauten. Ganz offensichtlich hatte er von seinem Auftraggeber BMF ebenso keine Freigabe bekommen wie Arteaga vom BMAS – und das, obwohl das BMF-Gutachten bereits mindestens seit Anfang März vorliegt.

 

Professor Dirk Kiesewetter auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin. Foto: Dietmar Gust / Euroforum.
Professor Dirk Kiesewetter auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin.
Foto: Dietmar Gust / Euroforum.

Ein paar Informationen konnte Kiesewetter in seinem Vortrag dennoch geben. So wurden aus Arbeitnehmersicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (ohne öffentlichen Dienst) bis maximal 2.500 Euro Bruttoeinkommen (bAV-Ansprüche besitzen 29 Prozent) sowie geringfügig Beschäftigte (ohne Angestellte in Privathaushalten) bis maximal 1.500 Euro Bruttoeinkommen (bAV-Ansprüche: 17 Prozent) befragt, bei Arbeitgebern drei Gruppen von unterschiedlich großen Kapitalgesellschaften sowie stichprobenartig auch einige Experten, darunter Steuerberater.

 

 

Experten und Arbeitgeber

 

Ergebnis: Die Experten nannten als größte bAV-Hemmnisse auf Arbeitgeberseite deren geringen Kenntnisstand (100 Prozent), gefolgt vom vermuteten hohen Verwaltungsaufwand (69 Prozent) und vermeintlichen Nachteilen aus bAV für Arbeitnehmer (62 Prozent). Als größte Hemmnisse aus Arbeitnehmerseite wurden ausgemacht: kein finanzieller Spielraum (100 Prozent), volle Beitragspflicht in der Rentenphase (100 Prozent) und Anrechnung der bAV-Leistung auf die Grundsicherung (69 Prozent).

 

In Firmen, die keine bAV bieten, vermuten Arbeitgeber fehlendes Interesse der Arbeitnehmer (38 Prozent) und bieten daher keine bAV an. 31 Prozent der Firmenchefs gestehen aber auch einen geringen Kenntnisstand zur bAV und damit hohen Informationsaufwand ein. Nur fünf Prozent sehen Haftungsrisiken für sich. Probleme mit dem Steuer- und Sozialversicherungsrecht waren für 74 Prozent der Firmen kein ausschlaggebender Grund, die bAV nicht einzuführen.

 

In Firmen, die bAV anbieten, kam der Impuls zur Einrichtung des Versorgungswerkes meistens von Externen, darunter in 40 Prozent der Fälle durch Versicherer (und Vertriebe). In 35 Prozent der Fälle waren es aber eigene Bemühungen des Arbeitgebers, nur in sieben Prozent der Fälle war ein Tarifvertrag der Grund. Wegen der überwiegend gründlichen Vorbereitung und Arbeitgeberberatung durch Versicherer und Steuerberater gab es im Vorfeld der bAV-Installation keine Bedenken des Arbeitgebers (70 Prozent). Mit zehn Prozent gab es die meisten Bedenken wegen des Verwaltungsaufwands. Bedenken wegen der Haftung hatten nur fünf Prozent der Firmen.

 

 

Die Arbeitnehmer

 

Arbeitnehmer ohne bAV haben laut Kiesewetter-Stichprobe zu 78 Prozent kein Angebot ihres Arbeitgebers erhalten. Von denen, die ein Angebot erhielten, aber dies ablehnten, waren vor allem fehlender finanzieller Spielraum und eine anderweitige Absicherung (je 32 Prozent) die Hauptursachen. Weitere je 14 Prozent halten bAV nicht für rentabel bzw. nannten persönliche Gründe für die Ablehnung. Tatsächlich herrscht aber wohl auch viel Unkenntnis, denn 88 Prozent der Arbeitnehmer gaben an, einen Anspruch auf Entgeltumwandlung gar nicht zu kennen. Bemerkenswert sei, dass Unternehmen mit eigenständiger Buchführung häufiger ein bAV-Angebot gemacht hätten als Betriebe mit ausgelagerter Buchführung. Deshalb habe man auch mit Steuerberatern das Gespräch gesucht, erläuterte Kiesewetter vor dem Parkett.

 

 

Die Schlussfolgerungen

 

Kiesewetter zieht daraus drei Schlüsse für eine bAV-Reform:

 

1. Die KMU als Arbeitgeber haben keinen Anreiz zur Einrichtung einer bAV.

 

2. Gering- und Niedrigverdiener haben kein Geld.

 

3. Der Informationsstand auf beiden Seiten ist schlecht.

 

 

Professor Dirk Kiesewetter auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin. Foto: Dietmar Gust / Euroforum.
Professor Dirk Kiesewetter auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin.
Foto: Dietmar Gust / Euroforum.

 

 

Kiesewetter empfiehlt, die Anrechnung der bAV-Leistung auf die Grundsicherung zu begrenzen, um Geringverdiener für die bAV zu gewinnen. Außerdem sollte die Portabilität der Anwartschaften verbessert werden – entweder durch künftige Erlaubnis einer Provision nur auf laufende Beiträge (statt Zillmerung) oder durch eine Überarbeitung des bestehenden bAV-Übertragungsabkommens zwischen den Durchführungswegen Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds bei Arbeitgeberwechsel.

 

Kiesewetter betonte: An der Arbeitgeberhaftung liegt es nicht, dass die bAV in KMU nicht vorankommt. Vielmehr verhindern Informationsdefizite auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, dass in KMU mehr Betriebsrentenvereinbarungen zustande kommen. Auch andere Untersuchungen – wie der „bAV-Report 2016“ des Marktforschers Yougov – bestätigen, dass nicht die Arbeitgeberhaftung das größte Hindernis ist, sondern andere Gründe: angeblicher Geldmangel der Beschäftigten, die Bürokratie oder geringes Interesse auf Arbeitnehmerseite. Einige dieser Gründe beruhen wiederum auf Informationsmangel. Dieser ließe sich relativ leicht und kostengünstig beheben, und zwar dadurch, dass man das System einfacher und eben nicht komplizierter macht.

 

Das BMF-Gutachten dürfte für neuen Zündstoff sorgen. Denn das BMAS glaubt offenbar nach wie vor, dass die Haftung der Arbeitgeber das größte Hindernis für die Verbreitung der bAV unter KMU sei; schließlich wurde nicht zuletzt infolge dieser Sichtweise das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ursprünglich in die Welt gesetzt – mit der Enthaftung der Arbeitgeber als zentralem Element.

 

 

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