Jeden Freitag bringt Leiter-bAV.de eine kommentierte Presseschau zur bAV – wegen des morgigen Tags der Deutschen Einheit schon heute: Die bAV in vielen Blättern.
TZ (26. September): „Fürstliche Betriebspension – Dax-Chefs kassieren Luxus-Rente.“
Die Studie der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung wurde Ende letzter Woche von zahlreichen Medien (zumeist unter Verweis auf das Handelsblatt) aufgegriffen – allerdings nicht immer mit dem nötigen technischen Verständnis für die Materie; die Münchener TZ hier allerdings offenbar fehlerfrei, vor allem da in dem verhältnismäßig kurzen Beitrag zwischen aktiven und ehemaligen Vorständen unterschieden wird und da zinsbedingte Rückstellungserhöhungen nicht mit Rentensteigerungen gleichgesetzt werden (das war nicht in allen Medien so).
Für Irritationen sorgte aber vor allem folgendes Zitat aus dem Gutachten:
„Auf den einzelnen Mitarbeiter entfallen im DAX Pensionsverpflichtungen in Höhe von 80 T €, auf ein Vorstandsmitglied von 20 Mio. €“.
20 Millionen Euro? Manche Blätter übernahmen dieses Aussage, die sich auch noch direkt am Anfang der Studie findet, unmittelbar und unkommentiert. Doch ein aufmerksamer HR-Manager aus dem DAX, der sich an LbAV wandte, war stutzig geworden, da zumindest in seinem Haus die heute aktiven Vorstandsmitglieder im Schnitt nicht auf 20, sondern „nur“ auf runde fünf Millionen Euro kommen.
Erklärung für den Mismatch: In der Studie wurde die Gesamtsumme der Pensionsverpflichtungen gegenüber aktiven UND ehemaligen Vorstandsmitgliedern (im Durchschnitt 123 Millionen Euro je Unternehmen) durch die Durchschnittszahl von sechs aktiven Vorständen je Unternehmen geteilt. Auf Nachfrage von LbAV verwies Studienautor Heinz Evers darauf, dass sich die Zahl der Ehemaligen weder bei Vorständen noch bei Beschäftigten ermitteln lasse und und er sich daher im Nenner auf die Zahl der Aktiven beschränkt habe. In der Tat heißt es in der Studie an der betreffenden Stelle:
„Weder die genaue Zahl der Pensionäre in den Unternehmen, noch die der früheren Vorstände ist bekannt. Daher kann nur die Zahl der aktiv Tätigen beider Gruppen als Maßstab für die Wertigkeit der Pensionen und damit als Orientierungsgröße dienen.“
Über die nonchalante Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens mag man streiten. Auf jeden Fall ist die Zahl von 20 Millionen pro Kopf damit sichtlich zu hoch gegriffen (die der 80.000 Euro pro Beschäftigtem übrigens bedauerlicherweise auch).
Allerdings: Sieht man sich die Studie genauer an, stellt man fest, dass diese durchaus die Datenbasis für genauere Angaben hergibt, heißt es doch dort:
„Die Pensionsrückstellungen und Barwerte der Versorgungsverpflichtungen für die aktiven Vorstände addieren sich in 2013 für alle erfassten Unternehmen auf 1,2 Mrd. €. Im Durchschnitt der Unternehmen belaufen sie sich im DAX auf 30 Mio. €, im MDAX auf 11 Mio. €.“
Ergo: Der Autor unterscheidet bei den Pensionsverpflichtungen also durchaus zwischen denen für Aktive und denen für Ehemalige. Dann hätten man also auch bei der Pro-Kopf-Berechnung – da man ja nur die Aktiven kennt – entsprechend auch die Pensionsverpflichtungen nur betreffend die Aktiven, also die 1,2 Milliarden Euro für alle Unternehmen respektive noch genauer die 30 Millionen Euro pro Dax-Unternehmen als Grundlage nehmen können. 30 Millionen Euro geteilt durch durchschnittlich sechs aktive Vorstände entspricht auch exakt den 5 Millionen Euro pro Vorstand, die LbAV als Wert aus dem DAX bekannt sind.
