Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Über 0,5 Prozent in der Wiederanlage, über Manna vom Himmel und über das Erste Kassandrische Axiom der deutschen bAV und mehr…
Bild.de (2. Januar): „Zinsflaute trifft Pensionskassen schwer – Große Angst um unsere Betriebsrenten!“
Jahresauftakt 2020: BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund hat gesprochen, und der Wellenschlag in Bild & Co. erinnert an die legendäre BaFin-Presskonferenz vom Mai 2018, als die sich abzeichnenden Problemlagen in der deutschen Pensionskassenlandschaft die Massenmedien erreichten.
Wie ist denn nun die Große Lage unter aufsichtspolitischen Gesichtspunkten? Ambivalent, muss man wohl konstatieren.
Einerseits kann an dem Ernst der Lage nicht gezweifelt werden, auch und nicht zuletzt auf diesem Portal seit Jahr und Tag diskutiert, hier in aller Kürze:
Anhaltender Niedrigzins mit gigantischem Suchtpotential bei Staaten, Finanz- und mittlerweile auch Realwirtschaft und ohne jede Exit-Strategie, in der Folge brutale Verzerrung aller Asset-Klassen und Aufbau einer krisenpolitischer Fallhöhe in historisch einmaligem Ausmaß, gepaart mit (wie dieser Tage wieder überdeutlich geworden ist) geopolitischem Sprengstoff, der jederzeit als Treibladung der nächsten Krise explodieren kann – einer Krise, der vor allem die EZB ohne jedes trockene Pulver gegenüberstünde (übrigens vergisst Kassandra nie zu erwähnen: Der grundlegende Verursacher – von der der damaligen Krise bis zu den gegenwärtigen Krisenpotentialen – ist niemand anders als die Politik. Dass es bei manch einer Pensionskasse offenbar auch Missmanagement gab, soll allerdings auch nicht verschwiegen werden; allerdings ist das kein Krisenauslöser, sondern nur ein taktischer Beschleuniger auf der Ebene des einzelnen Akteurs).
Andererseits eine BaFin, die selbstverständlich nicht die allergeringsten Möglichkeiten hat, die geldpolitische und gesamtwirtschaftliche Gemengelage auch nur im Ansatz zum Positiven zu bewegen (von der Geolage ganz zu schweigen). Eine BaFin, die aber auch Trägerunternehmen gegenüber keine letztlich zwingende Handhabe zu Nachschüssen hat. Eine BaFin, die hier also nur appellieren kann, im Diskreten wie im Öffentlichen. Deren Eingriffsmöglichkeiten rechtlich streng reguliert sind (auch wenn die Kritik Gerhard Schicks nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist). Eine BaFin, die angesichts der Lage mittlerweile mit Prognoserechnungen operieren muss, bei denen Pensionskassen für Fixed Income in der Wiederanlage mit 0,5 Prozent kalkulieren müssen – wie just im November geschehen (Einzelheiten macht die Anstalt nicht öffentlich).
0,5 Prozent in der Wiederanlage? Da dürfte es am Ende wohl nur noch eine Frage des Prognosezeitraumes sein, bis statt 31 von 135 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht es 135 von 135 sind. Nur: Mit welchem Zins in der Wiederanlage sollte die BaFin denn rechnen lassen? Alles andere wäre wohl nicht realistisch, denn steigen wird der Zins nicht, wie Kassandra seit Ausbruch der Krise nicht müde wird zu unken. Denn nochmal: Eine Notenbank, die keine Exit-Strategie hat, hat keine Exit-Strategie – und kennt daher nur das Weiter so. Fertig! Um zu erkennen, dass dieses Weiter so für die EZB wahrhaftig alternativlos ist, muss man kein Nobelpreisträger sein. Denn stiegen die Zinsen nur einen Deut, flöge ganz Euroland den Verantwortlichen auf allen Politikfeldern unmittelbar um die Ohren. Das Dumme an der Sache: Wenn die Zinsen niedrig bleiben, tut es dies auch – je nach Verlauf nur später oder schleichender.
