Neulich in Berlin, 25. April, Jahrestagung der Deutschen Aktuar Vereinigung. Auf dem Podium unter anderen Felix Hufeld, der neue Chef der deutschen Versicherungsaufsicht. Und der zeigt eine offensichtliche Lust an der Veränderung:
„Das müssen wir uns als Deutsche gefallen lassen: Es ist Zeit für einen Bewusstseinswandel. Weg von einer statischen Betrachtung, weg von Solvency I und vor Jahren schon Basel I, hin zu risikobasierten Regimen. Ich möchte hinter diese Erkenntnis nicht zurückfallen. Und uns muss klar sein: Die deutsche Lebensversicherung wird auf internationalem Parkett als Problem empfunden. Wir stehen dort nicht als Vorbild, sondern als jemand, der sich zu verteidigen hat. Es gibt hier auch Aspekte, denen wir uns nicht entziehen können, so sollten sich die Lebensversicherer beispielsweise fragen, ob sie in einer volatiler gewordenen Welt auch zukünftig 50 bis 70jährige Garantien aussprechen wollen.“
Die Kritik an dem deutschen Modell, die Hufeld hier ansprach (ohne ihr ernsthaft zu widersprechen!), hat für die Perspektive der deutschen Vorsorgelandschaft gleich mehrere Konsequenzen:
Zunächst einmal harmonieren die Äußerungen Hufelds mit den jüngsten Produktinnovationen einiger großer hiesiger Versicherer hin zu gespreizten Garantien, denn – da kann sich Hufeld sicher sein – die fragen sich das alles schon lange. Insofern scheint sich die Zeit der typisch deutschen Lebensversicherung, wie wir sie seit zig Jahrzehnten gekannt haben, in den kommenden Jahren wohl in der Tat endgültig dem Ende zuzuneigen – und ob die Niedrigzinsphase dafür Ursache oder nur Auslöser ist, darüber kann man streiten. Wichtiger ist sowieso, ob die deutschen Versicherungsnehmer – finanzdienstleistungsseitig ohnehin seit längerem schon mit Neigung zu Kostensensibilität und Käuferstreik – die Aufweichung des einzigen starken Alleinstellungsmerkmals, das der Lebensversicherung noch verblieben war, goutieren werden. Denn das ist noch völlig unklar. Klar ist nur: Das ist das Ende einer Ära, nicht mehr und nicht weniger.
Im weiteren Zusammenhang können die Äußerungen Hufelds natürlich nicht losgelöst gesehen werden von den Problemen bei der finalen Ausgestaltung der ersten Säule von Solvency II. In Brüssel, Bonn und Frankfurt weiß man schließlich allen gegenteiligen Lippenbekenntnissen zum Trotz, dass angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase – und sie wird sehr anhaltend sein – die quantitativen Anforderungen so wie geplant der europäischen Versichererlandschaft schlicht nicht zumutet werden können (irgendwie wäre das ja auch noch schöner: Erst den Zins künstlich runterknüppeln, und dann auch noch ein überscharfes Aufsichtsregime installieren). Und gerade die langlaufenden Garantien des deutschen Modells stören in diesem Problemkomplex besonders, will man endlich zu Ergebnissen kommen.
Solvency II mag eines schönen Tages vielleicht tatsächlich kommen, und in Säule II und III vielleicht auch mehr oder weniger wie geplant. Aber ob die erste Säule nach weiteren „Anpassungen“ den Namen Solvency II dann überhaupt noch verdienen wird? Hufeld jedenfalls scheint davon auszugehen, denn die Eigenmittelfrage zu klären forderte der BaFin-Exekutivdirektor in fast schon ultimativer Form: „In der Versicherungswirtschaft gibt es eine enorme Spreizung, manche Unternehmen sind ausgesprochen komfortabel ausgestattet mit Eigenmitteln und werden auch in der neuen Welt keine Schwierigkeiten haben, andere werden in schwieriges Gewässer geraten. Ich kann die Branche insgesamt darum nur warnen: Die Risikotragfähigkeit und die Eigenmittelausstattung in den Unternehmen muss gestärkt werden. Wer davor den Kopf in den Sand steckt, begeht einen schweren Fehler.“ Nun, vielleicht wird die Eigenmittelfrage ja am Ende dadurch geklärt, dass die erste Säule von Solvency II so lange weichgespült wird, bis überhaupt niemand mehr in schwieriges Gewässer gerät?
Und was bedeutet das alles für die betriebliche Altersversorgung (zu der die BaFin sich ja ohnehin so gut wie nie äußert)? Zunächst einmal sind in der bAV die Laufzeiten noch länger als in der der dritten Säule der Altersversorgung. Aber wenn schon die klassische deutsche LV in Europa Hufeld zufolge nicht als Vorbild, sondern als Problem empfunden wird und er dies offenbar partiell ähnlich sieht, zumindest dem nicht deutlich widerspricht, wie schlimm muss es dann erst um unsere bAV auf internationalem Parkett stehen?
Wie dem auch sei: Eine Diskussion um gespreizte Garantien betrifft die bAV zumindest in ihren versicherungsförmigen Durchführungswegen wegen der langen Laufzeiten überproportional. Einerseits ist eine Direktversicherung eine Lebensversicherung, andererseits aber strengeren Anforderungen unterworfen (beispielsweise bezüglich der Mindestleitung). Ob und wie sich eine Abkehr von Aufsicht und Versicherern von dem klassischen Modell auf die Tarifgestaltung der Direktversicherung, gegebenenfalls auch der unregulierten Pensionskassen auswirkte, ist dabei noch völlig ungeklärt.
Doch gibt es in diesem Zusammenhang natürlich wichtigere Fragen als die Details einer Direktversicherung, besonders eine ganz bestimmte Frage. Doch gegenüber Leiter-bAV.de bestritt die BaFin, dass die Treueschwüre von Hufeld zu Solvency II bedeuten könnten, er favorisiere ein analoges Regime für Einrichtungen der bAV.