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6a mal anders:

„Unklarheit der Abfindungsoption“

Das höchste deutsche Finanzgericht hat zu einem der für die bAV wichtigsten Paragrafen des Steuerrechts entschieden. Allerdings ging es nicht um die Höhe einer Pensionsrückstellung, sondern darum, ob dieses gänzlich zu verwerfen ist. Ist sie im vorliegenden Fall. Das fragwürdige Urteil könnte weitreichende Folgen haben, die der deutschen bAV weiteren Schaden zufügen. Es ist nicht das erste mal, dass das Gericht mit ganz eigenen Gedanken auffällt.

 

Der Paragraf 6a EStG ist auf dem auf Pensions-Parkett berühmt-berüchtigt – weil er in der Nummer 3 seines ersten Absatzes die bürokratische Schriftform befiehlt, vor allem jedoch weil er ungeachtet des politischen Niedrigzinses eine Diskontierung in der Steuerbilanz mit sechs Prozent fixiert.

 

Doch der 6a kann noch mehr, will sagen: noch mehr Probleme machen. In der Nummer 2 seines ersten Absatzes heißt es, dass eine Pensionsrückstellung nur gebildet werden darf, wenn (u.a.):

 

die Pensionszusage keine Pensionsleistungen in Abhängigkeit von künftigen gewinnabhängigen Bezügen vorsieht und keinen Vorbehalt enthält, dass die Pensionsanwartschaft oder die Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, oder ein solcher Vorbehalt sich nur auf Tatbestände erstreckt, bei deren Vorliegen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter Beachtung billigen Ermessens eine Minderung oder ein Entzug der Pensionsanwartschaft oder der Pensionsleistung zulässig ist…“.

 

Genau hier hat nun der Bundesfinanzhof in München eingehakt und mit Urteil vom 23. Juli 2019, XI R 48/17, entschieden:

 

Lässt sich eine Abfindungsklausel nicht dahin auslegen, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende Sterbetafel und der maßgebende Abzinsungssatz ausreichend sicher bestimmt sind, ist die Pensionsrückstellung unter dem Gesichtspunkt eines schädlichen Vorbehalts steuerrechtlich nicht anzuerkennen.“

 

Grund laut BFH: Pensionszusagen sind auch nach Einfügung des sog. Eindeutigkeitsgebots des besagten Paragrafen 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 EStG anhand der geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht klar und eindeutig ist.

 

Der Bundesfinanzhof in München.

Mit der Entscheidung hat der BFH das Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 21. Februar 2017, Az 1 K 141/15, aufgehoben und der Revision des beklagten Finanzamtes stattgegeben.

 

Dem Fall zugrunde lag eine GGF-Versorgung aus dem Jahr 1999, die eine eher allgemein gehaltene Abfindungsklausel enthielt, die allerdings durchaus auf Paragraf 3 BetrAVG verwies. Dies war dem BFH offenbar nicht konkret genug ausgestaltet, denn…

 

…die in der Pensionszusage enthaltene Abfindungsklausel lässt nicht erkennen, dass kein schädlicher Vorbehalt i.S. des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG vorliegt bzw. dass (umgekehrt) gewährleistet ist, dass der mögliche Abfindungsbetrag mindestens dem Wert des gesamten Versorgungsversprechens zum Abfindungszeitpunkt entspricht.“

 

Dem Wortlaut der betreffenden Versorgungszusage lasse sich ein Verweis auf die barwertbezogenen Berechnungs-Maßgaben des BetrAVG nicht entnehmen, und damit bestehe entgegen der Auslegung des FG eine „Unklarheit der Abfindungsoption“, so der BFH weiter.

 

Erschreckendes Urteil, weitere Fragen

 

Thomas Hagemann, Mercer.

In einer ersten Reaktion nannte Mercers Thomas Hagemann das Urteil „erschreckend“. Zwar habe die Zusage vorgesehen, dass bei Geltung des BetrAVG das Abfindungsverbot des Paragrafen 3 BetrAVG zu beachten sei. Da sich dieser aber auf Arbeitnehmer bezieht, war diese Beschränkung in dem vorliegenden Fall des beherrschenden GGF vom BFH unbeachtet geblieben. „Möglicherweise wäre die Entscheidung bei einem Arbeitnehmer anders ausgefallen“, so Hagemann.