Damit erneut von LbAV konfrontiert, antwortete Studienautor Evers eher allgemein:
„Ich finde es jedenfalls trotz Ihrer Bedenken wichtig, dass man in den Aufsichtsräten einmal darüber reflektiert, was man für eine kleine Gruppe von Vorständen einschließlich ihrer Vorgänger und Hinterbliebenen zur Vorsorge zurückstellt im Vergleich zu der Gesamtbelegschaft ebenfalls einschließlich der Pensionäre und Hinterbliebenen. Nur die aktiven Vorstände heranzuziehen, würde meines Erachtens ein schiefes Bild ergeben.“
Nun, das mag jeder bewerten, wie er will – inhaltlich, politisch und bezüglich der wissenschaftlichen Vorgehensweise. Es ändert aber nichts daran, dass es eben fünf und nicht 20 Millionen Euro Pensionsverpflichtungen pro aktivem DAX-Vorstand im Schnitt sind und sich dies aus der Datenbasis der Studie auch ermitteln lässt. Möglicherweise hätte man in der Studie besser daran getan, diesen Wert zu kommunizieren.
Übrigens, in der Printausgabe des Handelsblattes hieß es zu der Studie:
„In nur zwei Jahren sind etwa die Rückstellungen, die die 30 Dax-Konzerne für ihre aktiven Vorstände gebildet haben, um satte 20 Prozent gestiegen. Die Rentner unter den Begünstigten können sich über ein fast ebenso großes Plus freuen.“
Nun, ob im Wesentlichen zinsbedingte Rückstellungserhöhungen zu Freude bei den Berechtigten taugen, dürfte manch ein IAS-19-Kundiger auf unserem Parkett kritisch sehen.
Fazit von Kassandra: Man genieße jede Studie und die Berichterstattung dazu mit gesunder Distanz. Doch ob es nun fünf oder 20 Millionen sind, eines steht jedenfalls fest: Eine Untersuchung über mögliche Verbreitungshemmnisse der bAV bei DAX-Vorständen dürfte im BMAS vermutlich auf absehbare Zeit nicht auf der Tagesordnung stehen.
Die Welt (26. September): „Die Betriebsrente wird zur Zinslotterie.“
Auch dieser Beitrag – offenbar dpa-basiert – ging letzte Woche durch viele Blätter und beschreibt den altbekannten Druck, den der Niedrigzins auch auf das Betriebsrentenwesen ausübt, bei DB nicht zuletzt auf das OCI der IAS-19 Bilanzierer.
Doch es sei hier von Kassandra nochmal ergänzt: Teil der Wahrheit ist auch, dass jedes halbwegs gesunde Großunternehmen Fremdmittel zur Ausfinanzierung zu lächerlich geringen Konditionen (zuweilen unterhalb des Rechnungszinses) am Kapitalmarkt aufnehmen kann – wie im DAX an prominenter Stelle vor einiger Zeit geschehen. Dies würde beispielsweise eine Strategie möglich machen, mit billig aufgenommenen Mitteln passender Duration weitgehend auszufinanzieren und sich anschließend über LDI punktuell zu hedgen. Der niedrige Zins hat also eine mehrfach janusköpfige Wirkung auf die Pensionslasten eines Unternehmens.
Versicherungswirtschaft-heute.de (26. September): „Top oder Flop? Diskussion um die bAV.“
Bei der Deutschen rechnet man offenbar mit einer gesetzlichen Regelung zum Opting out. In der Tat mehren sich die Indizien. Es wäre allerdings bedauerlich, wenn Andrea Nahles und ihrem Haus am Ende nicht mehr einfiele zur mit großem Tam Tam angekündigten Beschäftigung mit der bAV, als Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu etwas zu drängen, was beide zumindest bei KMU offenbar freiwillig nicht haben wollen (bei der Großindustrie mit eigenen EbAV ist ohnehin durchdringungseitig alles in Ordnung).
Es ist schließlich nachvollziehbar, dass man als kleinerer Arbeitgeber nicht begeistert ist von der Perspektive, sich völlig abseits des eigenen Kerngeschäftes mit Finanzdienstleistern und Vertriebstruppen im eigenen Haus befassen zu müssen, mit Einstandspflichten für eines Tages vielleicht marode Anbieter samt insuffizienter Auffangeinrichtungen, mit Informations- und Haftungsfragen, Anpassungspflichten und jahrzehntelanger Verwaltung, mit unkalkulierbarer nationaler und europäischer Regulierung – die Liste ließe sich fortsetzen.