Nochmal zu den Nachschüssen. Es ist zwar eigentlich selbstverständlich, soll hier aber nochmal betont werden: dass man nicht den Fehler mache, in möglichen Nachschüssen der Trägerunternehmen ein Allheilmittel im Pensionswesen zu sehen. Denn erstens ändern Nachschüsse an den zugrundeliegenden Ursachen der übergeordneten kritischen Gemengelage (s.o) nicht das Geringste, sondern können nur Symptome lindern; sie haben also nur taktische Effekte, keine strategischen. Und zweitens fallen die Mittel hierfür auch bei den Trägern nicht wie Manna vom Himmel, erst recht nicht in einer kommenden Krise. Derzeit läuft die geldschwemmengetriebene Konjunktur zwar noch halbwegs passabel, und außerdem können sich die Unternehmen rekordbillig und fast nach Belieben refinanzieren. Doch das kann sich schnell ändern, sollte sich die aufgebaute Krisenfallhöhe realisieren. Man denke an die Jahre 2007ff zurück: Hätten wir damals schiefliegende Pension-Schemes gehabt, hätten die nötigen Nachschüsse die prekäre Lage in der taumelnden Realwirtschaft massiv verschärft. In einer kommenden Krise dürfte eben das eintreten.
Im Übrigen überrascht es ein wenig, dass Grund die Lage bei den Lebensversicherern offenbar für sichtlich weniger angespannt hält als bei den EbAV. Sicher, die LVU haben die Zinszusatzreserve, haben i.A. früher mit geringeren Garantien operiert und außerdem meist engere Durations Gaps. Aber zumindest für die VVaG unter den LVU gibt es einen Unterschied zu den Pensionskassen: in fehlender Analogie zu Trägerunternehmen und Arbeitgebern der Pensionskassen gibt es bei den VVaG-LVU keinen Nachschießer, und damit entfällt jedenfalls dieses oben genannte taktische Element der Krisenbehandlung.
Was tun also? Die eingangs beschriebene strategische Gemengelage entzieht sich wie gesagt jedem Einfluss, nicht nur dem der BaFin, sondern mittlerweile auch dem der nationalen und wohl auch der europäischen Politik sowie der ebenfalls maßgeblich verantwortlichen EZB.
Daher gilt zunächst gilt das altbekannte Erste Kassandrische Axiom der deutschen bAV: Einfache Antworten drängen sich nicht auf!
Bleiben also wie erwähnt nur taktische Möglichkeiten:
Da wäre erstens der Rat an die Politik, energisch das Aufsichtsrecht anzupassen (dass die Politik das Zupacken noch nicht völlig verlernt hat, zeigt sie ja gerade in der Causa PK in den PSV). Eine bekannte Stellschraube ist die Vorgabe der ständigen Bedeckung. Eine diesbezügliche Liberalisierung – optimalerweise einhergehend mit der Schaffung eines eigenen Aufsichtsrechtes für EbAV – würde den Einrichtungen jedenfalls mehr Möglichkeiten geben, auf der Aktiv-Seite mit der von der Politik geschaffenen Problemlage umzugehen.
Zweitens müsste, ohne das Kassandra ein Rezept hierzu zu bieten hätte, in den Köpfen der Deutschen insgesamt endlich einmal ankommen, welcher Natur dieses Krisenpotential ist, wie langfristig diese Krisenperspektive ist, dass der einzige sinnvolle Umgang des einzelnen Sparers und der einzelnen Vorsorgeeinrichtung damit ein konsequentes Investment in Realwerte ist, dass Garantien dem diametral entgegenstehen und dass demzufolge Zusatzrenten abseits der ersten Säule einfach in alle Himmelrichtungen schwanken können, schwanken sollen, schwanken müssen – jedenfalls wenn denn diese Zusatzrenten in einer Zukunft, aus der es kein Entrinnen gibt, noch irgendeine Form der Sinnhaftigkeit behalten sollen.