 

Der Chefaktuar von Mercer erinnert daran, dass erst zwei Wochen vor diesem Urteil der BFH entschieden hat, dass die fehlende Benennung der Sterbetafel allein nicht steuerschädlich ist. Aus den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik folge die Verwendung der Heubeck-Richttafeln (Beschluss vom 10 Juli 2019, XI R 47/17). Leitsatz dort war:

 

Pensionszusagen sind auch nach Einfügung des Eindeutigkeitsgebots (§ 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 EStG) anhand der allgemein geltenden Auslegungsregeln auszulegen, soweit ihr Inhalt nicht klar und eindeutig ist. Lässt sich eine Abfindungsklausel dahin auslegen, dass die für die Berechnung der Abfindungshöhe anzuwendende Sterbetafel trotz fehlender ausdrücklicher Benennung eindeutig bestimmt ist, ist die Pensionsrückstellung steuerrechtlich anzuerkennen.“

 

Nach der nun erfolgten BFH-Entscheidung denkt Hagemann konsequent weiter – und stellt die Frage, was denn eigentlich gelte, wenn man in der Zusage gar nichts zur Abfindung regelte. Dann könne ja nur das Gesetz gelten. Und in Paragraf 4 Abs. 5 BetrAVG steht zum Rechnungszins bei der Ermittlung des Übertragungswertes – nichts!

 

Nichts ist ja auch nicht wirklich konkret. Demzufolge malt sich Hagemann die Konsequenzen aus:

 

Sind dann alle Zusagen ohne explizite Abfindungsregelung steuerlich nicht mehr anzuerkennen, weil das Gesetz unklar ist? Zumindest solche Zusagen, die wegen ihrer geringen Höhe einseitig abgefunden werden können?“

 

Ob sich der BFH diese Fragen auch gestellt hat? Zweifel bleiben.

 

Ohne Rücksicht auf den Gesetzgeber?

 

LEITERbAV erinnert darüber hinaus daran, dass der BFH, wie das BAG, zu den höchsten deutschen Gerichten zählt, die – positiv formuliert – mit einem gesunden Selbstbewusstsein ausgestaltet sind. Kritischer könnte man auch von einem Gestaltungswillen sprechen, der zuweilen dem offenkundigen Willen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zuwiderlaufen könnte.

 

So hat der BFH im September 2016 in einem Urteil beiläufig Aussagen getätigt, die auf dem Parkett für reichlich Irritationen gesorgt und nichts mit dem zu tun haben, was gängige Praxis der Finanzverwaltung ist und zumindest nach Meinung des Verfassers auch nichts mit dem, was auf demokratisch einwandfreiem Wege in Gesetz gegossen worden ist:

 

Ohne dass dies im Streitfall entscheidungserheblich war, hat der BFH Zweifel geäußert, ob Verträge, die von Anfang an ein Kapitalwahlrecht vorsehen, überhaupt nach § 3 Nr. 63 EStG in seiner ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung durch Steuerbefreiung der entsprechenden Einzahlungen gefördert werden können.“

 

Liebesgrüsse aus Düsseldorf – more to come in Munich

 

Übrigens wird sich der BFH beizeiten erneut mit der Frage der inhaltlichen Anforderungen an Pensionszusagen beschäftigen müssen, denn der 6a macht auch andernorts Ärger:

 

Wie das Versicherungsjournal hier berichtet, hat das FG Düsseldorf (15 K 736/16 F) mit einem nun veröffentlichten Urteil vom 29. Mai 2019 entschieden, dass ein Vorbehalt, mit dem der Arbeitgeber einseitig die Höhe einer Pensionszusage abändern kann, der Bildung einer Pensionsrückstellung entgegen steht – auch wenn er davon aus arbeitsrechtlichen Gründen gar nicht Gebrauch gemacht hat bzw. machen konnte. In dem Fall geht es übrigens nicht um GGF, sondern um Arbeitnehmer.

 

Das Urteil des Düsseldorfer Gerichts findet sich hier.

 

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