Für die Arbeitnehmer gilt das Gleiche analog angesichts von Kosten, Mini-Renditen und Krankenkassenbeitragspflicht. Kassandra bleibt dabei: Opting out (und das später folgende Obligatorium), das sind keine Ideen der Kreativen, der Schaffenden, nein, das sind Verzweiflungstaten der Hilf- und Einfallslosen.
FAZ (26. September): „Lebensversicherung – Mutige Versicherer werden belohnt.“
Die FAZ ausführlich zum schwierigen Umgang der Versicherer mit der Niedrigszinsproblematik. Beispielhaft dann aber drei Player, denen der Umgang damit offenbar wenig Schwierigkeiten bereitet, weil sie sich bis zu einem gewissen Grad antizyklisch verhalten haben oder dies immer noch können. Gerne hätte man allerdings mehr von den vielen erfahren, die wenig Alternativen zur Prozyklik hatten und haben und demnach deutlich weniger entspannt dastehen. Doch die sind verständlicherweise auch weniger gesprächig.
OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN
Zeit.de (29. September): „Ex-HRE-Chef Funke kommt vor Gericht.“
Das Prinzip von Tat und (persönlicher) Haftung – ein tragender Grundpfeiler nicht nur unseres ökonomischen, sondern auch unseres soziologischen Zusammenlebens – hat in vielen gesellschaftlichen Feldern hierzulande Federn lassen müssen. Ob ihm in diesem Fall ausnahmsweise wieder ein kleines bisschen Genüge getan werden kann? Im Deutschland des Jahres 2014 darf man skeptisch bleiben.
Berliner Zeitung (30. September): „Erster Ebola-Fall in den USA.“
Kassandra hat sich in der Vergangenheit des öfteren über die läppische Naivität mokiert , mit der die Ebola-Problematik in der Öffentlichkeit diskutiert wird: Ebola sei nicht besonders ansteckend, hieß es allenthalben. Man könne sich ganz einfach schützen. Bis nach Europa könne es ein Infizierter nie schaffen. Der Ausbruch werde bald vorüber sein. Und überhaupt, das seien die Afrikaner und die dortigen Verhältnisse schuld, die berühren ja ihre Toten, kann hier nie passieren…
Das war und ist samt und sonders nichts anderes als Nonsens.
Und nun also die nächste Eskalationsstufe. Überraschend ist nur, dass es die USA vor Europa erwischt haben soll.
Wie dem auch sei, das Kopfschütteln will sich beim unbedarften Beobachter weiterhin nicht so recht abstellen lassen. Denn nun heißt es, Zitat aus dem Artikel, laut Behörden:
„Alle Menschen, mit denen er seit seiner Ankunft in den USA Kontakt gehabt habe, würden nun ausfindig gemacht und unter Beobachtung gestellt.“
Alle Kontaktpersonen der letzten sechs Tage? Ausfindig machen und beobachten? Wenn der Erkrankte ein sozial auch nur halbwegs normales Leben – Arbeiten, ÖPNV, Sport, Einkaufen, Nightlife… – geführt hat, ist dieses Vorhaben schlicht unmöglich. Das gilt für das Ausfindigmachen, erst recht aber für das Beobachten (was ja ohnehin nur Quarantäne heißen kann). Außerdem setzt ein Erfolg dieser Maßnahmen eine volle Kooperation des Infizierten und der Betroffenen mit den Behörden voraus, was keinesfalls immer gesetzt sein muss – im Gegenteil. Und wollte man wirklich konsequent vorgehen, müsste man schließlich auch die Kontakte der Kontakte unter Quarantäne stellen. Und man müsste – da selbst die direkten Kontakte ja kaum alle infiziert sein werden – sie eigentlich alle einzeln und isoliert unter Quarantäne stellen, nicht gemeinsam. Hier dürfte die logistischen und infrastrukturellen Grenzen selbst der USA schnell erreicht sein (von europäischen Staaten ganz zu schweigen).
Ergo: Man darf sich auf weitere Schlagzeilen freuen. Und auf weitere Blauäugigkeit.
Update: Unmittelbar vor Redaktionsschluss ging die Meldung über die Ticker, dass der Erkrankte von Liberia über Brüssel in die USA eingereist ist. Davon, dass der Flugverkehr nun eingeschränkt würde, ist dagegen nichts bekannt.